„ängste haben eine immense kraft, die unendlich potenziert werden kann“ - zu aktuellen diskussionen um sicherungsverwahrung und änderungen im vollzug
dies ist eine gekürzte, vorläufige version des textes. eine ausführlichere version wird in unserer demnächst erscheinenden broschüre abgedruckt.
what happened?
ende 2009 erklärte der europäische gerichtshof für menschenrechte in
straßburg mit einem urteil die in deutschland praktizierte nachträgliche
sicherungsverwahrung (SV) für rechtswidrig. kritisiert wurden im
wesentlichen zwei punkte: zum einen sei sie in der bisherigen form wie
eine zusätzliche strafe anzusehen. zum anderen wurde 1998 die bis dahin
geltende höchstdauer von zehn jahren aufgehoben. die
sicherungsverwahrung der auf dieser rechtsgrundlage verurteilten
straftäter dürfe nicht rückwirkend verlängert werden. dieses urteil
wurde im mai 2010 rechtskräftig.
auf grundlage der entscheidung des gerichtshofs für menschenrechte
müssen 60-80 sogenannte „altfälle“, bei denen nachträgliche (meist
verlängernde) SV beantragt worden wäre entlassen werden. daraufhin
entbrannte in deutschland eine hitzige, teils fast panische diskussion
über die dadurch entstehende gefahr für die gesellschaft.
die bisher entlassenen werden rund um die uhr von der polizei
observiert. auch diese form der überwachung überfordere den staat bei
der entlassung aller „altfälle“. zudem wird diskutiert, elektronische
fußfesseln als überwachungsmittel zum einsatz zu bringen. auch in der
diskussion war immer wieder ein sogenannter „internet-pranger“: die
aufenthaltsorte der entlassenen sollten künftig im internet
veröffentlicht werden. die bevölkerung habe ein anrecht darauf, zu
erfahren, wenn solche täter in ihrer umgebung lebten, so wendt, der chef
der deutschen polizeigewerkschaft.
besonders drastisch wandte sich der niedersächsische justizminister
bernd busemann (cdu) gegen neue regelungen der SV. er werde sich mit
händen und füßen dagegen wehren, dass in seinem bundesland auch nur „ein
einziger dieser als gefährlich eingestuften sexualstraftäter“ entlassen
werde. perfider weise begab sich busemann am 19.9.2010 zum
„kaffeeklatsch“ mit sicherungsverwahrten in die jva celle. seine
motivation dabei: „den männern ins gesicht sagen“, dass er ihre
erwartungen nicht erfüllen könne und wolle. sein sächsischer kollege
jürgen martens (fdp) setzt dagegen auf die einsicht der täter. er hofft,
dass sich bis zu einem drittel der verwahrten womöglich freiwillig in
den maßregelvollzug einweisen lässt. die übrigen seien durch einen
„maßnahmen-mix“ aus fußfessel, führungsaufsicht, aufenthalts- und
alkoholverbot unter kontrolle zu bekommen.
der inzwischen erfolgten „einigung“ von cdu und fdp zufolge sollen
„psychisch kranke täter“ weiter unter „haftähnlichen bedingungen“ in neu
zu gründenden einrichtungen untergebracht werden können. diese sollen
aber weder justizvollzugsanstalten noch psychiatrische anstalten sein.
in den einrichtungen sollen die insass_innen therapiert werden. zudem
sollen alle 18 monate externe gutachter_innen prüfen, ob eine entlassung
verantwortbar ist. es handelt sich also um trickserei: wenn die
diskutierten häftlinge nicht weiter in haft gehalten werden können,
nennen wir es eben anders – hauptsache knast. ein wirklicher unterschied
der sicherungsverwahrung zum normalen haftvollzug wird kaum zu erwarten
sein. bei den „heimen“ für sicherungsverwahrte wird es sich vermutlich –
grob gesagt – um eine verlegung auf einen anderen trakt handeln, auf
dem sich der druck zur „resozialisierung“ nochmals potenziert. der
menschenrechtsgerichtshof wird sich so vermutlich zufriedener zeigen.
eine genauere definition von „psychisch krank“ oder „gefährlich“ bleibt
in den diskussionen fast immer aus. der verweis auf das sexualstrafrecht
oder „mord“ reicht aus, um ängste freizusetzen, die jede maßnahme, die
sich gegen die gefangenen richtet legitim erscheinen lässt. auch die
frage, gegen wen bisher sicherungsverwahrung verhängt wurde und wird
bleibt meist aus, auch wenn es naheliegende beispiele gibt: für einen
mann, dem bislang lediglich ein tankstellenüberfall am 16. februar 2010
nachgewiesen werden konnte, hat die staatsanwaltschaft im august 2010
eine haftstrafe von achteinhalb jahren und anschließende
sicherungsverwahrung beantragt. der staatsanwalt betonte, dass laut dem
psychiatrischen gutachten bei dem angeklagten ein hohes rückfallrisiko
bestehe und somit weitere straftaten zu erwarten seien. der mann stelle
damit eine gefahr für die allgemeinheit dar, die eine
sicherungsverwahrung erforderlich mache.
auch dass psychiater_innen in 9 von 10 fällen eine „falsche“ prognose
stellen wird zwar hin und wieder erwähnt, scheint aber im schatten der
vermeintlichen gefährdung der gesellschaft zu vernachlässigen zu sein.1
wie genau die entscheidungen über den verbleib in SV gefällt werden
dürften die wenigsten tatsächlich wissen. verharmlosend wird oft
behauptet, die SV sei, obschon der gefangene im gefängnis verbleibe, gar
keine strafe, sondern mittel zur sicherung und besserung.
eine in der diskussion nicht auftauchende frage brächte
befürworter_innen der knastgesellschaft vermutlich in bedrängnis: ist
die tatsache, dass inhaftierte auch nach teilweise 20-30 jahren haft als
gefährlich gelten nicht der beweis für das scheitern der institution
knast im sinne von sogenannter „resozialisierung“? wird nicht deutlich,
dass es lediglich ums strafen geht und „resozialisierung“ eine farce
ist? die jetzigen therapiemöglichkeiten und -realitäten und deren
offensichtliches scheitern sind nicht gegenstand der diskussion, auch
wenn die diskutierte form der sicherungsverwahrung nur im glauben an
eine „resozialisierung“ sinn macht. würde dieser glaube aufgegeben sähe
die diskussion vermutlich noch finsterer aus. es findet also auch eine
verschiebung der relevanten straftheorien statt: die strafe als
selbstzweck und vergeltung, vor allem der „schutz der gesellschaft“ wird
relevant (siehe straftheorien im artikel warum knastkritik? auf
bauluecken.blogport.de), der resozialisierungsgedanke tritt in den
hintergrund. einer „entkriminalisierung“ wird von verschiedenen seiten
sogar offensiv entgegen getreten. neurowissenschaftliche ansätze und
änderungen im strafrecht gehen eine symbiose ein, es findet sich der
passende topf zum deckel.
sicherungsverwahrung & neurowissenschaften
besonders gruselig, teilweise auch widersprüchlich wird die diskussion
um sicherungsverwahrung und haftvollzug, wenn sie von aussagen der
hirnforschung ergänzt wird. abweichendes oder „kriminelles“ verhalten
wird hier in erster linie mit „charakterlichen defekten“ erklärt.
während die strafjustiz gemeinhin davon ausgeht, dass täter_innen sich
ändern können, somit also „resozialisierbar“ sind, tragen die auf diese
weise in die diskussion getragenen vermeintlichen erkenntnisse zur
forderung nach unendlicher haft bei. diese ließe sich konsequenterweise
direkt in das urteil des strafprozesses integrieren.
der neuropsychologe thomas elbert von der universität konstanz äußert
sich in der süddeutschen zeitung vom 29.8.2010 in einem interview mit
dem titel „im killer-modus“:
„Ich war mal in Norwegen, wo alle fischen gehen und habe gefragt, was empfindet ihr dabei? Die Frauen haben geantwortet: Nun, das ist wunderschön in der Natur, so entspannend, der Sonnenaufgang, das Wasser, der Geruch. Die Männer sagten: Wie aufregend, den Fisch da rauszuziehen – wie der zappelt, kämpft, blutet!“
elbert versucht sich in einer naturalisierenden erklärung „schlimmen
verhaltens“ und untermalt dies immer wieder mit bildhaften
darstellungen diverser „grausamkeiten“. auf die frage nach psychischen
störungen als erklärung für gewalt entgegnet er, diese sei ein weit
verbreitetes vorurteil. in den untersuchungen seiner projekte in
gefängnissen verschiedener länder sei festgestellt worden, dass unter
gefängnisinsass_innen erstaunlich wenige psychisch krank seien.
stattdessen spricht er vom „leicht formbaren hirn“ in der kindheit und
dem umbau der hirnstruktur bei dauerhaftem computerspielen. er
diagnostiziert einen brutalisierungseffekt, der menschen zu
gewaltbereiten täter_innen mache und geht davon aus, es gebe eine quasi
„natürliche“ tötungshemmung, die unter bestimmten voraussetzungen
abgebaut werde.
elbert steht mit dieser ansicht nicht allein, sondern für einen trend
zur hirnforschung auch in diskursen zum strafvollzug. dieses
wechselspiel ist für die sichtweise, die ein längeres wegsperren von
immer mehr menschen fordert eine grundlage: wenn menschen für immer
weggesperrt gehören, passt das bild des „genetischen defekts“ oder
allgemeiner der nicht-therapierbarkeit.
dem (deutschen) strafrecht liegt weitgehend die annahme zugrunde, „dass
der mensch innerhalb weiter grenzen in der lage ist, sich bei aller
äußerlichen und innerlichen bedingtheit für oder gegen eine handlung
einschließlich einer straftat frei zu entscheiden“. „schuldig“ kann
danach „nur derjenige werden, der unter ansonsten identischen physischen
und psychischen bedingungen allein aufgrund der anstrengung seines
sittlichen gewissens anders hätte handeln können, als er es tatsächlich
getan hat“.2
die kritik dieser ansicht aus psychologisch-neurowissenschaftlicher
sicht sagt, ein fehlverhalten könne nur durch faktoren herbeigeführt
werden, die nicht dem_der handelnden zuschreibbar seien. der_die
handelnde sei also auch nicht oder nur bedingt verantwortlich zu machen.
die „kriminellen gene“ werden aus psychologischer sichtweise durch eine
kombination psychosozialer faktoren ergänzt. eine -wie auch immer
hervorgebrachte- defizitäre entwicklung in der kindheit und der jugend
oder auch ein „negatives soziales umfeld“ erhöhen demnach die neigung zu
gewalt als erwachsener. „risikotheorien“ arbeiten teilweise mit einem
cocktail aus biologischen, psychischen und sozialen faktoren, deren
ungünstiges zusammenkommen zu einem erhöhten risiko der neigung zu
gewalt führten. in jedem fall wird nach gemeinsamkeiten der
hirnstrukturen inhaftierter und besonders von „gewaltverbrechern“
gesucht. gemeimsan ist den verschiedenen ansätzen die vorstellung von
einer determiniertheit von „verbrecher_innen“ bis zu einem bestimmten
grad.
als „hoffnungsversprechende“ lösungsansätze werden beispielsweise
„chirurgische und chemische kastration bei sexualstraftätern und
stereotaktische hirnoperationen bei gewaltdelinquenten oder auch die
genforschung und neurowissenschaftliche studien“3
gepriesen, also „reperaturanleitungen“ für straffällige. aber auch die
suche nach möglichkeiten der therapie finden sich noch vereinzelt. dabei
darf nicht vergessen werden, dass es menschen gibt, die von diesen
konzepten profitieren und somit ein gesteigertes interesse an der
etablierung dieser sichtweisen haben: forscher_innen erhalten
entsprechende forschungsmittel und planstellen.
die offensichtliche renaissance der neurowissenschaften und der diskurs
um fehlende willensfreiheit ist keine neuheit: schon im 19. Jahrhundert
entwarf cesare lombroso die individualbiologische lehre vom „geborenen
verbrecher“, dem das verbrechen „ins gesicht geschrieben“ sei. lombroso
griff dabei auf körperlich ausgerichtete psychologie zurück, die meinte,
ein organ der moralität gefunden zu haben. die schädelkunde ging davon
aus, dass bestimmte sinne (organe) für mord, raufen oder diebstahl
verantwortlich seien. über die genese solcher konzepte im
nationalsozialismus und die vernichtenden konsequenzen scheint in den
laufenden diskussionen kaum jemand zu sprechen.
die neurowissenschaftliche forschung erkämpft sich momentan einen
bedeutenden platz auch in der kriminologie. etablieren sich die von ihr
formulierten gedanken in den aktuellen und kommenden diskursen, ist von
einer weiteren verschärfung und veränderten interpretation des
strafrechts auszugehen. wenn doch die betroffenen menschen „opfer ihrer
hirnstruktur“ sind, sollte mensch sie etwa gar nicht mehr einsperren?
sicherlich werden die gezogenen schlüsse andere sein.
die verschiedenen ansätze und ihre mischformen verschwimmen im
öffentlichen diskurs zu einem unübersichtlichen und extrem verkürzten
brei. die mediengerecht aufbereiteten darstellungen der erkenntnisse
besitzen eine hohe suggestivkraft, einen tatsächlichen klärungsbedarf
gibt es allerdings kaum.
aneignung der stimmen betroffener
in der momentanten diskussion – wie in den meisten, die knast zum
gegenstand haben – stehen sexualstraftäter und „mörder“ im mittelpunkt.
oft wird davon geredet, die auf ihren „opferstatus“ reduzierten
betroffenen in den vordergrund stellen zu wollen. wie dies genau
geschehen soll kommt so gut wie nie zur sprache. genauso wenig wird sich
tatsächlich mit den betroffenen sexualisierter gewalt ernsthaft
auseinander gesetzt. es wird einerseits von den „opfern“ gesprochen,
andererseits würde vermutlich niemand auf die idee kommen, diese an
einer entscheidung über glücken oder misslingen einer „resozialisierung
teilhaben zu lassen. dafür sind nach wie vor psychiater_innen
verantwortlich. dies macht die absurdität des sprechens über „die opfer“
deutlich. es handelt sich um eine kollektive aneignung und
instrumentalisierung der stimmen betroffener.4
sexualisierte gewalt wird auf vergehen gegen bestimmte parapraphen,
also „straftaten“ und den bruch des gesetzes herunter gebrochen. das
bürgerliche strafrecht aber ist nicht nur in hinsicht auf sexualisierte
gewalt alles andere als emanzipatorisch und wird es auch nicht werden.
im gegenteil wird gerade in der debatte um die sicherungsverwahrung die
realität sexualisierter gewalt relativiert. gesprochen wird lediglich
über dämonisierte einzeltäter, die als „die anderen“ gelten. eine
thematisierung der normalität von sexismus und gewalt gegen nicht-männer
bzw. eine hinterfragung des dominanten heteronormativen bildes ist in
einer auf diesen patriarchalen hierarchien basierenden gesellschaft
selbstverständlich nicht erwünscht. die alltägliche gewalt in familie,
ehe, beziehungen und freundschaften kommt in den diskussionen nicht vor.
es geht um „einzelne triebtäter“, in diesem fall 18 entlassene männer,
die eine nicht einzuschätzende gefahr für die gesellschaft darstellten.
uns geht es hier nicht darum, täter in schutz zu nehmen, sondern
deutlich zu machen, dass eben die normen jener gesellschaft, die hier
geschützt werden soll für die normalität von sexistischer und
sexualisierter gewalt verantwortlich sind. die mehrheit derer, die diese
gewalt täglich ausüben, bleibt dabei hinter den als sexualstraftäter
angeprangerten unsichtbar. fälle sexualisierter gewalt, die vor gericht
kommen, werden losgelöst vom gesellschaftlichen kontext und konsens der
normalität von sexismus und sexualisierter gewalt behandelt. diejenigen,
welche diese normalität schaffen und von ihr profitieren werden dabei
jeglicher verantwortung enthoben.
die frage, ob es die richtige entscheidung ist, alle täter wegzusperren,
bekommt so eine völlig neue dimension. sie kann nur dadurch beantwortet
werden, sich tatsächlich mit der thematik zu befassen. gerade in
gerichtsverfahren ist es die regel, dass betroffenen die wahrnehmung
abgesprochen wird. antisexistische praxis muss die bedürfnisse von
betroffenen ins zentrum der aufmerksamkeit stellen. diese bedürfnisse
können verschiedene konsequenzen für einen praktischen umgang auch mit
tätern haben. wir müssen uns fragen, wie wir mit der realität
sexualisierter gewalt umgehen und somit auch, wie wir uns einen umgang
mit ausübenden sexistischer machtverhältnisse und gewalt vorstellen,
ohne „uns“ selbst dabei als teil dieser verhältnisse auszuklammern.
dabei wollen wir nicht behaupten, ein fertiges konzept zu haben wie es
apologet_innen des knastsystems tun, wohl aber, dass wir knast nicht als
teil der lösung betrachten.
„resozialisierung“, also eine gedachte „wiedereingliederung“ macht
menschen nicht weniger gefährlich, sondern blockiert in vielen fällen
eine tatsächliche auseinandersetzung mit sexualisierter gewalt.
„resozialisiert“ wird ja eben in eine gesellschaft, die diese
auseinandersetzung nicht führt. dies heißt nicht, dass wir therapien,
die ja teil von „resozialisierungsmaßnahmen“ sein können, grundsätzlich
immer ablehnen – allerdings den rahmen der „resozialisierung“, der
vorgibt, mit einer anpassung an die gesellschaftliche „norm“ sei etwas
erreicht. was hier geschieht ist eine offensive vermeidung der
diskussion der normalität in dieser gesellschaft. genannte „einzeltäter“
sind teil dieser normalität, stehen nicht außerhalb derselben.
(siehe dazu auch text: warum knastkritik? auf bauluecken.blogsport.de)
lückenhafte aussichten
folgende einschätzungen der „initiative für eine gesellschaft ohne knäste“ von 1992 haben für uns nach wie vor relevanz:
„[…] mitspielen heißt beim behandlungsvollzug die zusammenarbeit mit
psychologInnen und sozialarbeiterInnen, heißt teilnehmen an gruppen-
und einzelgesprächen. dabei müssen die gefangenen über ihre probleme,
schwierigkeiten, usw. reden, wobei ‚offenheit‘ eine kategorie ist, an
der die behandlungswilligkeit gemessen wird. diese
psycho-knastangestellten sollen zu bezugspersonen werden, zu vater und
mutter, zum arzt, zu allem. dazu benutzen sie das ganze spektrum des
psychologischen handwerkszeugs von rollenspielen über gesprächstherapie
bis hin zur gestalttherapie, usw. ziel des ganzen ist es, den bullen,
den richter, das ganze system in dein herz, deine seele aufzunehmen.
daneben existieren weiterhin der gewalttätige und brutale charakter des
knastes, der mit den neuen bauten sogar noch verstärkt und
rationalisiert wird.
hochsicherheitstrakte im knast sind orte des totalen zugriffs auf
einzelne gefangene. in der praxis oder ‚nur‘ als abschreckende drohung
sollen sie orte der aktiven verhaltensänderung sein. sie sind das
bauliche pendant zur sicherungsverwahrung, die es ermöglicht, daneben –
mittels des unbestimmten strafmaßes – die zeit als druckmittel gegen
kämpfende gefangenen einzusetzen, speziell gefangenen, die keiner
lebenslangen haftstrafe unterliegen.
wir hoffen deutlich machen zu können, warum innerhalb des knastsystems
der sicherungsverwahrung eine zentrale bedeutung zukommt. der kampf
gegen das knastsystem benötigt das wissen über alle formen der
zurichtung, denen die menschen dort ‚drinnen‘ unterworfen sind.
unserer meinung nach gehören die forderungen nach abschaffung der
hochsicherheitstrakte/sonderhaftbedingungen und
sicherungsverwahrung/lebenslang zusammen. während es gegen die
isolationshaft und die hochsicherheitstrakte eine relativ
kontinuierliche widerstandslinie gibt, ist es um die
sicherungsverwahrung nur zweimal lauter geworden. beide male sollten
politische gefangene mit ihr bedroht werden.“5
die aktuellen diskurse zu sicherungsverwahrung und dem umgang mit
häftlingen sind geprägt von einer gesteigerten punitivität,
pathologisierungen von häftlingen, dramatisierung und skandalisierung
von „kriminalität“, forderungen nach vergeltung, schuldausgleich und
rache durch einsperren. der noch in den 1960ern und 1970ern prägende
anspruch an „resozialisierung“ wird quasi inexistent. uns geht es dabei
nicht um den appell an jenen anspruch, da wir nicht an einen „guten“
knast glauben. uns ist es wichtig, aktuelle repressive tendenzen
wahrzunehmen und diesen entgegen zu treten. dies kann für uns allerdings
nicht heißen, „fehler“ und „skandale“ aufzudecken. das problem ist das
system des strafens und die gesellschaftlichen zustände, die dies immer
wieder hervorbringen.
die sicherungsverwahrung wird momentan zum dritten strang des
strafsystems der brd neben dem straf- und maßregelvollzug. als solche
ist sie zu benennen und anzugreifen.
projekt baulücken, oktober 2010
baul_cken at riseup dot net
- eine studie des juristen michael alex beziffert die „rückfallquote“ auf 5%. siehe dazu: „Wenn Gutachter irren“ von heribert prantl, in: süddeutsche zeitung vom 10.8.2010. [zurück]
- Roth, Gernard / Lück, Monika / Strüber, Daniel: Schuld und Verantwortung von Gewaltstraftätern aus Sicht der „Hirnforschung und Neuropsychologie“, in: Barton, Stephan (Hg.): „…weil er für die Allgemeinheit gefährlich ist!“. Prognosegutachten, Neurobiologie, Sicherungsverwahrung, S. 335. [zurück]
- aus: „Paradigmenwechsel im Strafverfahren! Neurobiologie auf dem Vormarsch“. XXXVI. Symposium 2007 des Instituts für Konfliktforschung e.V., ein Tagungsbericht. [zurück]
- damit ist nicht gesagt, dass es nicht zahlreiche stimmen betroffener gäbe, die das wegsperren von ausübenden sexualisierter gewalt als richtig empfinden. [zurück]
- initiative für eine gesellschaft ohne knäste, in: totgesagte leben länger. meterialien zur sicherungsverwahrung. kiel 1992. [zurück]