[S] „Wir dürfen nicht wegschauen”

Erstveröffentlicht: 
16.04.2011

Winterbach. Nach dem Brandanschlag auf junge Männer wendet sich eine Kundgebung gegen Gewalt. Von Harald Beck und Annette Clauß

 

Den Anschein, rechtsextreme Umtriebe in ihrer Gemeinde zu ignorieren, wollen die Winterbacher nicht auf sich sitzen lassen. Fünf Tage nach dem Brandanschlag auf eine Gruppe junger Männer türkischer und italienischer Abstammung haben sich gestern gut 100 Menschen auf dem Marktplatz der Gemeinde im Rems-Murr-Kreis versammelt. Zu der Kundgebung hatte die Agendagruppe Kultur und Gesellschaft aufgerufen, die seit zehn Jahren das internationale Fest in Winterbach veranstaltet.

„Diese Jugendlichen helfen bei unserem Fest immer mit”, sagt Oda Ferber. „Ich war schockiert, als ich davon gehört habe.” Daher habe sie „in aller Schnelle” die Kundgebung organisiert: „Viele haben das Bedürfnis, sich dazu zu äußern.” Stifte und Papier liegen auf dem Marktplatz bereit, die Botschaften, die an einer Wäscheleine klemmen, sind klar: „Keine rechte Gewalt”, „Multikulti ist toll”, „Ich will mit meiner Familie friedlich in Winterbach leben”.

Letzteres hat Filiz Süle zu Papier gebracht. Die 43-Jährige lebt seit 38 Jahren im Remstal. „Ich bin hier groß geworden. Ich bin hier auf die Schule gegangen. Ich bin Winterbacherin.” Bisher habe sie nie schlechte Erfahrungen gemacht. „Aber jetzt habe ich Angst, wenn meine Kinder abends weggehen.” Mit ihrer Angst ist Filiz Süle nicht allein. Auch Hatice Arslan sorgt sich um ihre 15 und 18 Jahre alten Töchter Esin und Sahide. „Wir sind doch Nachbarn, wir feiern zusammen Feste”, sagt sie.

Auch der Gemeinderat hat sich zum Anschlag auf dem Gartengrundstück in einer Resolution geäußert. „Diese feige Tat ist durch nichts zu rechtfertigen”, heißt es darin. „Wir müssen uns gegen extremistische Tendenzen stellen, wir dürfen nicht wegschauen oder diese Tat in irgendeiner Weise relativieren. Den Opfern der Tat gilt unsere uneingeschränkte Solidarität.” Die Betroffenen bräuchten psychologische Betreuung, sagt Bürgermeister Albrecht Ulrich, der in Kontakt zu den Familien steht. „Sie wohnen hier, sie gehören zu uns - wir lassen uns nicht auseinanderdividieren.”

In Kontakt steht der Bürgermeister auch mit der Verwandtschaft des 35-Jährigen, der das Fest der Rechtsradikalen veranstaltet hat und bereits für einen Überfall auf einen griechischen Geschäftsmann verurteilt wurde. Der 35-Jährige wohne seit Jahren nicht mehr in Winterbach und sei auch nicht der Besitzer des Grundstücks. Dem Verwandten im Ruhrgebiet, dem es gehört, hat Ulrich ein Kaufangebot geschickt. Die Chancen, dass es die Kommune erwerben könne, stünden gut.

Unter dem Motto „Nazigewalt entgegentreten” findet morgen eine Demonstration in Winterbach statt. Die Polizei erwartet einige 100 Teilnehmer und wird laut dem Pressesprecher Ronald-Ingo Krötz präsent sein. In der gesamten linken Szene werde dafür mobilisiert. Es gebe aber keine Hinweise auf Gewaltbereitschaft.

Aktionen. Morgen um 15 Uhr beginnt auf dem Bahnhofsvorplatz Winterbach eine Demo, um 16 Uhr folgt eine Kundgebung in Schorndorf-Weiler. Am Montag, 18 Uhr, gibt es eine Mahnwache auf dem Winterbacher Marktplatz.