Skandal um V-Mann London nimmt Undercover-Cops an die Kandare

Mark Kennedy alias Stone: "Wir wissen, dass du ein Cop bist"
Erstveröffentlicht: 
19.01.2011

Sieben Jahre lang hat der verdeckte britische Ermittler Mark Kennedy linke Gruppen in Europa ausspioniert und zu Protesten angestiftet. Jetzt hat das Doppelleben des Öko-Aktivisten Konsequenzen für Scotland Yard. Der Spitzel selbst trägt sich nach eigenen Angaben mit Selbstmordgedanken.

 

Mark Kennedy fühlt sich in diesen Tagen nicht wohl in seiner Haut. Sein Leben sei ein einziger Alptraum, sagt er. Er sei in den USA untergetaucht und schlafe in einem verbarrikadierten Raum - weil er Angst um sein Leben habe. Von seinen einstigen Mitstreitern erhalte er Todesdrohungen. Seine früheren Bosse suchten nach ihm.

 

Der 41-jährige Brite hat jahrelang ein doppeltes Spiel gespielt: Von 2002 bis 2009 war er als verdeckter Ermittler im Auftrag von Scotland Yard in der militanten Umweltszene aktiv, zunächst in Großbritannien, danach in ganz Europa. Nach Angaben von Mitstreitern hat er als Agent provocateur viele Proteste noch angeheizt.

 

Die umstrittene Undercover-Aktion, über die auch der SPIEGEL berichtete, hat nun Konsequenzen für die britische Polizei. Die liberalkonservative Regierung von Premier David Cameron kündigte an, Kennedys alte Spezialeinheit künftig enger an der Leine zu führen und deren Arbeit transparenter zu machen. Bei dem Einsatz sei offenbar einiges "sehr schiefgelaufen", räumte der zuständige Innenstaatssekretär Nick Herbert ein.

 

Kennedy arbeitete für die geheimniskrämerische National Public Order Intelligence Unit (NPOIU), eine von mehreren Anti-Terror-Einheiten, die der Association of Chief Police Officers (Acpo) unterstehen. Die Acpo ist keine Behörde, sondern eine private Firma hochrangiger Polizeibeamter, an die Scotland Yard heikle Aufträge outsourct, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren soll.

 

Da die 1997 gegründete Organisation privat ist, unterliegt sie nicht dem Informationsfreiheitsgesetz und ist der Öffentlichkeit nicht im gleichen Maße Rechenschaft schuldig wie die Polizei. Laut "Guardian" hat die NPOIU eine Datenbank mit rund 2000 Aktivisten-Profilen angelegt, auf die nicht nur die Polizei Zugriff hat. Die profitorientierte Acpo verkauft ihre Daten auch an Kraftwerksbetreiber und andere interessierte Firmen.

 

AKW-Aktivist im Namen Ihrer Majestät


Die Regierung beeilte sich nun, zu versichern, dass die NPOIU ebenso wie zwei weitere Spezialeinheiten künftig direkt Scotland Yard unterstellt wird und damit der gleichen Kontrolle wie die reguläre Polizei unterworfen ist. Der Innenausschuss des Unterhauses will die Ausgaben der NPOIU überprüfen. Auch die Polizeiaufsichtsbehörde leitete eine Untersuchung ein.

 

Tatsächlich wirft der Fall die Grundsatzfrage auf: Wie weit darf die Polizei bei der Überwachung von militanten Aktivisten gehen? Bei Kennedy verwischten die Grenzen zwischen Polizei- und Geheimdienstarbeit.

 

Wie ein Geheimagent hatte er eine "Legende", komplett mit falschem Pass und erfundener Biografie. Im Namen Ihrer Majestät hängte der Hobbykletterer Protestbanner an Kräne und blockierte Züge. Er reiste zu den G-8-Gipfeln nach Gleneagles und Heiligendamm. Wo es Proteste gab, war Kennedy mittendrin. Einmal wurde er sogar von anderen Polizisten zusammengeschlagen.

 

Mit Pferdeschwanz, Zottelbart und tätowierten Armen hatte er sich die perfekte Tarnung zugelegt. Den anderen Aktivisten stellte er sich als Mark Stone vor. Sie nannten ihn "Flash", weil er immer Geld hatte. Das stammte vom britischen Staat, doch er erzählte ihnen, er verdiene es mit Drogengeschäften.

 

Es sei kein schlechter Job gewesen, bilanzierte der "Guardian" trocken. "Er konnte auf Bäume klettern, Drinks kaufen, mit Mädels schlafen und sich an Atomkraftwerke ketten - alles auf Kosten des Steuerzahlers." Dafür leitete er Informationen über bevorstehende Proteste an die Behörden weiter.

 

"Wir wissen, dass du ein Cop bist"


Das Doppelleben hatte ein Ende, als Kennedys Freundin, selbst in der Szene aktiv, im vergangenen Sommer seinen Pass sah und so seinen wahren Namen erfuhr. Sie teilte diese Entdeckung mit anderen Aktivisten, und bald darauf erhielt Kennedy nach eigenen Angaben einen Anruf: "Wir wissen, dass du ein Cop bist."

 

Schon vorher waren einige Mitstreiter misstrauisch geworden, als Kennedy im April 2009 nach einer Massenfestnahme vor dem Kohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar als Einziger von mehr als hundert Aktivisten auf einen Anwalt verzichtete und später freigelassen wurde. Im September 2009 erklärten Kennedys Chefs daraufhin die Undercover-Aktion für beendet. Er ließ sich jedoch etwas Zeit, seine alten Bande zu kappen.

 

Obwohl die Ereignisse schon einige Monate zurückliegen, wurden sie erst vergangene Woche publik, als die Staatsanwaltschaft in Nottingham die Anklage gegen sechs Öko-Aktivisten fallen ließ - um die Undercover-Aktion am Kraftwerk geheim zu halten. Der "Guardian" enthüllte die ganze Geschichte.

 

Seither sorgt der Fall für eine aufgeregte Debatte über die Aufgaben der britischen Polizei. Nicht nur die linke Szene ist empört über die Unterwanderung. Auch konservative Kommentatoren halten es für eine kolossale Geldverschwendung, mit so großem Aufwand einige harmlose grüne Aktivisten zu überwachen. Kennedys siebenjähriger Undercover-Einsatz hat 1,75 Millionen Pfund gekostet - ohne nennenswerte Resultate.

 

Die britische Polizei habe offensichtlich zu viel ferngesehen, lästerte die konservative "Daily Mail". Doch die Öffentlichkeit wolle keinen James Bond, sondern ganz normale Polizeiarbeit.

 

Kennedy selbst kämpft um seinen Ruf. Auf der Flucht vor seinem alten Leben ist er in den USA untergetaucht. Von dort meldete er sich am Wochenende zum ersten Mal zu Wort. In einem Interview mit der "Mail on Sunday", für das er einen sechsstelligen Betrag kassierte, beklagte er sich bitter über den Versuch seines alten Arbeitgebers, ihn als wild gewordenen Abtrünnigen zu porträtieren, der gegen die Regeln verstoßen habe.

 

Jetzt versucht er einen radikalen Neuanfang


Er solle zum "Sündenbock" gemacht werden, sagte er der "Mail". Doch seien alle Aktionen stets mit seinen Vorgesetzten abgesprochen gewesen. Er stritt auch den Vorwurf ab, gezielt mit Frauen geschlafen zu haben, um an Informationen zu gelangen. Er habe nur mit zwei Frauen sexuelle Beziehungen gehabt, eine davon sei fünf Jahre lang seine Freundin gewesen.

 

Tatsächlich scheint der Ermittler in dem Leben als Öko-Aktivist aufgegangen zu sein. Er habe echte Freundschaften geschlossen und echte Liebe gefunden, sagt er. Das alles ist nun schlagartig vorbei - einer der Gründe, warum er sich nach eigenen Angaben mit Selbstmordgedanken trägt.

 

Auch seine Familie, die in Irland lebt, ist am Boden zerstört. "Meine Kinder und ich sind zutiefst bestürzt über die Berichte und Vorwürfe gegen meinen Mann", teilte seine Frau Edel Kennedy mit. Laut Mark Kennedy ist die Ehe mit der Irin schon vor zehn Jahren gescheitert und besteht nur deshalb noch auf Papier, weil die gläubige Katholikin eine Scheidung abgelehnt hat. Laut "Telegraph" hat seine Frau den Nachbarn in Irland bis zuletzt eine heile Welt vorgespielt und seine Abwesenheit mit der Arbeit als Undercover-Polizist in England erklärt.

 

Kennedy versucht nun wieder einen radikalen Neuanfang. Auf dem aktuellen Foto in der "Mail" war er kaum wiederzuerkennen: Seine langen Haare waren einem ordentlichen Kurzhaarschnitt gewichen. Statt der abgerissenen Aktivisten-Klamotten trug er einen braven dunkelgrünen Pullover und ein kariertes Hemd. Die britischen Medien sehen in ihm mindestens ebenso ein Opfer wie einen Täter. Kennedys Geschichte, so die "Mail", sei "in vieler Hinsicht traurig".