Spezialisten für Autonome?

Erstveröffentlicht: 
09.02.2011

Eine Studie über Sozialarbeit und linksautonome Jugendliche sorgt in Hamburg für Empörung

 

Eine laufende Studie zu linksautonomen Jugendlichen sorgt in Hamburg für Aufregung. Der AStA der Evangelischen Hochschule fordert die Einstellung der vom Bundesfamilienministerium geförderten Untersuchung.

 

»Zugänge der Jugendhilfe zu links-autonomen Jugendszenen in Hamburg«, ist das Projekt überschrieben, das Familienministerin Kristina Schröder mit 43 400 Euro fördert. Ein Forscherteam der Evangelischen Hochschule Hamburg unter Leitung von Thomas Möbius untersucht mit Leitfaden-Interviews den Bedarf nach Sozialarbeit für linksautonome Jugendliche. Befragt werden dabei Vertreter von sehr unterschiedlichen Institutionen, die sich mit der Szene beschäftigen – vom Straßensozialarbeiter bis zum Verfassungsschützer.

 

Vor allem Letzteres stößt beim AStA auf Argwohn, zumal Staatssekretär Hermann Kues das Projekt auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Monika Lazar ans Familienministerium dem »Themenbereich Linksextremismusprävention« zugeordnet hat. Die Studentenvertreter befürchten eine »Gleichsetzung von linken Utopien mit rechtem Gedankengut« und halten die Studie für »völlig inakzeptabel«, wie AStA-Referent Alexej Steinberg ausführt: »Damit werden unhinterfragt die Vorgaben des Geheimdienstes übernommen.«

 

Dem wird von den Professoren bei einer Diskussionsveranstaltung widersprochen. »Eine Extremismusstudie gibt es nicht, niemand hier benutzt diesen Begriff«, erklärt Hochschulrektor Michael Lindenberg. »Wenn wir eine Definition hätten, bräuchten wir sie nicht zu erfragen«, sagt Studienleiter Thomas Möbius. Nach etwa 15 durchgeführten Interviews würde kein Bedarf an weiteren Modellprojekten zu linksautonomen Jugendlichen festgestellt werden können, lässt sich Möbius zu einem vorsichtigen Zwischenfazit bewegen.

 

Die Evangelische Hochschule gehört zum 1834 von Johann Hinrich Wichern gegründeten Rauhen Haus, in dem christlicher Glaube und soziales Handeln miteinander verbunden werden sollen. Seit 1971 werden an der Hochschule Sozialpädagogen und Diakone ausgebildet, die kleine Universität mit zehn Professoren und 400 Studenten hat sich einen Ruf als kritische Institution erworben.

 

Die weitgehend sachlich geführte Debatte dreht sich um Grundsatzfragen: Ist es besser, eine kritische Hochschule führt die Untersuchung durch als etwa die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung? – wie von den Forschern angeführt. Oder tragen die Wissenschaftler mit ihrer Studie zu einem Diskurs bei, der letztlich nur die Stigmatisierung und Diskriminierung der entsprechenden Jugendlichen fördert? – wie zahlreiche Studenten kritisieren. Auch die Pädagogisierung politischer Einstellungen stößt auf Widerspruch: »Mit einer solchen Untersuchung werden die Jugendlichen als Störung definiert und zum Adressaten sozialer Arbeit gemacht«, kritisiert Studentenvertreter Steinberg. »Autonome Jugendliche sind aber keine Problemfälle, sondern fortschrittliche Kräfte.«

 

Es geht um Strategien und Begriffe, und um eine Gruppe junger Menschen, die kaum jemand so recht kennt. Mit linksautonomen Jugendlichen wird bei der Bedarfsanalyse wohl nicht gesprochen werden – bislang haben die Forscher noch keinen Kontakt herstellen können, das dürfte sich bis zum geplanten Studienabschluss im Juni auch nicht ändern. »Wenn ich überzeugt wäre, dass wir mit der Studie die falschen Interessen bedienen, würde ich als Prorektor für eine Rückgabe plädieren«, sagt Matthias Nauerth, der auch an der Untersuchung mitwirkt. »Aber das sehe ich nicht.«

 

Die Wogen kann der Soziologe damit nicht glätten. Der AStA bleibt bei seinem Boykottaufruf an alle kontaktierten sozialen Projekte, Rektor Lindenberg sieht keine Veranlassung, die Forschung einzustellen: »Wir rechtfertigen diese Studie nicht, wir führen sie durch.«