Während der Focus in seiner aktuellen Ausgabe unter Verweis auf das Bundeskriminalamt (BKA) vor militanten Atomkraftgegnern bei den Protesten gegen den nächsten Castortransport warnt, packen im Hamburger Abendblatt (Montagausgabe) Polizisten über Gewalttäter und Krawallmacher aus, etwa bei den Auseinandersetzungen um das Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21«: Beamte in Uniform und »agent provocateurs« in Zivil. Ein 48jähriger Polizist, der Ende September, Anfang Oktober mit seiner Hundertschaft im Stuttgarter Schloßgarten mitten im »Kampfgetümmel« war, berichtet in der Zeitung, der Einsatz von Wasserwerfer, Schlagstock und Pfefferspray gegen »friedlich demonstrierende Bürger, Kinder, Rentner und brave Schwaben« sei ein Schock für ihn gewesen. 400 Demonstranten wurden dabei verletzt. Das Hamburger Abendblatt zitiert den Polizei-Insider mit den Worten: »Wenn man scharfe Kampfhunde, ich meine die Polizei-Spezialeinheiten, mit zu einer Demonstration nimmt und sie dann auch noch ohne ersichtlichen Grund von der Leine und räumen läßt, dann beißen sie ohne Erbarmen zu. Dafür wurden sie gedrillt und ausgebildet. Das wußten die, die für den Einsatz verantwortlich waren, ganz genau. Sie mußten das Okay von oben haben. Von ganz oben. Mindestens vom Innenministerium.«
Mit »scharfen Kampfhunden« sind die schwarz und
dunkelgrau gekleideten, meist sehr jungen Kollegen von den
sogenannten Beweis- und Festnahmeeinheiten (BFE) gemeint, die beim
Prügeleinsatz in Stuttgart am 30. September
größtenteils von der Bundespolizei und aus Bayern
kamen.
Ein anderer Polizist berichtet im Abendblatt: »Ich
weiß, daß wir bei brisanten Großdemos verdeckt
agierende Beamte, die als taktische Provokateure, als vermummte
Steinewerfer fungieren, unter die Demonstranten schleusen. Sie
werfen auf Befehl Steine oder Flaschen in Richtung der Polizei,
damit die dann mit der Räumung beginnen kann.«
Ähnliches hatte der Stuttgarter Krimiautor Wolfgang Schorlau
unmittelbar nach dem polizeilichen Gewaltausbruch Ende September im
Gespräch mit junge Welt geäußert (jW vom
2./3. Oktober 2010). Die Gruppe »Jugendoffensive gegen
›Stuttgart 21‹« berichtete, daß auf einem
Video zu sehen ist, wie ein als »Demonstrant«
agierender »agent provocateur« im Schloßgarten
Polizisten mit Pfefferspray attackierte – und danach hinter
den Reihen seiner Kollegen verschwand. Der Film war kurzzeitig im
Internetportal Youtube zu sehen, dann aber gelöscht
worden.
Jochen Stay, Sprecher der Antiatomorganisation
»ausgestrahlt«, nannte die Enthüllungen am Montag
»ungeheuerlich« Es sei »ein bodenloser Skandal,
wenn BKA und Innenminister fast täglich vor Krawallen rund um
Gorleben warnen und gleichzeitig innerhalb der Polizei genau diese
Ausschreitungen vorbereitet werden«. Angesichts des
bevorstehenden Castortransports nach Gorleben müßten die
Innenminister von Bund und Ländern »definitiv«
sicherstellen, »daß im Wendland weder auf Kampf
gedrillte Spezialeinheiten noch Provokateure eingesetzt
werden.«
In Gorleben würden Tausende Bürger aus Sorge um die
Zukunft gewaltfreien Widerstand leisten. Sie gingen auf die
Straße, so Stay, weil sie es nicht hinnehmen wollen,
daß die Energiepolitik in diesem Land von vier
Atomkonzernen bestimmt wird. »Die Regierung muß endlich
begreifen, daß diese Probleme nicht mit Polizeigewalt zu
lösen sind. Und sie muss aufhören, Tausende Polizeibeamte
für die Durchsetzung einer verfehlten Politik zu
mißbrauchen.«