S 21 Wasserstöße unterliegen engen Schranken

Erstveröffentlicht: 
17.12.2010
Untersuchungsausschuss. Der Polizeieinsatz im Schlossgarten ist auch ein Fall für die Gutachter. Rechtlich geklärt ist er nicht. Von Reiner Ruf

 

Der Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz am 30. September strebt in der kommenden Woche seinem vermeintlichen Höhepunkt entgegen. Dann tritt Ministerpräsident Stefan Mappus in den Zeugenstand. Die Opposition hält dem Regierungschef vor, mit einer Eskalationsstrategie im Vorfeld des Einsatzes die Polizei unter einen Erfolgszwang gesetzt zu haben, der im Schlossgarten nach offiziellen Angaben 130 verletzte Demonstranten und 34 verletzte Polizisten zurückließ.

SPD und Grüne verfolgen im Untersuchungsausschuss durchaus unterschiedliche Interessen. Den Sozialdemokraten ist daran gelegen, einen politischen Einfluss auf den Polizeieinsatz aufzudecken, nicht aber, wie die Genossen von Anfang an beteuerten, „die Polizei in die Pfanne zu hauen". Das entspricht auch dem Untersuchungsauftrag, den sich der Ausschuss gegeben hat. Den Grünen wiederum ist es sehr darum zu tun, den Polizeieinsatz als rechtswidrig zu entlarven und den Demonstranten Genugtuung zu verschaffen. Schließlich verstehen sich die Grünen als parlamentarischer Treuhänder des Protests gegen Stuttgart 21.

Die rechtlichen Aspekte des Polizeieinsatzes hat im Untersuchungsausschuss bisher allerdings nur die CDU beleuchten lassen - in Gestalt des von ihr als Sachverständigen benannten Freiburger Staatsrechtlers Thomas Würtenberger. Zur Frage, inwieweit der Protest im Schlossgarten an jenem Tag durch die in der Verfassung verankerte Versammlungsfreiheit geschützt sei, sagte der Jurist: „Wegen der Unfriedlichkeit und weil zudem eine Verhinderungsblockade stattfand, kommt das Versammlungsrecht nicht zur Anwendung." Zudem habe der Polizeieinsatz außerhalb des Geltungsbereichs des Versammlungsgesetzes gelegen. „Im Bereich der polizeilichen Maßnahmen fand keine angemeldete Versammlung statt." Auch die Rechtsfigur der Spontandemonstration scheide aus.

Hingegen stelle die Verhinderung von Baumaßnahmen eine schwerwiegenden Rechtsbruch dar. Die Durchsetzung der Rechtsordnung könne auch nicht unter Berufung auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Disposition gestellt werden. Der Einsatz von unmittelbaren Zwang, also von Pfefferspray und Wasserwerfer, sei statthaft gewesen. „Es ging um die Auflösung einer Verhinderungsblockade, um die Absperrmaßnahme durchführen zu können. Es ging zudem darum, Blockaden von Einsatzfahrzeugen der Polizei zu hindern. Würtenbergers Vortrag krankte allerdings daran, dass er den Einsatz aus der Vogelperspektive betrachtet. Einzelmaßnahmen, so sagte er, stünden nicht im Vordergrund.

Diese sind aber durchaus von Interesse - und auch relevant. So wies dieser Tage der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes, einst Rektor der Fachhochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen, darauf hin, dass der Einsatz von Wasserwerfern hohen Hürden unterliege. Im baden-württembergischen Polizeigesetz heißt es noch relativ allgemein zum Gebrauch des unmittelbaren Zwangs (wozu der Wasserwerfer zählt): „Das angewandte Mittel muss nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein."

Laut der Polizeiverordnung für Wasserwerfer soll der sogenannte Wasserstoß - also ein Wasserstrahl mit hohem Druck - jedoch nur angewandt werden, um „die Begehung oder Fortsetzung von Straftaten" zu verhindern, „das Vordringen von Störern" zu unterbinden oder „Gewalttäter zum Zurückweichen" zu zwingen. „Hierbei ist darauf zu achten, dass Köpfe nicht getroffen werden." Für Feltes erschließt sich daraus, dass der Einsatz von Wasserwerfern gegen Personen durch Wasserstöße mit hohem Druck „erst bei gravierenden Straftaten oder einer unmittelbar bestehenden Gefahr für Leib oder Leben der Polizeibeamten gerechtfertigt" sei. Sitzblockaden, Beleidigungen von Beamten und auch das vereinzelte Werfen von Gegenständen wie Kastanien rechtfertigten den Einsatz hingegen nicht. Laut Polizei flogen am 30. September aber auch Glasflaschen und pyrotechnische Gegenstände, die eine Hitze von bis zu 1200 Grad Celsius entwickeln. Außerdem wurden Barrikaden gebaut.

Nach Darstellung des Stuttgarter Oberstaatsanwalts Bernhard Häußler, der den Polizeieinsatz untersucht, gibt es bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz insgesamt unrechtmäßig gewesen sei. Davon unbenommen sei, ob sich einzelne Beamte falsch verhalten hätten. Offen bleibt dabei die Frage, ob die Kastanien- und Flaschenwürfe sowie die Pyrotechnik im Verhältnis zur Gesamtzahl der Demonstranten so massiv waren, dass sie Wasserwerfer und den Pfeffersprayeinsatz rechtfertigten. Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf hatte den Gebrauch unmittelbaren Zwangs ohnehin anders begründet. Angesichts der unüberschaubaren Menschenmenge, die sich der Polizei in den Weg gestellt hatte, sei die Funktionsfähigkeit der Polizei in Gefahr gewesen.