Gesamtverteidigung 1

Erstveröffentlicht: 
03.03.2011

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) lanciert eine PR-Kampagne für eine staatliche "Gesamtverteidigung" mit "hoher Schlagkraft". Jüngster Ausdruck der propagandistischen Offensive ist eine Ausstellung über Geschichte, Gegenwart und Zukunft des deutschen "Bevölkerungsschutzes", die zur Zeit im nordrhein-westfälischen Landtag gezeigt wird. Im Zentrum der Exposition steht eine vom BBK verkündete "neue Strategie", die auf die Aufhebung der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Trennung von zivilen Rettungsdiensten, Polizei, Militär und Geheimdiensten abzielt. Begründet wird das als "ganzheitlicher Denkansatz" angepriesene Konzept mit möglichen Konsequenzen der aggressiven deutschen Außen- und Militärpolitik, die Angriffe feindlicher Kombattanten im Inland befürchten lässt. Gleichzeitig gilt staatlichen Stellen die Organisation des deutschen Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes sowohl als Blaupause für EU-Vorschriften wie als Exportschlager: Gedacht ist unter anderem daran, die Strukturen des staatlichen deutschen Krisenmanagements nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch in der Volksrepublik China zu implementieren. Als Vorbild wird dabei regelmäßig das für den Fall von Naturkatastrophen und Terroranschlägen eingerichtete "Krisenzentrum" des Bundeslandes Hessen angeführt.

 

Neue Strategie

Aus Anlass des "Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit" hat der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Christoph Unger, unlängst eine Ausstellung seiner Behörde im nordrhein-westfälischen Landtag eröffnet. Im Zentrum der Exposition mit dem Titel "Menschen gemeinsam schützen" steht laut Unger die Abwehr des "internationalen Terrorismus" und der hierfür notwendige "neue strategische Ansatz" staatlicher Politik. Dieser firmiert dem BBK-Präsidenten zufolge unter der Bezeichnung "Bevölkerungsschutz" und zeichnet sich einerseits dadurch aus, dass er "rechtlich nicht definiert" ist und andererseits die "gemeinsame Verantwortung" aller staatlichen Ebenen betont. Folgerichtig begrüßte Unger in seiner Eröffnungsansprache nicht nur Angehörige der Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks (THW) und ziviler Rettungsdienste, sondern auch Offiziere der Bundeswehr. Darüber hinaus verwies der BBK-Präsident auf die enge Kooperation seiner Behörde mit der Bundespolizei und dem deutschen Inlandsgeheimdienst, dem Bundesamt für Verfassungsschutz.[1]

Trennlinien überbrücken

Im Mittelpunkt der Rede Ungers stand die vom BBK entwickelte "Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland". Gleich zu Beginn der entsprechenden Behördenpublikation ist davon die Rede, dass das "neue, sich in den vergangenen Jahren deutlich steigernde außen- und sicherheitspolitische Engagement Deutschlands" zu einer nationalen Bedrohung durch Angriffe feindlicher Kombattanten im Inland ("Terroristen") geführt habe. Eine Gefahr dieser Art sei nur durch einen "ganzheitlichen Denkansatz" zu kontern, der die "tradierten Trennlinien" zwischen Katastrophenschutzbehörden, Polizei und Militär "überbrückt", heißt es: Gerade die "unterschiedlichen gesetzlichen und administrativen Zuständigkeiten von Bund und Ländern" seien "nur in Deutschland üblich" und sowohl im Inland als auch international "schwer verständlich". Gefordert wird daher die Erarbeitung eines Konzepts zivil-militärischer "Gesamtverteidigung" mit dem Ziel, die "potenziell hohe Schlagkraft" des deutschen Katastrophenschutzsystems "zielgerichtet" auszubauen.[2]

Von Kindesbeinen an

Im Rahmen der "Gesamtverteidigung" vorgesehen ist unter anderem die Einrichtung kommunaler "Sicherheitsausschüsse", die als "wertvolles Instrument zur Optimierung der Vorsorge- und Abwehrvorbereitungen" bezeichnet werden. Angeregt wird darüber hinaus die "Integration von Selbstschutz- und Selbsthilfeinhalten in die vorschulische Erziehung sowie den Unterricht an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen". Zu denken sei auch an die "Einführung einer erweiterten allgemeinen Hilfeleistungspflicht bei außergewöhnlichen Gefahren- und Schadenereignissen", heißt es weiter. Um die genannten Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung durchzusetzen und ein entsprechendes "Problembewusstsein" zu erzeugen, fordert das BBK abschließend die Implementierung einer permanenten "offensive(n) Öffentlichkeitsarbeit".[3]

Die Widerstandskraft vergrößern

Gleichzeitig wird das Konzept der "Gesamtverteidigung" vom BBK als Vorbild für die Staaten der Europäischen Union angepriesen. Deutschland sei "durch operative Dienste besser ausgestattet als andere große europäische Länder", erklärt die Behörde. So plane man eine spezielle "Task Force gegen chemische und biologische Gefahren" und werde diese "auch im Rahmen des EU-Krisen- und Katastrophenmanagements europaweit anbieten".[4] Bei der EU-Kommission fallen Vorschläge dieser Art offenbar auf fruchtbaren Boden: In einem aktuellen Beschluss fordert das Gremium die Einrichtung eines "Europäischen Notfallabwehrzentrums", das für "jede Art von Katastrophe" zuständig sein soll. "Zivil-militärische Zusammenarbeit" wird in diesem Zusammenhang großgeschrieben: Das "Notfallabwehrzentrum" sei in die "Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" zu integrieren und diene sowohl der "inneren Sicherheit" der einzelnen EU-Staaten als auch der "Widerstandskraft" der EU insgesamt, heißt es.[5]

Verkaufsschlager

Parallel dazu entwickelt sich das deutsche Konzept der "Gesamtverteidigung" offenbar zum Verkaufsschlager. Eigenen Angaben zufolge führt das BBK zur Zeit gemeinsam mit der für die staatliche "Entwicklungshilfe" zuständigen Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem THW ein "Pilotprojekt" in der Volksrepublik China durch. Ziel sei die "Optimierung des chinesischen Katastrophenmanagements", heißt es. Wie die Behörde weiter mitteilt, wurden bereits "zahlreiche Funktionsträger aus der chinesischen Administration an der BBK-eigenen Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) sowie an der Bundesschule des THW über das deutsche System des Bevölkerungsschutzes informiert und in speziellen Fragestellungen des Katastrophenschutzes ausgebildet". In einem nächsten Schritt würden jetzt "auf chinesische Verhältnisse" angepasste "reale Risikoanalysen" nach dem "deutschen Modell" ausgewertet und weiterentwickelt.[6]

Krisenzentrum

Als Vorbild dient dem BBK dabei das von der hessischen Landesregierung zur Abwehr von "Großschadenslagen" und Katastrophen aller Art eingerichtete "Krisenzentrum". Wie der "Krisenstab" der Landesregierung mitteilt, hätten BBK und GIZ das "Krisenzentrum" als "Beispiel für eine gute Lösung" ausgewählt und es chinesischen Delegationen im Rahmen einer Fortbildung vorgeführt. Die "einheitliche Leitung" des "Krisenzentrums" obliegt der im hessischen Innenministerium angesiedelten "Abteilung Brand-Katastrophenschutz, Verteidigungswesen, Krisenmanagement"; beteiligt sind neben Feuerwehren und Rettungsdiensten auch die Landespolizeiämter und das Landeskommando der Bundeswehr.[7]

[1] Ausstellung des BBK "Menschen gemeinsam schützen" im Landtag NRW eröffnet; www.bbk.bund.de 02.02.2011
[2], [3], [4] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hg.): Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland. 2. Auflage, Bonn 2010
[5] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Auf dem Weg zu einer verstärkten europäischen Katastrophenabwehr - die Rolle von Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe; Bundesratsdrucksache 701/10
[6] Deutsche Experten zum Thema Risikoanalyse und Notfallplanung in China; www.bbk.bund.de 09.02.2011
[7] Hessisches Ministerium des Innern und für Sport: Krisenstab der Landesregierung zur Abwehr von Krisen, Großschadenslagen und Katastrophen von landesweiter Bedeutung. Präsentation mit Erläuterungen. Wiesbaden 2011