Fast vier Jahrzehnte im Visier des Verfassungsschutzes

Erstveröffentlicht: 
11.06.2011

LEUTE IN DER STADT: Rolf Gössner, der in den 70er Jahren in Freiburg studierte und heute in Bremen lebt, berichtet nun von seinem eigenen Überwachungsfall.

 

"Er hat auch was Gescheites gelernt", stellt sein Freiburger Anwalt Udo Kauß den Referenten augenzwinkernd seinem Publikum im gut gefüllten Uni-Hörsaal vor. Dass er mal eine Lehre als Bankkaufmann gemacht hat, spielte allerdings im Leben von Rolf Gössner, das 1948 in Tübingen begann, die geringste Rolle. Nahezu vier Jahrzehnte stand er unter geheimdienstlicher Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das ist "die längste bekannt gewordene Dauerüberwachung einer unabhängigen Einzelperson", sagt Gössner. Beendet wurde sie erst, nachdem er vor dem Verwaltungsgericht Köln dagegen geklagt hatte. Nach fünf Jahren Verfahrensdauer wurden die Aktivitäten des Verfassungsschutzes im Februar dieses Jahres für rechtswidrig erklärt. Gössners Fall erregte bundesweit Aufsehen.

Als er auf Einladung der Humanistischen Union und des Instituts für Kriminologie und Wirtschaftsrecht in der Veranstaltungsreihe "Tacheles" in der Uni über "Verfassungsschutz in Aktion – wie viel Geheimdienst verträgt die Demokratie?" spricht, werden alte Erinnerungen wach. Schließlich hatte im Jahr 1970 in Freiburg alles begonnen, als der Freiburger Jurastudent Rolf Gössner zum Pressereferenten des Asta gewählt und Chefredakteur der Studentenzeitung "Basis" wurde. Es war die Zeit der neuen Ostpolitik und der Nachwehen von 1968.


Zu Veranstaltungen wurden auch mal Referenten aus der DDR eingeladen. "Wir wollten hören, wie dort das Leben läuft, und die neue Ostpolitik mit Leben füllen." Von da an war bei allem, was Gössner unternahm, der Verfassungsschutz an seiner Seite: Ob als Rechtsanwalt, Publizist, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Richter am Bremer Staatsgerichtshof, parlamentarischer Berater oder Geheimdienstkritiker.

Ob das unerschöpfliche Engagement des 2008 mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichneten Bürgerrechtlers und Mitherausgebers des Grundrechtsreports auch ohne seine Erfahrungen mit dem Verfassungsschutz solche Ausmaße angenommen hätte, darüber lässt sich nur spekulieren. Sicher ist: Den Eingriff des Geheimdienstes in sein Leben empfand er als ungeheuerlich. "Er hat sich der Deutungshoheit über mein ganzes politisches Leben bemächtigt." Nicht weil Gössner eigene verfassungsfeindliche Ziele zur Last hätten gelegt werden können.

Vorgeworfen worden seien ihm lediglich seine beruflichen und ehrenamtlichen Kontakte zu angeblich linksextremistischen Gruppen. "Jahrzehntelang wurde alles von mir registriert und gesammelt, was ich von mir gegeben habe", quittiert der schlanke Mann mit dem grauen Schnauzer mit beißender Ironie die "treue und aufmerksame Zuhörer- und Leserschaft" des Verfassungsschutzes. Anhaltspunkte dafür hatte es schon in Freiburg gegeben: Gössner bekam mit, dass sein Wohnumfeld ausgekundschaftet und bei Nachbarn geschnüffelt wurde. Eine Nachbarin hatte sich dem verweigert und ihm davon erzählt. Dass er, der seit 30 Jahren mit seiner Lebensgefährtin in Bremen lebt, trotz allem immer gern nach Freiburg zurückkehrt, hat auch damit zu tun, dass seine Mutter hier zuhause ist.

1996 wollte Gössner erstmals wissen, was Sache ist, und richtete eine Datenanfrage an das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ein erstes umfangreiches Dossier, das 25 Jahre umfasste, wurde ihm ausgehändigt. Alle zwei Jahre fordert er ein "Update" an. Mühsam hat er sich die Deutungshoheit über seine Lebensgeschichte zurückerobert. "Was hat das alles aus mir gemacht?", fragt er sich. "Hat sich klammheimlich eine Schere im Kopf eingenistet, die die eigene Meinungs- und Publikationsfreiheit beschneidet?" Und: Wie weit kann er als Anwalt seinen Mandanten, als Journalist seinen Informanten noch Informantenschutz gewährleisten?

Weil er seinen eigenen Überwachungsfall als "exemplarisches Lehrstück in Sachen Bürgerrechte und Demokratie" begreift, trägt er ihn mit erstaunlicher Distanz vor. Das Publikum soll begreifen: "Der Verfassungsschutz ist ein Meisterwerk der Täuschung und unmöglich zu kontrollieren." Mancher Zuhörer mag sich während des Vortrags gefragt haben, ob er nicht auch mal eine Datenanfrage an den Verfassungsschutz richten sollte.

Informationen unter http://www.rolf-goessner.de