Burschenschaften genießen Narrenfreiheit. Obwohl viele weit nach rechts driften, bleiben sie unbehelligt – auch, weil ihre „Alten Herren“ so gut vernetzt sind.
Das Wort „Burschenschaft“ kommt im jüngsten Verfassungsschutzbericht des Bundes genau einmal vor. Im Kapitel „Linksextremismus“, weil in Freiburg „ein vor dem Gebäude einer Burschenschaft abgestelltes hochwertiges Kraftfahrzeug“ abbrannte und die Brandstifter in der linksautonomen Szene vermutet werden.
Dabei gäbe es Gründe genug, vor allem auf die in der Deutschen Burschenschaft zusammengeschlossenen Verbindungen ein Auge zu haben. Als die Münchener Burschenschaft Danubia 2001 einen rechtsextremen Gewalttäter versteckte, ließ der damalige Landesinnenminister Günther Beckstein (CSU) einzelne Burschenschaften ein paar Jahre lang vom Landes-Verfassungsschutz überwachen. Aber das hat sich längst erledigt, als seien die Träumer von Großdeutschland, die Bewahrer eines rassistisch verstandenen Volkstums und die Anhänger einer autoritären Gesellschaftsordnung wieder verschwunden.
Dabei ist die Deutsche Burschenschaft in den vergangenen Jahren keinen Deut liberaler geworden – im Gegenteil: Die rechtslastige Burschenschaftliche Gemeinschaft hat an Einfluss gewonnen. Diese Gruppe innerhalb der DB hatte sich gegründet, um die Aufnahme österreichischer Verbindungen zu fördern. Dahinter steckte mehr: zum einen ein Streit um den Begriff „Deutsch“ im Namen des Verbands, den die Burschenschaftliche Gemeinschaft nicht über die Staatsangehörigkeit, sondern über die „Volkszugehörigkeit“ definiert sehen wollte. Diese Sicht gipfelte jetzt in dem – angesichts der medialen Aufmerksamkeit dann zurückgezogenen – Antrag, eine Mannheimer Verbindung auszuschließen, weil diese einen Studenten mit chinesischen Eltern in ihren Reihen duldet.
Und zum anderen ging es um eine Positionsbestimmung im studentenbewegten Klima nach 1968: Ein Teil der Burschenschaften wollte die Verbindungen modernisieren und unter anderem Relikte wie die Pflicht zur „Mensur“, zum Fechtduell, abschaffen. Einige gingen sogar so weit, Kriegsdienstverweigerer aufzunehmen.
Es kam zum Anschluss der Österreicher, die mit ihrer erzkonservativen, großdeutschen Ausprägung den rechten Flügel stärkten. Einige liberalere Burschenschaften spalteten sich später als Neue Deutsche Burschenschaft ab. Dass die Gesinnungsunterschiede sich allerdings im mikroskopischen Bereich bewegen, zeigen die Wahlsprüche von DB und NDB: Die einen haben „Ehre – Freiheit – Vaterland“ zum Motto, die anderen „Freiheit – Ehre – Vaterland“.
Spätestens seit der Abspaltung der NDB 1996 ist der rechte Flügel das bestimmende Element der Deutschen Burschenschaft. Zwar hat sie die Zugehörigkeit in extremistischen Vereinigungen mit der Mitgliedschaft in einer DB-Verbindung für unvereinbar erklärt. Ein Antrag, auch die Mitgliedschaft in der NPD auszuschließen, fand aber keine Mehrheit. Regelmäßig dürfen Vertreter der NPD und der Neuen Rechten in Verbindungshäusern ihre revanchistischen Reden schwingen. Dass die DB in ihrer Satzung das Ziel formuliert, die freie Entfaltung des deutschen Volkstums „unabhängig von staatlichen Grenzen“ zu fördern, passt wie die Klinge in den Schmiss.
Trotzdem lehnt der Bundesverfassungsschutz eine Beobachtung ab. Auf Anfrage der Linken antwortete das Innenministerium 2007: „Die ganz überwiegende Zahl der Mitgliedsburschenschaften unterhält keine Kontakte zu Rechtsextremisten.“ Auftritte von Referenten ließen „nicht auf eine inhaltliche Nähe des Dachverbandes zum Rechtsextremismus“ schließen. Und über Kontakte rechtsextremistischer Organisationen zu Burschenschaften lägen der Bundesregierung „keine Erkenntnisse vor“.
Das kann nicht wahr sein. Obgleich der Verfassungsschutz die Burschenschaft nicht beobachtet, können ihm deren zahlreiche Kontakte zu sehr wohl beobachteten Organisationen nicht verborgen geblieben sein. Sprüche, die Burschen klopfen, wenn sie sich im Vollwichs (einer Art Paradeuniform) zum Gelage versammeln, unterliegen der Meinungsfreiheit. Doch es ist die Pflicht des Verfassungsschutzes, dieses Milieu zu überwachen, weil es ein fruchtbarer Nährboden für militanten Extremismus ist.
Burschenschaften gelten offenbar als farbenfrohe Traditionsvereine, die mit Trinkritualen und kostengünstigem Wohnraum das akademische Leben bereichern. Woher diese Narrenfreiheit? Ganz einfach: Die Burschen betreiben professionelles Networking. Bei ihnen heißt es „Bundesbrüderlichkeit“. Die „Aktivitas“ der Deutschen Burschenschaft umfasst etwa 1300 Studenten; dem stehen rund 10000 „Alte Herren“ gegenüber. In Wirtschaft, Politik und Medienwelt wimmelt es von solchen Angehörigen studentischer Verbindungen.
Zwar darf man diese nicht über einen Kamm scheren. Viele Unionspolitiker sind in christlichen oder musischen Verbindungen, die mit der Deutschen Burschenschaft wenig bis nichts zu tun haben. Aber vielleicht trübt die Erinnerung an so manchen trinkfreudigen Kommers den „Philistern“, wie die Ex-Studenten heißen, das Urteilsvermögen. Anders lässt sich kaum erklären, dass in der Überwachung der rechten Szene eine so unübersehbare Lücke klafft.