Eine kritische Auseinandersetzung mit den Berichten der Leipziger Volkszeitung zur Silvesternacht am Connewitzer Kreuz und der Demonstration von diesem Abend an jener Stelle. Der Text stammt von der Seite Diffusionen, einem Projekt der Engagierte Wissenschaft e.V. (EnWi).
Die Enttäuschung ist erkennbar groß: “Chaoten
halten sich zurück” heißt es am 3.01.2011 in der Leipziger Volkszeitung (LVZ).
Dabei hatte das Blatt noch am 31. Dezember ahnungsvoll geraunt: “Angst
vor Krawallen in Connewitz”. Wegen der “befürchteten Silvesterkrawalle”
wurde das Gebiet um das Connewitzer Kreuz mal wieder zum “Sperrgebiet”
erklärt. Anders als in den Vorjahren unterließ es die Polizei jedoch,
mit Hunderten Beamten aufzumarschieren. Die Einsatzkräfte hielten sich
diesmal in Seitenstraßen bereit. Ob es an dieser veränderten Taktik lag
oder daran, dass die “gewaltbereite Szene” (LVZ) auch nicht mehr das
ist, was sie (in den Augen der Zeitung) mal war — jedenfalls konstatierte die Polizei im Nachhinein
eine “weitestgehend friedliche” Silvesternacht. Auch am Kreuz musste
sie nicht einschreiten (obwohl angeblich ein Flaschwenwerfer den an
einer Ecke postierten Polizeipräsidenten Wawrzynski aufs Korn genommen
hatte), selbst eine kurze Spontandemo wurde toleriert.
Gern hätte
man als LVZ-Leser gewusst, ob mit dieser Aktion (der Demo, nicht den
Flaschenwürfen) eine politische Botschaft verbunden war. Auf LVZ-Online
heißt es zumindest (die Pressemitteilung der Polizei wiedergebend),
dass der Zug ein Transparent mit der Aufschrift “Nazis raus” mit sich
führte. Auf Fotos bei LVZ-Online ist davon zwar nichts zu sehen, statt
dessen sieht man da die Losung: “Wut und Trauer überwinden – Zusammen gegen Rassismus kämpfen!” — offensichtlich noch mal anknüpfend an die “Das Schweigen brechen”-Demonstration am 29. Dezember
aus Anlass der Ermordung von Kamal K. vor wenigen Wochen. (Diese
angemeldete Demo war der LVZ am 30. Dezember nur wenige Zeilen wert, in
denen u.a. ohne irgendeine Quellenangabe geraunt wurde, der Umgang des
“Initiativkreis Antirassismus” mit der Problematik sei “mittlerweile in
der linken Szene umstritten”.)
In der Printausgabe der LVZ vom 3.
Januar findet sich jedoch gar kein Hinweis auf diesen Hintergrund.
Statt dessen wird da lediglich von einem “Marschblock mit etwa 300
teilweise vermummten Antifas” geschrieben, der über das Kreuz gezogen
sei. Die militaristische Sprache ist kein Einzelfall: Der Kiez verfüge
über eine “erstaunliche Feuerkraft”, attestiert der Autor angesichts der
hier zum Jahreswechsel gezündeten Feuerwerkskörper. Der “Anteil von
Krawalltouristen” sei nach Ansicht von “Szenekennern” diesmal sehr
niedrig gewesen, “Szene-Strategen” hätten ihrer “erlebnisorientierten
Klientel” anscheinend “bewusst Zurückhaltung auferlegt”. Ganz in den
Bereich der Stadt-Guerilla-Taktik driftet Polizeireporter Frank Döring
schließlich in seinem Kommentar ab: Die “gewaltbereiten Chaoten” seien
noch nicht “Matt gesetzt”. Diese würden – wie eine Schneeballschlacht im
November gezeigt habe – “nur auf eine Blöße der Ordnungshüter lauern,
um zuzuschlagen.” Es sei nur eine “Pattsituation” entstanden, der “harte
Kern der Autonomen” nicht verschwunden. Deshalb solle die Polizei den
“Treffpunkt der gewaltbereiten Szene” besser weiterhin gut behüten.
Tja,
wenn es da nicht einen “harten Kern” gebe, der sich dieses Mal leider
fieserweise zurückgehalten hat bzw. von den ominösen “Szene-Strategen”
dazu angehalten wurde, dann wüsste die LVZ wahrscheinlich gar nicht, was
sie Jahreswechsel um Jahreswechsel vom Connewitzer Kreuz berichten
sollte. Und der Polizeireporter müsste darauf verzichten, den
wagemutigen Frontberichterstatter herauszukehren.
Auch am zweiten
Einsatzschwerpunkt der Polizei in Großzschocher – dort hielt sich
offenkundig kein LVZ-Reporter auf – blieb ruhig. In diesem Stadteil
hätten im Vorjahr “Chaoten” eine Sparkasse verwüstet. Mit der
Bezeichnung “Chaoten” ist die LVZ wirklich sehr freigiebig. Immerhin
werden bei Berichten aus dem Frontgebiet Connewitz hin und wieder auch
die Bezeichnungen “Antifas” und “Autonome” eingestreut. Dass es sich bei
den “Chaoten”, die zum Jahreswechsel 2009/2010 ungestört durch
Polizeihundertschaften (die waren ja alle am Kreuz) eine
Sparkassenfiliale demolierten und eine Straßenbahn angriffen, um bekannte Jung-Nazis
handelte, hält die Zeitung aber konsequent nicht für erwähneswert.
Vielleicht weiß sie es auch einfach nicht besser, da die ihre Recherchen
auf die “Szene” in Connewitz konzentriert. Dabei kursiert(e) bei
Youtube sogar ein Video, dass die Kameraden bei ihrer Randale zeigt.
Und auch in diesem Jahr wollten die Leipziger Neonazis offenbar unbedingt beweisen, dass mit ihnen noch zu rechnen ist. Laut Indymedia
zogen am Neujahrsabend einige von ihnen durch den Leipziger Westen.
Laut einer Nazi-Seite forderten die angeblich hundert Demonstranten
dabei mal wieder ihr “Recht auf Zukunft ein”. Die Polizei hat’s offenbar
nicht mitgekriegt, und daher wird man wohl auch in der LVZ nichts
darüber lesen können.
Fotos vom Silvesterabend am Kreuz:
http://nachrichten.lvz-online.de/silvester-connewitzer-kreuz/r-detailansicht-galerie-6495-359695.html
Artikel der Leipziger Internetzeitung:
Viel Lärm um nichts: Leipziger begrüßen das neue Jahr so friedlich wie schon lange nicht mehr
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Texte in der LVZ zu Silvester vom 3.01.2011
Silvesterruhe in Connewitz - bald weniger Polizei?
Randale fallen aus / Sachsenweit vor allem Briefkästen beschädigt
Leipzig (F. D./dpa). Aufatmen in Leipzig: Der Jahreswechsel am Connewitzer Kreuz blieb gewaltfrei. Zwar sei man auf Zwischenfälle in den folgenden Nächten vorbereitet, so Polizeipräsident Horst Wawrzynski. Allerdings wird jetzt auch über eine geringere Polizeipräsenz zu Silvester 2011 nachgedacht.
Mehrere Hundertschaften hatten in der Silvesternacht in Connewitz Position bezogen. Im Unterschied zu den Jahren zuvor standen die Einheiten sehr zurückgezogen, waren für die meisten der etwa 1000 Menschen, die am Kreuz feierten, kaum zu sehen. Zu Ausschreitungen kam es nicht, allerdings wurde Polizeichef Wawrzynski von Flaschenwerfern unter Beschuss genommen. Ob die Polizei nach dem friedlichen Jahreswechsel künftig weniger Einsatzkräfte nach Connewitz beordert, ist noch offen. Am zweiten Einsatzschwerpunkt in der Silvesternacht in Großzschocher blieb es ebenfalls ruhig. Im Vorjahr hatten hier Chaoten eine Sparkasse verwüstet. Laut Polizei kam es im Stadtgebiet zu mehreren Prügeleien mit Verletzten. Außerdem stellte die Polizei einen 26-Jährigen, der ein Verkehrsschild aus der Verankerung gerissen und auf die Straße geworfen hatte.
Sachsenweit verlief die Silvesternacht überwiegend entspannt. "Es war ruhig", hieß es bei den Lagezentren der Polizei am Neujahrsmorgen. Wie immer gab es aber die silvestertypischen Handgreiflichkeiten unter Betrunkenen. Zudem wurden unzählige Briefkästen, Telefonzellen und Müllcontainer mit Böllern beschädigt. In etlichen Orten gingen Briefsendungen in Flammen auf, nachdem Böller in den Briefkästen explodierten. In Görlitz prügelten sich polnische Jugendliche aus Zgorzelec mit Görlitzern, die an der Altstadtbrücke Raketen zündeten.
Eine verspätete Silvesterrakete hat in der Frankenberger St.-Aegidien-Kirche einen Brand ausgelöst. Der Schaden wird auf 5000 Euro geschätzt. Die Polizei musste immer wieder alkoholisierte Autofahrer aus dem Verkehr ziehen. Im Zwickauer Ortsteil Ebersbach rief ein Betrunkener sogar selbst die Polizei, weil er sein Fahrzeug auf einen Schneehaufen gesetzt hatte. Im Plauener Ortsteil Kleinfriesen schlief ein Betrunkener in der Silvesternacht bei laufendem Motor mehrere Stunden lang in seinem Auto, bis er von der Polizei geweckt wurde.
Chaoten halten sich zurück
Friedfertige Connewitzer dominieren Silvesternacht am Kreuz / Einzelne Flaschenwürfe auf Polizeichef
So friedlich war es seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz: Etwa 1000 Menschen feierten den Jahreswechsel an Leipzigs bestbewachter Kreuzung, ohne dass es zu den befürchteten Krawallen kam. Das massive Polizeiaufgebot blieb nahezu unsichtbar. Chaoten hielten sich mit Provokationen zurück - abgesehen von gezielten Flaschenwürfen auf den Polizeipräsidenten.
Gegen 23 Uhr steht ein einziger Polizeiwagen am Kreuz. Es ist das Info-Team, die Spezialisten für Kommunikation und Deeskalation. Ihre Kollegen - mehrere Hundertschaften sind in dieser Nacht im Einsatz - haben sich weit zurückgezogen. Keine Demonstration der Stärke wie noch 2009, als ein langer Konvoi mit voll besetzten Mannschaftswagen kurz vor 0 Uhr im Schritttempo quer über den Platz fuhr und Beamte mit Schlagstöcken an allen Nebenstraßen aufmarschierten.
"Die Leute sollen feiern können", sagt Polizeiseelsorger Stephan Bickhardt, der mit dem Pfarrer der Paul-Gerhardt-Kirche, Reinhard Junghans, erstmals zur Andacht einlädt. Vor der geöffneten Kirchentür an der Selnecker Straße beten sie für Frieden am Connewitzer Kreuz. Es ist fünf vor zwölf.
Dann liegen sich am Kreuz auch schon die Menschen in den Armen, prosten sich mit Pappbechern zu oder reichen Magnumflaschen herum. Es sind viele Familien hier, Anwohner vor allem. Szenekennern fällt auf, dass der Anteil von Krawalltouristen diesmal sehr gering sei. Tatsächlich zischen die Raketen gen Himmel und nicht in Richtung der wenigen sichtbaren Polizeibeamten. Böller explodieren, bengalische Feuer erhellen grell den Platz. Mehr als eine Stunde geht das so, der Kiez verfügt über erstaunliche Feuerkraft.
Gegen 0.45 Uhr kommt ein Marschblock mit etwa 300 teilweise vermummten Antifas aus der Bornaischen Straße, überquert das Kreuz in Richtung Zentrum, kehrt wenig später aber wieder zurück. Einige Buh-Rufe sind zu hören.
Gewaltbereite Autonome - der harte Kern umfasst laut Polizei etwa 70 Personen - halten sich auffällig zurück. Es wirkt fast so, als ob die Szene-Strategen ihrer erlebnisorientierten Klientel diesmal ganz bewusst Zurückhaltung auferlegt haben. Während Chaoten vor einem Monat bei einer Schneeballschlacht am Kreuz massiv Polizisten angriffen und zwei Beamte verletzten, bleiben derlei Attacken diesmal die Ausnahme.
Ein Flaschenwerfer nimmt immer wieder Horst Wawrzynski ins Visier. Der Polizeipräsident hat an der Ecke Arno-Nitzsche Straße Position bezogen, leitet den Einsatz von hier. Mehrfach schlagen Sektflaschen in seiner Nähe ein. Er und seine Mitarbeiter bleiben unverletzt. Wawrzynski ist davon überzeugt, dass diese Angriffe ausdrücklich seiner Person galten. Er behält die Fassung, belässt seine Hundertschaften in den Nebenstraßen. Gegen 2 Uhr leert sich das Kreuz allmählich. Die Polizei ruft die Stadtreinigung. Ein junger Mann mit Militärhosen und Kapuzenjacke torkelt durch die Wolfgang-Heinze-Straße, will eine Zigarette schnorren. "War ja gar nichts heute", mault er und stützt sich an einer Hauswand. "Na, mal abwarten, was noch geht." Frank Döring
Drei Fragen an ...
Polizeipräsident Horst Wawrzynski
Die befürchteten Silvesterkrawalle blieben aus, es brannten keine Barrikaden, niemand wurde verletzt. Ist Ihre Strategie aufgegangen?
Es ist ruhig geblieben. Einzelne Provokationen uns gegenüber waren zu erwarten. Es bleibt abzuwarten, wie die folgenden Nächte werden.
Im vorigen Jahr verlief der Jahreswechsel ebenfalls vergleichsweise friedlich, die Ausschreitungen wurden dann am 2. Januar nachgeholt. Befürchten Sie dieses Jahr ein ähnliches Szenario?
Ich hoffe, dass es diesmal ruhig bleibt, insbesondere Sachbeschädigungen ausbleiben. Wir haben die notwendigen Vorbereitungen getroffen, um auch auf solche Zwischenfälle entsprechend reagieren zu können.
Sie sind immer wieder von Flaschenwerfern ganz gezielt unter Beschuss genommen worden. Halten Sie trotz dieser Attacken gegen Ihre Person an der zurückhaltenden Vorgehensweise der Polizei fest?
Diese Angriffe sind ganz gezielt und bewusst gemacht worden, da bin ich mir sicher. An der Einsatztaktik ändert das jedoch nichts. Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen. Interview: Frank Döring
Standpunkt
Patt am Kreuz
Von Frank Döring
Silvester am Connewitzer Kreuz mal ohne brennende Barrikaden, verletzte Polizeibeamte, zerdroschene Scheiben - es geht doch. Mit ihrem Schachzug, die Einsatzhundertschaften außerhalb des Blickfelds zu positionieren, dürfte die Polizeiführung zumindest beim moderaten Teil der Connewitzer Szene gepunktet und die Lage etwas entspannt haben. Matt gesetzt wurden die gewaltbereiten Chaoten damit nicht. Die Ausschreitungen im Zuge der Schneeballschlacht Ende November haben gezeigt, dass diese nur auf eine Blöße der Ordnungshüter lauern, um zuzuschlagen.
Am Kreuz ist deshalb wohl nur eine Pattsituation entstanden. Obwohl die Legitimation für Großeinsätze nach dem erneuten weitgehend friedlichen Jahreswechsel etwas geschwunden ist, sollte die Polizei besser nicht riskieren, den Treffpunkt der gewaltbereiten Szene unbehütet zu lassen. Der harte Kern der Autonomen ist nicht verschwunden. Er wartet nur ab, bis sich eine bessere Gelegenheit bietet.