Die Linkspartei will im Landtag die Einsetzung einer historischen Kommission beantragen. Ein Gespräch mit Rüdiger Sagel
Rüdiger Sagel ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Landtag NRW
Am Mittwoch, 19. Januar, wird der Landtag
Nordrhein-Westfalens über einen außergewöhnlichen
Antrag der Fraktion Die Linke beraten. Anliegen ist, eine
historische Kommission im Landtag zu bilden, um die
Nazi-Vergangenheit insbesondere der früheren CDU- und
FDP-Abgeordneten zu beleuchten. Was kann dabei ans Tageslicht
kommen?
Ich hatte bereits 2009 dem Landtag das Ergebnis einer Studie
»60 Jahre Landtag Nordrhein-Westfalen – Das vergessene
braune Erbe« vorgelegt. Diese Untersuchung belegt: Mehr als
40 Abgeordnete der bürgerlichen Parteien im Landtag nach dem
2. Weltkrieg waren in der Nazizeit Mitglied der NSDAP oder wirkten
bei parteinahen Organisationen wie SS oder SA mit. Darunter nicht
weniger als acht Fraktionsvorsitzende und zwei spätere
Landesminister, zum Beispiel Willy Weyer (FDP) und Paul Mikat
(CDU).
Insbesondere in der FDP war der Anteil ehemaliger Nazis hoch: In
den Nachkriegsjahren hatte mehr als jeder fünfte
FDP-Landtagsabgeordnete eine braune Vergangenheit. Die Partei war
in NRW regelrecht unterwandert. Zwischen 1955 und 1975 wurde die
FDP-Fraktion von sechs ehemaligen Nazis, darunter drei
SS-Männern geführt. Im 2008 erschienenen Jahrbuch
»60 Jahre Landtag in Nordrhein-Westfalen« hatte
allerdings nur ein einziger Abgeordneter auf seine
Nazi-Vergangenheit hingewiesen. Alle anderen haben sie
verschwiegen. So wird deutlich, daß eine Aufarbeitung
dringend notwendig ist.
Bereits 2009 hatten Sie einen Antrag eingereicht, eine
historische Kommission einzurichten. Welche Reaktion gab es
damals?
Alle Fraktionen im Landtag haben den Antrag damals abgelehnt. Man hat das lapidar abgetan, es bestünde keine Notwendigkeit. Man müsse sich das jetzt nicht vorwerfen lassen, habe sich mit seiner Vergangenheit bereits hinreichend auseinandergesetzt, so der Tenor der Christdemokraten.
Wieso konnte das so lange unter dem Deckel gehalten
werden?
Die Vergangenheit dieses Personenkreises im Landtag NRW ist bis zum Erscheinen meiner Studie niemals erwähnt worden. Beim Bundesarchiv in Berlin hatte niemand angeklopft, um die Vergangenheit der Landtagsabgeordneten in NRW zu erfragen. Keiner dieser Beteiligten am faschistischen System hat seine ehemals braune Gesinnung öffentlich eingeräumt. Einige der Abgeordneten waren Nazis der ersten Stunde, sie waren sogar vor 1933 eingetreten.
Welche Aussichten gibt es im jetzigen Landtag, dieses
Thema wieder aufzugreifen? Mit den Stimmen der SPD, der Grünen
und jetzt auch der Linken wäre die nötige Mehrheit da
– aber 2009 hatten die beiden ersteren Parteien eine
historische Kommission noch für unnötig
gehalten.
Wie sich SPD und Grüne verhalten werden, ist noch nicht klar – mittlerweile hat sich aber einiges getan. Meiner Studie hatte man Einseitigkeit unterstellt, obgleich alle Fakten in der Broschüre, die von meiner Internetseite unter www.sagel.info heruntergeladen werden kann, präzise belegt sind. Danach gab es verschiedene Fernsehberichte, die sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigten. Insofern setze ich darauf, daß die Einsicht in die Notwendigkeit der Vergangenheitsaufarbeitung bei allen anderen Parteien mittlerweile gewachsen ist. Einzelne Abgeordnete haben mich schon darauf angesprochen, weil sie einen ZDF-Report zum Thema gesehen hatten. Vor einigen Wochen gab es eine Debatte, bei der man der Linken vorhielt, ihre Vergangenheit nicht aufarbeiten zu wollen. Als Replik darauf hatte ich gesagt, die CDU solle sich erst um ihre eigene braune Vergangenheit kümmern. Daraufhin ist die CDU-Abgeordnete Andrea Verpoorten ausgerastet und hat mich angebrüllt, sie werde mich juristisch belangen. Ich habe sie dann dazu ermuntert – ich kann ja alles öffentlich belegen.
Es ist offenbar CDU- und FDP-Landtagsabgeordneten neu,
sich für die braunen Wurzeln ihrer Parteien rechtfertigen zu
müssen. Um so lieber haben diese umgekehrt Abgeordneten der
Fraktion Die Linke in der Öffentlichkeit angeschwärzt,
sie würden vom Verfassungsschutz überwacht
…
Besonders im Wahlkampf. Anfang 2010 hat man das mir z.B. unterstellt – insbesondere der ehemalige CDU-Minister Laschet. Deshalb zog ich vor das Amtsgericht, um Klage gegen meine Überwachung einzureichen. Herauskam, daß ich weder überwacht werde, noch daß es beabsichtigt ist, das zu tun.