Durchsuchungen in vier Bundesländern: Razzia gegen rechtsextreme "Freizeitagentur"

Erstveröffentlicht: 
21.12.2010

Nach monatelangen Ermittlungen haben Polizisten in vier Bundesländern Räume von Führungspersonen der NPD-Jugendorganisation JN durchsucht. NDR-Informationen zufolge sind sie auch in der rechtsextremen "Interessengemeinschaft Fahrt und Lager" tätig. Auf Freizeitlagern soll die Organisation gezielt Kinder und Jugendliche mit rechtsradikalem Gedankengut beeinflusst haben.

 

Von Angelika Henkel, NDR, und Stefan Schölermann, NDR Info

 

Die Razzia galt Führungskadern der NPD-Nachwuchsorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN). Konkret richtete sich die Aktion gegen eine Gruppierung, die unter Verdacht steht, vor allem Kinder und Jugendliche in Freizeitcamps mit dem Gedankengut der Nationalsozialisten zu beeinflussen. In diesen Lagern sollen nach Angaben des LKA Niedersachsen rechtsextremistische und volksverhetzende Inhalte vermittelt werden. Ein solches Lager zum Jahreswechsel sollte durch die Durchsuchungen verhindert werden.

Da auch in diesem Fall Kinder und Jugendliche betroffen seien, spricht das LKA von einer erheblichen Jugendgefährdung. Hausdurchsuchungen gab es in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Berlin und Niedersachsen. Nach ersten Erkenntnissen wurden Unterlagen über die Planung und Durchführung des Jahreswechsellagers sichergestellt. Die vollständige Auswertung der sichergestellten Gegenstände dauert nach Angaben des LKA an.

 

Monatelange Ermittlungsarbeit

 

Nach Informationen des NDR sammeln Sicherheitsbehörden seit Monaten intensiv Material gegen die sogenannte "IG Fahrt und Lager". Vorbild der 2008 gegründeten "Interessengemeinschaft" ist die im vergangenen Jahr von Bundesinnenminister Thomas de Maizière verbotene "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ). In seiner vom Bundesverwaltungsgericht im Oktober bestätigten Entscheidung bescheinigt de Maizière der HDJ  eine "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus, insbesondere mit der früheren Hitlerjugend".

 

Jahreskalender mit rechtsextremen Inhalten

 

 

Von ähnlichem Kaliber ist offenbar die "Interessengemeinschaft Fahrt und Lager", die sich auch äußerlich ähnlicher Merkmale bedient wie die verbotene HDJ. Besonders entlarvend ist nach Ansicht der Ermittler der in Kreisen der "Interessengemeinschaft" verteilte "Jahreskalender". Er trägt den Namen "Unsere Gemeinschaft" - für die Monate werden germanische Bezeichnungen wie "Hartung" (Januar) und "Nebelung" (November) verwendet.

Vor allem aber gibt der Kalender Auskunft über grundsätzliche Ansichten und Orientierungen der "Interessengemeinschaft". Dabei wird unverhohlen von "ehrlosen Afrikanern" gesprochen, der völkischen Ethik gehuldigt, es werden die Leitsätze der nationalsozialistischen SS hochgehalten und Adolf Hitler als heldisch-soldatischer Idealtyp gepriesen. Aussagen, die massiv den Bereich der strafbaren Volksverhetzung berühren.

 

Schlüsselfiguren aus der NPD-Jugendorganisation

 

Ebenso wie die HDJ veranstaltet die "IG Fahrt und Lager" ideologische Freizeitcamps, deren Programm sich auch an Kinder richtet. Zeltlager der noch im Aufbau begriffenen Organisation gab es offenbar an mehreren Orten der Republik, unter anderem in der Nähe von Lüneburg in Niedersachsen und im Sommer im Westen von Schleswig-Holstein. In szeneinternen E-Mails ist außerdem von einem großen Sommercamp in Mecklenburg-Vorpommern die Rede.

Das Pikante: Die Schlüsselfiguren sind auch Führungskader der NPD-Jugendorganisation. Sebastian Richter aus Brandenburg ist stellvertretender Bundesvorsitzender, Christian Fischer aus Vechta ist nach eigenen Angaben Vize-Anführer der niedersächsischen JN. Diese Gruppierung kommt bundesweit auf etwa 470 Mitglieder und galt lange Zeit als wenig erfolgreich. Doch in den letzten Monaten wurden allein in Norddeutschland systematisch sogenannte "JN-Stützpunkte" aufgebaut. Das Ziel: eine geschulte und zielstrebige Ansprache von jungen Leuten.

 

Rechtsextremismus mit Lagerfeuerromantik

 

Die JN verfolgt einen weitaus radikaleren Kurs als die Mutterpartei NPD. Die Leitlinien hatte vor zwei Jahren der JN-Bundesvorsitzende Michael Schäfer vorgegeben, als er hinter verschlossenen Türen beim NPD-Bundesparteitag eine Art "Kriegserklärung" an die politischen Gegner richtete und sich dabei typischer SA-Rhetorik bediente: "Wir werden die Linken- und Ausländerkieze schleifen", drohte Schäfer. Verfassungsschützer bezeichnen die Radikalisierung und Professionalisierung bei der NPD-Nachwuchsorganisation in einigen Bundesländern als "bedenkliche Entwicklung am rechtsextremen Rand".

In dieses Konzept passt die Etablierung der "IG Fahrt und Lager" als eine braune Freizeitagentur der JN mit rassistischem Bildungskonzept. Zugleich werden jene Kreise im rechtsextremen Lager bedient, die ihre politische Gesinnung bei Lagerfeuerromantik und Geländespielen mit völkischen oder germanischen Elementen "aufladen" wollen.

 

Verbotsverfahren für "Junge Nationaldemokraten"?

 

Die Nähe der "IG Fahrt und Lager" zur NPD-Nachwuchsorganisation ist offenbar noch aus einem anderen Grund gewollt: Je geringer der Abstand zur NPD, desto mehr Wirkung kann das Parteienprivileg des Grundgesetzes entfalten - und desto höher wären die Hürden für ein Verbot der "IG Fahrten und Lager". Zugleich aber gehen die "Jungen Nationaldemokraten" mit der Einbindung der "IG Fahrt und Lager" ein Risiko ein: Sie könnten selbst zum Gegenstand eines eigenständigen Verbotsverfahrens werden. Die Durchsuchungen heute dürften solchen Überlegungen neue Nahrung gegeben haben.