Zehn Monate Besetzung Gartenstrasse: Hausbesetzung nervt Anwohner

Gartenstraße 19
Erstveröffentlicht: 
08.02.2011

Anarchie ist machbar, Herr Nachbar – der alte Spontispruch ist in der Gartenstraße noch immer aktuell. Seit zehn Monaten haben Autonome das Häuschen mit der Nummer 19 in der Altstadt besetzt und scheinen geduldet. Doch einige Nachbarn sind mächtig genervt.

 

Die Besetzer


Im April 2010 hat die Freiraumkampagne "Plätze-Häuser-Alles" das seit 2004 leerstehende Gebäude in der Gartenstraße 19 besetzt und Gewinnmaximierung bei Immobilien kritisiert. Seither ist ein Kommen und Gehen, die Besetzung geblieben. "Ja, wer hätte das gedacht", sagt Peter. Die lose Gruppe, die sich "G 19" nennt, überlegt, wie sie das Einjährige begeht. Sie hat sich mit Sofa, Büchern, Küche eingerichtet. Das Häuschen ist von der Versorgung abgehängt. Solarpaneel und Autobatterie speisen Leuchtdioden, Wasserkanister stehen vor einem Klo.

"Es ist jetzt mehr als ein leerstehendes Haus", sagt ein anderer, "es ist ein Treffpunkt." Ältere und Schlechtergestellte kämen in den Umsonst-Laden, Studenten schauen rein und Menschen, die erzählen, dass sie bei der legendären Besetzung des Dreisamecks dabei waren. Dienstags ist vegane Volksküche, im Schuppen dahinter eine Radwerkstatt eingerichtet, ab und an Kino und freitags anarcho-syndikalistische Kneipe "auf Spendenbasis".

 

"Ein schöner Ort zum Leben", sagt Peter und meint auch die Lage. Es gebe keinen Stress mit dem Besitzer, in den letzten Monaten auch nicht mit Nachbarn. "Wir achten drauf", sagt er und schiebt nach "bestimmt wird es den ein oder anderen Nachbarn stören." Und wie geht es weiter? "Jetzt sind wir drin, jetzt bleiben wir." An der Fassade steht in roter Schrift: Die Anarchie ist unvermeidbar.

Die Nachbarn


Für Jelena Gavranovic vom Kosmetikstudio Skin direkt gegenüber hat die Nachbarschaft zwei Seiten. Die menschliche: "Die sind echt süß und noch jung." Die geschäftliche: Wenn sich die jungen Leute zum Protest sammeln, könne sie keine Kunden wellnessbehandeln. Da treffen zwei Welten aufeinander. Vor allem im Sommer wird draußen gekocht und getrunken, erzählt die Kosmetikerin, es gibt Hunde, Musik und Lagerfeuer. Inzwischen sei die Nummer 19 auch eine Anlaufstelle für Obdachlose. Kurz: "Es ist geschäftsschädigend." Sie muss ihre Ladenmiete zahlen, und wenn sie Stühle aufs Trottoir stellt, verlangt die Stadt Geld. Gegenüber nicht. "Das ist unfair."

Nicht alle Nachbarn haben ein Problem mit der Besetzung. "Es fällt nicht unangenehm auf", sagt zum Beispiel Josefine Rudolph, Verkäuferin im "Morgenland", einem Geschäft für Schmuck, Mode und Meditationsbedarf an der Ecke zur Erbprinzenstraße. Ihr Eindruck: "Sie halten sich eigentlich zurück."

"Es gibt sehr höfliche Leute da", sagt Michael Geis, Besitzer des Nachbarhauses, in dem er ein Büro hat. Aber es gebe eine Gruppe, bei der ihm nicht wohl ist. Die Besetzung ist ihm ein Dorn im Auge. "Nicht weil die Leute anders sind", sagt er, sondern weil sein Gärtchen als Toilette benutzt werde, Essensreste, Müll und Schrott ums Gebäude und im Weg lägen. "Die Stadt macht nix." Und warum gehen die Nachbarn nicht auf die Barrikaden? Dazu fehlt ein triftiger Anlass, sagt Geis.

Der Eigentümer


Der Eigentümer des Gebäudes, der woanders lebt, möchte sich nicht äußern. Und keinen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellen. Von seiner Seite kommt wohl keine Bewegung in die Sache, solange sich die Ausgangslage nicht ändert. Dabei geht es um seinen langjährigen Plan, anstelle des Häuschens ein Mehrfamilienhaus zu bauen, die Ablehnung der Stadtverwaltung und Rechtsstreitigkeiten. Da gibt es noch nichts Neues.

Die Behörden


Kein Strafantrag, keine Räumung, lautet die Devise der Stadtverwaltung. Das Ordnungsamt hatte den Eigentümer anfangs angeschrieben, sagt Leiter Walter Rubsamen. Ohne Reaktion. Die Behörde könnte auch von selbst einschreiten: aus Sicherheitsgründen wie Brandschutz, doch darauf gebe es keinen Hinweis. Tätig werden könnte das Amt auch wegen der Sitzbänke vor dem Häuschen oder der Kneipe dahinter: Die Besetzer brauchen dafür eigentlich eine Erlaubnis für die Möblierung öffentlichen Verkehrsraumes und für den Gaststättenbetrieb – Spenden hin oder her, weil es eine dauerhafte, regelmäßige Einrichtung ist. Aber: "Wir setzen andere Prioritäten", so Rubsamen. Es gebe hin und wieder Beschwerden über Ärgernisse, aber nichts, was ein Eingreifen erfordere. "Es wird offensichtlich noch hingenommen, da betreiben wir keine Eigeninitiative." Die Polizei muss laut Sprecher Karl-Heinz Schmid nicht verstärkt in der Gartenstraße tätig werden.