GegenStandpunkt & Diskussion: Kubas neuester „Aufbruch zum Sozialismus“. Eine Staatsreform in Richtung 3.-Welt-Kapitalismus
Wann: Donnerstag, 14. Juli 2011, 19.30 Uhr
Wo: Karlsruhe, Planwirtschaft, Werderstraße 28
Veranstalter: Kapital-Lesekreis Karlsruhe
Wir laden euch ein, über die Kritik der Parteiführung an ihrer bisherigen Politik und über den Kurs, den Kuba nun einschlägt, mit uns zu diskutieren:
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• Warum glaubt die Kommunistische Partei, der Sozialismus könne
ausgerechnet mit einer Fortsetzung des „wirtschaftlichen
Öffnungsprozesses“ gegenüber der kapitalistischen Ökonomie gerettet
werden?
• Warum hört sich das Reformprogramm so an, als würden kapitalistische Manager in einem „Sanierungsprogramm“ ankündigen, dass in den Betrieben „weitere Rationalisierungen“ anstünden und den Belegschaften „mehr Effizienz“, ja sogar Entlassungen verordnet werden müssten?
• Warum kündigt eine Partei, die ihre sozialistische Revolution retten will, der Bevölkerung die Mindestversorgung auf, indem sie die sog. Libreta, die kubanisch-sozialistische Version eines Bedingungslosen Grundeinkommens, abschafft?
• Warum sollen alle, deren Arbeitskraft in Staatsunternehmen und -verwaltung nicht mehr als brauchbar beurteilt wird, künftig schauen, dass sie ihr Auskommen als Betreiber von Minigeschäften („auf eigene Rechnung“) oder als Lohnarbeiter auf dem Markt finden? Und – was ist das überhaupt für ein Markt?
Im April hat die Kommunistische Partei Kubas radikale Reformmaßnahmen beschlossen: schrittweise Entlassung von bis zu einer Million Staatsbediensteter, die sich künftig in der erheblich ausgeweiteten privaten Kleinwirtschaft auf eigene Rechnung durchschlagen sollen; baldige Abschaffung der ohnehin immer armseligeren staatlich garantierten Grundversorgung zu Niedrigpreisen; Verpflichtung der Betriebe auf gewinnorientierte Produktionsmaßstäbe; mehr Leistungslohnanreize und -vorgaben; mehr selbstwirtschaftende Kleinbauern und mehr freier Handel mit den knappen Lebensmitteln… Die staatliche Planung soll vorrangig auf die Entwicklung devisenbringender Wirtschaftszweige – insbesondere Tourismus und Rohstoffförderung – ausgerichtet und auswärtiges Kapital zum Investieren in diese Bereiche animiert werden…
Diese Reform stellt die Verhältnisse im Land gründlich auf den Kopf:
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• Sie streicht großen Teilen der Bevölkerung ersatzlos ihren bisherigen
Lebensunterhalt und behandelt dessen staatliche Organisation als nicht
mehr tragbare Haushaltslast.
• Sie verweist das Volk auf privates Wirtschaften und Fertigwerden mit knappen finanziellen wie materiellen Mitteln.
• Sie stellt große Abteilungen der nationalen Wirtschaft und der staatlichen Mittel, die bisher für den inneren Bedarf bestimmt waren, auf die Erwirtschaftung von Weltmarkterträgen um.
Das alles wird mit der verheerenden Devisennot des Staats begründet und mit den Belastungen des Staatshaushalts durch seine Gesellschaft sowie mit deren mangelnden Leistungen für die staatlichen Bilanzen. Mit all dem macht die Kommunistische Partei Kubas den Staatserhalt zur obersten Leitlinie ihrer Politik – und mit all dem wollen die Verantwortlichen trotzdem immer noch und mehr denn je dem ‚Aufbau des Sozialismus in Kuba‘ verpflichtet sein:
„Wir sind davon überzeugt, dass wir die elementare Pflicht haben, die Fehler zu berichtigen, die wir in fünf Jahrzehnten des Aufbaus des Sozialismus in Kuba begangen haben… Die Maßnahmen, die wir nun anwenden, und alle Änderungen, deren Einführung bei der Aktualisierung des Wirtschaftsmodells notwendig werden, sind darauf ausgerichtet, den Sozialismus zu erhalten, zu stärken und wahrhaftig unwiderruflich zu machen.“ (Rede Raúl Castros, 18.12.2010)
Die Kapitulation vor den „Sachzwängen“ eines Weltmarkts, der Kuba inzwischen zum internationalen Schuldenfall gemacht hat, ein staatliches Selbstbehauptungsprogramm, welches das Volk als ‚leistungsunwillige Kostgänger‘ eines allzu freigiebigen Staats kritisiert, propagieren die Verantwortlichen also wie selbstverständlich als Rettung des Sozialismus und als neuen Aufbruch in eine bessere sozialistische Zukunft unter Führung einer angeblich klüger gewordenen und nach wie vor dem Volk verpflichteten Partei- und Staatsführung. Dabei traten Raúl Castro und sein Bruder Fidel vor über 50 Jahren mit einem Programm an, das die „Sachzwänge“ des Weltmarkts als das bekämpfte, was sie sind: eine durch die USA nach dem 2. Weltkrieg politisch errichtete und gewaltsam durchgesetzte Weltordnung.
Für die hiesige bürgerliche Presse ist die Sache klar: Wenn Kubas Führung soziale Leistungen dem Staatserhalt opfert und seiner Devisennot und seinen auswärtigen Schulden die Direktive entnimmt, sich viel mehr an Weltmarktzwängen ausrichten und am Volk sparen zu müssen, dann soll das ein Schlaglicht darauf werfen, wie grundverkehrt sie mit ihrem ganzen Sozialismus immer schon gewirtschaftet und regiert habe. Man gibt sogar zu, dass die Masse der Bevölkerung in Kuba besser gestellt war und immer noch ist als in den Dritt-Welt-Armenhäusern des Kapitalismus, aber man besteht darauf, dass ohne „effektives“, das heißt: kapitalistisches Wirtschaften, ohne freien Zugriff des Dollar- und Euro-Kapitals, ohne eine Herrschaft, die sich ganz an dessen Interessen und den (Unter-)Ordnungsansprüchen der führenden kapitalistischen Mächte ausrichtet, ein Land nicht vorankommt. Sich dagegen 50 Jahre lang gesperrt und leidlich behauptet zu haben, das ist das Vergehen, das die bürgerliche Öffentlichkeit ausmacht und daher fordert: „Für wirksame Veränderungen ist auch ein Regimewechsel nötig“ (Hamburger Giga-Institut für Lateinamerika-Studien). Von diesem Anspruch her sind Zweifel angebracht, „dass die von Veteranen beherrschte KP die Wende schafft“. (SZ, 19.4.) So gestehen bürgerliche Experten ein, dass in der herrschenden Ordnung Wachstum der Wirtschaft nur mit einem brutalen Zusammenstreichen des Lebensunterhalts des Volkes zu haben sind. Daher sind für sie alle Reformen halbherzig und bringen nicht den Wandel, der ihrer Auffassung in Kuba seit Jahrzehnten überfällig ist: die Selbstaufgabe des Regimes und die Selbstabschaffung seiner Führung.
Linke Anhänger Kubas halten dagegen am Vorbild Kubas für den Kampf gegen Armut, Unterentwicklung und US-Imperialismus fest und dem Land seine schwierige Lage zugute. Sie teilen mehrheitlich das Selbstverständnis der kubanischen Führung, mit den Reformen würde darum gekämpft „selbst unter sehr komplizierten Bedingungen den Sozialismus zu erhalten und zu entwickeln“ und genau die „beispielhaften Errungenschaften für das Volk zu erhalten“, die gerade weitgehend abgeschafft werden. (junge Welt, 23.4.11) Offenkundig ist auch für sie selbstverständlich, dass die radikalen Reformen unerlässlich und die Verarmung des kubanischen Volkes der richtige Weg zur Bewahrung des Fortschritts in schwerer Zeit sind. Weder sich noch denen, die sie für Solidarität mit Kuba gewinnen wollen, geben sie Rechenschaft darüber, wofür und wogegen sich Kuba aufgestellt, für welchen Fortschritt und mit welchen Mitteln der Staat sich behauptet hat und was es heißt, wenn die kubanische Führung den Selbstbehauptungskampf des Staates als Verteidigung ihres Sozialismus begreift.
Die Veranstaltung zieht ausgehend von den Widersprüchen und Konsequenzen der aktuellen Reformen Bilanz über 50 Jahre kubanische Revolution. So viel steht fest: Wenn die kubanische Führung den radikalen Umbau ihres staatlich angeleiteten Produktions- und Verteilungssystems wie die bessere Fortsetzung ihres nationalen sozialistischen Wegs versteht und vertritt, dann wirft das kein gutes Licht auf ihr Staatsprogramm, das sie mit diesen Maßnahmen retten und voranbringen will. Offenkundig waren und sind Kubas Sozialisten der festen Überzeugung, dass zuerst der Staat vorankommen muss und dann erst das Volk. Deshalb waren all die sozialen Errungenschaften, die sie nun wegreformieren, auch darauf gerichtet, mit dem Volk den Staat voranzubringen. Dass diese Gleichung nicht aufgegangen ist, dass Kuba in der heutigen imperialistischen Welt überhaupt die Mittel dafür fehlen, das werfen sie jetzt sich und ihrem Volk vor – und machen sich an die Rettung des Staats zu Lasten des Volks. Das sortieren sie künftig danach, wer für das neue Staatsprogramm überhaupt noch gebraucht und wer aus Verwaltung und Staatsbetrieben ausgemustert wird – und schauen muss, ob und wie er auf sich allein gestellt über die Runden kommt… Eine Staatsreform in Richtung Dritt-Welt-Kapitalismus – im Namen des nationalen Fortschritts: Dahin hat es der kubanische Sozialismus gebracht…