An die Polizeidirektion Freiburg, die Gewerkschaft der Polizei, alle beteiligten Polizist_innen
Offener Brief zum Polizeieinsatz in Freiburg am Freitag, den 10.12.2010
Am Freitag, den 10.12.2010 fand in Freiburg ein deutsch-französischer Gipfel statt. Während Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vor dem Freiburger Münster militärische Ehren empfingen, wurde in der Innenstadt die politische Meinungsäußerung durch polizeiliche Repression verhindert. Im Rahmen eines „Carnaval de Résistance“ sollte bunt und laut auf die Schattenseiten der deutschen und französischen Politik aufmerksam gemacht werden. Verschiedene Gruppen wollten im Stadtzentrum ihre politische Meinung äußern. Doch das wurde bereits in der Entstehung durch einen unbegründeten, sofortigen und massiven Polizeieinsatz im Keim erstickt.
Die Sambagruppe Sam¡Basta! wurde wenige Minuten, nachdem sie in der Kaiser-Joseph-Straße zu spielen begonnen hatte, von der Polizei ohne jeden Grund unter Anwendung körperlicher Gewalt zurückgedrängt und eingekesselt. Im Anschluss an die anderhalbstündige Ingewahrsamnahme wurden alle Instrumente beschlagnahmt. Die Behandlung während der Kesselung und der anschließenden Personalien-Feststellung war absolut grotesk. Die Demonstrierenden wurden von Beginn an kriminalisiert, schikaniert und es wurde versucht sie einzuschüchtern. So wurde deutlich, wer bei „wichtigem Besuch“ öffentlich in Erscheinung zu treten hat und wer nicht. Mit absurden Vorwürfen wie der versuchten Körperverletzung durch Musik wurden im Verlauf der Behandlung durch die Polizei die Instrumente beschlagnahmt.
Zur gleichen Zeit wurde eine Gruppe Clowns von der Polizei aus der Innenstadt verwiesen und im Anschluss ohne jeden Anlass mitten in der Universität erkennungsdienstlich behandelt, einer der Clowns musste sich dabei bis auf die Unterwäsche ausziehen.
Die Ereignisse vom letzten Freitag sind für sich allein betrachtet schon traurig und erschütternd genug, doch es geht um viel mehr. Es lässt sich eine Entwicklung hin zu vermehrter Repression, Polizeigewalt und systematischer Unterdrückung von politischem Widerstand erkennen. Dies vor allem ist der Grund für diesen Brief.
Jeder Mensch steht mit seinem gesamten Handeln in der Verantwortung, der Gesellschaft gegenüber aber auch dem eigenen Gewissen. Wenn die Polizei nicht einmal die rechtsstaatlichen Regeln, die sie angeblich verteidigen soll, einhält, jede Verhältnismäßigkeit aus den Augen verliert und stattdessen als Arm der herrschenden Politik unliebsame Themen mit Gewalt aus der Öffentlichkeit drängt, so verliert sie ihre Legitimation selbst innerhalb der verfassten demokratischen Ordnung. Eine Polizei, die dazu dient bunte und laute Formen der politischen Meinungsäußerung aus den Innenstädten zu drängen, wollen und brauchen wir nicht.
Jede_r einzelne, auch ein_e Polizeibeamte_r, muss sich jederzeit über das eigene Handeln im Klaren sein und sich die Frage stellen, ob das, was er_sie gerade tut, richtig und verhältnismäßig ist. In Anbetracht der Aktionen mehrerer Ihrer Kolleg_innen am Freitag kann man diese Verhältnismäßigkeit nicht erkennen: Repression und Behinderung von Anfang an, gefolgt von einer gewaltsamen Ingewahrsamnahme, weil wir vorhatten, in der Innenstadt – weit weg von Merkel und Sarkozy – zu trommeln und zu tanzen und Aufmerksamkeit zu schaffen für die unliebsamen Konsequenzen der deutsch-französischen Politik, die allzuleicht zwischen Händeschütteln, militärischen Ehren und Selbstinszenierung untergehen. Die Vorgehensweise der Polizei am vergangenen Freitag gegen uns Clowns und Samba-Spielende hat uns von Beginn an kriminalisiert und als Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt. Sicherheitsbedenken im Rahmen des deutsch-französischen Gipfel sind keine Entschuldigung für das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstrierende.
Die Darstellung als kriminelle Chaot_innen, die allzu gerne gewählt wird, um Gruppen, die einen anderen gesellschaftlichen Umgang als Alternative zur bestehenden konsumorientierten und hierarchischen Gesellschaftsordnung vorstellen möchten, ist inakzeptabel und widerspricht jeder Form von politischer Offenheit und gegenseitigem Respekt.
Sie als Polizei sind durch ein derartiges Handeln dafür verantwortlich, dass Menschen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nicht mehr wahrnehmen können, bzw. unverhältnismäßige Repressionen befürchten müssen, sodass der Protest gegen die wachsenden Ungerechtigkeiten sinkt und sich immer mehr Menschen aus der aktiven Gestaltung eines gesellschaftlichen Miteinanders zurückziehen. Wenn gesellschaftliche Missstände nicht mehr in der Öffentlichkeit thematisiert werden können, während die verantwortlichen herrschenden Politiker_innen in der Stadt sind, wenn imaginierte Bedrohungen als Rechtfertigung zur Unterdrückung politischer Meinungsäußerungen herangezogen werden, dann entwickelt sich etwas in die genau falsche Richtung.
Es ist an der Zeit, über die Konsequenzen des eigenen Handelns nachzudenken und sich nicht mehr hinter Vorgesetzten und Befehlen zu verstecken. Genauso entschieden wie gegen das Verhalten einzelner Beteiligter wenden wir uns gegen Strukturen, die legitimen politischen Protest kriminalisieren und damit aus der Öffentlichkeit drängen.
Wir werden uns von Ihrem Verhalten nicht einschüchtern lassen. Von der Notwendigkeit unseres Widerstands sind wir überzeugter denn je. Wir wollen nicht in einer Gesellschaft leben, in der eine politische Meinung nicht mehr frei und laut in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten kann. Wir wollen nicht, dass die Straßen leer sind, wenn die Verantwortlichen für die vermeintlich in unserem Namen geführte Politik in die Stadt kommen. Ihr Verhalten aber führt genau dazu und schreckt mehr und mehr Menschen davon ab, in der Öffentlichkeit ihre politische Meinung zu äußern.
Wir bitten darum, diesen Brief allen Polizist_innen auszuhändigen, die am Einsatz am 10.12.2010 in Freiburg beteiligt waren.
Eine Stellungnahme ist erwünscht.
Sam¡Basta! Freiburg
Clandestine Insurgent Rebel Clown Army (CIRCA) Freiburg
Freiburg, 20.12.2010
Kontaktadresse:
Sam¡Basta!
c/o KTS
Freiburg
Basler Straße 103
79100 Freiburg
info at sambasta dot de