(...)Einige – offenbar Autonome – ließen ihren Frust
an der Umgebung aus. Die Scheiben einer Tankstelle wurden
eingeschlagen, die Verkaufsräume geplündert. Der aus
Afrika stammende Pächter sympathisiert eigentlich mit den
Protesten. »Aber an dem Laden hängt meine ganze
Existenz«, sagte er zu junge Welt.(...)
Jagd auf Demonstranten
Mindestens 16000 Menschen haben am Samstag in Strasbourg und Kehl
gegen den NATO-Jubiläumsgipfel demonstriert, davon rund 6000
auf deutscher Seite. Weil die Polizei den Weg über die
Europabrücke versperrte, konnten sich die beiden
Demonstrationszüge nicht wie geplant auf der
französischen Rheinseite vereinigen.
Am Samstag morgen waren die ersten Rauchschwaden über der
Innenstadt Strasbourgs aufgestiegen. Nach Angaben der
französischen Behörden protestierten dort rund 10000
Menschen. Schwerbewaffnete Polizisten schossen mit Tränengas-
und Schockgranaten auf Demonstranten, Steine flogen und Barrikaden
brannten. Nach Polizeiangaben wurden 34 Demonstranten und acht
Polizisten verletzt. Am Rande der Proteste kam es zu schweren
Sachbeschädigungen. Die Organisatoren kritisierten das scharf,
sehen aber die Verantwortung für die Eskalation bei der
deutschen und der französischen Regierung.
Während das Gipfeltreffen durch Polizisten und Soldaten von
der kritischen Öffentlichkeit abgeschirmt wurde, hatten
Zehntausende Demonstranten Probleme, überhaupt den Ort der
Proteste zu erreichen. Aus- und Einreiseverbote, massive
Grenzkontrollen und die Sperrung des Zugangs zur Kundgebung
hätten einen geordneten Ablauf unmöglich gemacht,
beschwerten sich die Veranstalter. »In der Region um
Strasbourg und Kehl waren mit Sicherheit 30000 NATO-Gegner
unterwegs«, erklärte Reiner Braun vom internationalen
Vorbereitungskomitee am Sonntag gegenüber jW. Er wisse von
mindestens zwölf Bussen, die nicht angekommen seien.
Gegen 13Uhr hatte die Polizei am Samstag die Demonstration an der
Europabrücke, die Frankreich mit Deutschland verbindet,
gestoppt. Vier Wasserwerfer und Hunderte deutsche Polizisten
versperrten den aus Strasbourg kommenden NATO-Gegnern den Weg. Auch
in Kehl wurde der Demonstrationszug angehalten.
»Eins, zwei drei, gebt die Brücke frei!«
skandierten die Kriegsgegner. Die Einsatzleitung entgegnete per
Lautsprecher, es liefen noch Verhandlungen. Für die
Demonstrationsleitung verhandelten Bundestagsabgeordnete der
Linkspartei, der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian
Ströbele sowie der linke Europaabgeordnete Tobias
Pflüger. Der deutsche Einsatzleiter behauptete, er könne
keinen Kontakt zu den französischen Kollegen herstellen.
Gegen 14Uhr stand plötzlich auf französischer Seite das
ehemalige Zollgebäude an der Europabrücke in Flammen.
Anderthalb Stunden darauf zogen sich dort die letzten Demonstranten
in Richtung Strasbourger Innenstadt zurück. Die Polizei setzte
ihre Angriffe mit Rauchbomben und Tränengas fort.
Einige – offenbar Autonome – ließen ihren Frust
an der Umgebung aus. Die Scheiben einer Tankstelle wurden
eingeschlagen, die Verkaufsräume geplündert. Der aus
Afrika stammende Pächter sympathisiert eigentlich mit den
Protesten. »Aber an dem Laden hängt meine ganze
Existenz«, sagte er zu junge Welt.
Die Zollstation brannte nieder, ein Ibis-Hotel am Jardin des deux
rives ging ebenso wie eine gegenüberliegende Apotheke in
Flammen auf. Feuerwehr war allerdings nirgends zu sehen.
Unterdessen machten sich auf deutscher Seite die Demonstranten auf
den Heimweg. Rund 1000 von ihnen stiegen gegen 18Uhr in den von der
NRW-Linkspartei gecharterten Sonderzug »Friedenslok
NRW«.
Von Frank Brunner / Claudia Wangerin / Sönke Rabisch