Von Ole Reißmann
Jeder Zehnte wünscht sich einen "Führer", jeder Dritte will Ausländer zurückschicken: Rechtsextreme Ansichten sind einer neuen Studie zufolge tief in der Gesellschaft verwurzelt - in der Wirtschaftskrise bekamen sie noch einmal Auftrieb. Die Intoleranz gegenüber dem Islam ist sogar mehrheitsfähig.
Hamburg - "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet", so einen Satz würde man am ehesten auf einem Wahlplakat der rechtsextremen NPD vermuten. Dabei ist er in Deutschland fast schon konsensfähig: 35,6 Prozent der Bevölkerung stimmen der Aussage zu.
Jeweils mehr als 30 Prozent finden, dass "Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen" und dass bei knappen Arbeitsplätzen "Ausländer wieder in ihre Heimat" geschickt werden sollten. Mehr als jeder Zehnte wünscht sich einen "Führer", der das Land zum Wohle aller "mit harter Hand" regieren soll. 15,9 Prozent wollten sich bei der Führer-Frage nicht festlegen und antworteten mit "teils/teils".
Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zu rechtsextremen Einstellungen, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Ein Viertel der Deutschen stimmt demnach Aussagen mit ausländerfeindlichen Inhalten zu. "Wir müssen 2010 einen Anstieg von dezidiert antidemokratischen und rassistischen Einstellungen feststellen", bewerten die Forscher das Ergebnis der Befragung von rund 2500 zufällig ausgewählten Personen.
Rechtsextremismus in der "Mitte der Gesellschaft"
Vor zwei Jahren, als die Befragung zuletzt durchgeführt wurde, konnten sie noch einen leichten Rückgang von antidemokratischen Tendenzen, übertriebenem Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit ausmachen - zumindest im Westen. Damals fand die Studie allerdings in einer "ökonomischen Schönwetterperiode" statt, wie die Leipziger Wissenschaftler feststellen. Unterdessen kam es zur Wirtschaftskrise. Die Folge: ein Anstieg rechtsextremer Einstellungen, "möglicherweise eine Trendwende".
Denn eines hat sich nicht geändert: Anders als es der Begriff Rechtsextremismus vermuten lässt, finden sich rechtsextreme Einstellungen nicht nur am politischen Rand, sondern in der Mitte der Gesellschaft wieder - "in allen gesellschaftlichen Gruppen, in allen Altersstufen, unabhängig vom Erwerbsstatus und Bildungsgrad und bei beiden Geschlechtern". Selbst in Milieus, die sich traditionell als "links" bezeichnen, zum Beispiel bei Gewerkschaften oder in der SPD.
Die gesellschaftliche Mitte ist es dann auch, die aufgrund der Wirtschaftskrise das Vertrauen in das politische System verliert - und anfälliger für rechtsextreme Einstellungen wird. Zu insgesamt sechs Ausprägungen von Rechtsextremismus wurden jeweils drei Fragen gestellt:
- zur Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur,
- zur Überlegenheit der deutschen Nation,
- zu Ausländerfeindlichkeit,
- Antisemitismus,
- Sozialdarwinismus
- und zur Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Zum Teil gibt es hier deutliche Veränderungen im Vergleich zur vorherigen Untersuchung (siehe interaktive Grafik).
Hohe Intoleranz gegenüber Muslimen
Erstmals gefragt wurde, ob die Religionsausübung für Muslime in Deutschland erheblich eingeschränkt werden sollte. 58,4 Prozent stimmten dieser Aussage zu, mit dem Grundgesetz ist sie freilich nicht vereinbar. Im Westen mit 53,9 Prozent etwas weniger, im Osten mit 75,7 Prozent deutlich mehr - obwohl dort deutlich weniger Muslime leben.
Bemerkenswert ist, dass dieser Aussage selbst 55,5 Prozent derjenigen zustimmen, die rechtsextremen Aussagen ansonsten überwiegend ablehnend gegenüberstehen. Die Autoren der Studie sprechen deswegen von einem "modernen Rassismus", der an kulturellen Unterschieden ansetzt und nicht an vermeintlichen genetischen Merkmalen.
Dass "manchen Leuten Araber unangenehm sind", konnten 55,4 Prozent "gut verstehen", ein Wert, der in Ost wie West etwa gleich ist. Wiederum stimmte mehr als jeder Zweite derjenigen dieser Aussage zu, die sonst rechtsextreme Einstellungen überwiegend ablehnen. Rechtsextreme Parteien oder Rechtspopulisten könnten an diese Ressentiments anknüpfen, warnen die Forscher.
Zweifel an der Demokratie in Deutschland
Weil bekannt ist, dass bestimmte sozioökonomische Faktoren wie die Zufriedenheit mit der Demokratie oder der eigenen wirtschaftlichen Situation als mögliche Erklärungen für rechtsextreme Einstellungen herangezogen werden können, fragten die Forscher auch nach der Zufriedenheit mit dem politischen System und der persönlichen Befindlichkeit.
Die Antworten zeichnen ein düsteres Bild: Mehr als 90 Prozent der Befragten halten es demnach für sinnlos, sich politisch zu engagieren. 39,1 Prozent fühlen sich in ihrer unmittelbaren Umgebung nicht wohl und sicher. Immerhin liegt die Zustimmung zur Idee der Demokratie in Ost und West bei über 90 Prozent.
Gefragt nach der Demokratie, wie sie im Grundgesetz der Bundesrepublik festgeschrieben ist, sinkt die Zustimmung aber auf 73,6 Prozent - und mehr als die Hälfte der Bürger zweifelt an der tatsächlichen demokratischen Praxis: Die Zustimmung zur Demokratie, wie sie in Deutschland funktioniert, beträgt nur 46,1 Prozent.
Ausgeprägter Antisemitismus
Denjenigen, die in allen abgefragten Bereichen rechtsextremen Einstellungen zustimmen, attestieren die Forscher ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Die Zunahme fällt vor allem im Osten des Landes deutlich aus: 10,5 Prozent der Bevölkerung sind demnach rechtsextrem, im Westen sind es 7,6 Prozent. Bundesweit macht das 8,6 Prozent, seit 2002 bewegt sich der Anteil damit relativ konstant bei knapp zehn Prozent.
Ausdrücklich warnen die Autoren davor, die im Vergleich zu den Ergebnissen der Studie geringe Anzahl von Wählerstimmen für rechtsextreme Parteien als Entwarnung oder Gegenbeweis zu sehen. Genau dieser Zusammenhang wurde ihnen in manchen Zeitungen vorgehalten, als die Wissenschaftler 2006 erstmals den Rechtsextremismus in der "Mitte der Gesellschaft" ausmachten.
Dass dieser Wert geradezu konservativ niedrig berechnet wird, zeigt die Zustimmung zu folgender antisemitischer Aussage: Dem Satz "Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß" stimmen 17,2 Prozent der Befragten zu.