Für den 1.6.2011 planen die Bewohner_innen des Flüchtlingsheims Stolpe Süd einen Boykott der ihnen monatlich ausgezahlten Wertgutscheine. Das Sozialamt wurde bereits postalisch informiert, dass es die Leistungen für Juni als Bargeld auszahlen soll und die Erniedrigung und Ausgrenzung durch Gutscheine nicht weiter hingenommen werden.
Um diesen Boykott zu unterstützen und unserem Protest gegen das Gutscheinsystem Ausdruck zu verleihen,
wird es am 1.6., ab 7 Uhr eine Kundgebung vor dem Flüchtlingslager
Stolpe Süd in Hennigsdorf geben. An diesem Tag sollen ab ca. 9 Uhr die
Gutscheine für Juni verteilt werden. Treffpunkt für Unterstützer_innen
ist 8 Uhr S-Bahnhof Hennigsdorf. Des Weiteren wird am 3.6. um 15 Uhr
eine Kundgebung auf dem Postplatz direkt beim S-Bahnhof in Hennigsdorf
stattfinden.
Weiter Aktionen für den Zeitraum des Boykotts sind
in Planung. Die Entscheidung darüber, ob die Versorgung von Flüchtlingen
mit Bargeld, Gutscheinen oder anderen Sachleistungen stattfindet, liegt
beim Landkreis Oberhavel. In zwei Drittel (12 von 18) der Landkreise in
Brandenburg wurde schon auf Geldleistungen umgestellt. Flächendeckend
ebenso in den Bundesländern Hamburg, Berlin, Bremen, Hessen,
Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorp. und Rh-Pfalz. Mit wenigen Ausnahmen
auch in NRW und Schleswig-H. und Sachsen (12 von 13 Kreisen). Dass der
Landkreis Oberhavel die Umstellung auf eine Bargeldauszahlung
verweigert, verkennt die Not der Flüchtlinge und die Nachteile von
Gutscheinen.
Gründe gegen die Gutscheine gibt es viele.
Flüchtlinge werden dadurch entmündigt. Sie können über ihr Geld nicht
frei entscheiden. Zum Beispiel sind Bücher, Kinderspielzeug,
Medikamente, Telefonkarten, Briefmarken, Eintritte in kulturelle
Einrichtungen oder Sportstätten mit Gutscheinen nicht bezahlbar. Auch
Fahrtkosten können mit Gutscheinen nicht bezahlt werden, was die (oft
willkürlich einberufenen) Termine beim weit entfernten Sozialamt zu
einem enormen Kostenpunkt macht (bei nur 40 Euro „Taschengeld“!). Sparen
wird durch das Verfallsdatum der Gutscheine verhindert. Restbeträge
(Rückgeld) werden nur bis zu 10% des Einkaufs erstattet und selbst das
wird von einigen Geschäften in Hennigsdorf verweigert. Die Flüchtlinge
müssen also in der Regel auf einen Teil des Wertes verzichten. All diese
Gründe zwingen die Flüchtlinge zu versuchen, möglichst viele ihrer
Gutscheine in Bargeld einzutauschen. Die Folge ist ein inoffizieller
Markt für Gutscheine, bei dem die Flüchtlinge oft um einen Teil ihrer
ohnehin extrem geringen Lebensgrundlage gebracht werden.
Dieser
Umstand trifft Familien mit Kindern am härtesten, da gerade diese dem
Druck ausgesetzt sind, neben der Lebenserhaltung auch die kindliche
Entwicklung mit Spielzeug und Unternehmungen fördern zu müssen. Denn ist
dies über die gesamte Dauer der Versorgung mit Gutscheinen von drei
Jahren nicht möglich, sind die Entwicklungsschäden durch die fehlenden
Betätigungsmöglichkeiten (in Kombination mit der innerfamiliären
Stresssituation durch unverhältnismäßige Armut bei nur knapp 70% des
Hartz-IV Satzes) kaum mehr zu beheben.
Darüber hinaus fördern die
Gutscheine die Stigmatisierung und Ausgrenzung der Flüchtlinge. An der
Kasse müssen die Flüchtlinge jedes Mal zeigen, dass sie fremd sind und
von Sozialleistungen leben. Dies fördert Tag für Tag das rassistische
Vorurteil „Die wollen nicht arbeiten“. Das faktische Arbeits- und
Ausbildungsverbot für Flüchtlinge ohne gesicherten Aufenthaltsstatus
wird hierbei jedoch stets unterschlagen.
Die Versorgung der
Flüchtlinge, die sich an dem Boykott beteiligen, soll über private
Spenden, sowie durch Spenden von Organisationen gesichert werden. Zu
diesem Zweck ist ein Spendenkonto beim Flüchtlingsrat Brandenburg
eingerichtet: Förderverein des Brandenburgischen Flüchtlingsrats e.V.
Mittelbrandenburgische Sparkasse Potsdam
Konto Nr.: 350 1010 000
BLZ: 160 500 00
KENNWORT: Hennigsdorf