Video: Prozessauftakt Castor-Gleisblockade

Prozessbeginn - Amtsgericht Kandel

Im Herbst 2008 gelingt es einer kleinen Gruppe AtomkraftgegnerInnen den Atommülltransport von La Hague nach Gorleben mit einer spektakulären Ankettaktion für rund 13 Stunden aufzuhalten. Zwei Jahre später stehen 6 Personen vor Gericht. Ihnen wird Nötigung vorgeworfen. Der Prozess beginnt während bundesweit Massenproteste gegen die AKW-Laufzeitverlängerungen toben und die Vorbereitungen der Proteste gegen den neuen Castor Transport auf Hochtouren laufen. Die 6 AktivistInnen wollen den Prozess nicht so einfach über sich ergehen lassen und entscheiden sich für eine offensive Prozessführung.

 

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Pressemitteilung 6.10.2010

 

Aktivist_innen kritisieren Verhandlungsführung des vorsitzenden Richters
„Juristisches Theater beim Castor-Prozess“

Kandel - Der gestrige Prozess gegen sechs Atomkraftgegner_innen vor dem Amtsgericht Kandel endete um ca. 20:30 Uhr nach einer Saalräumung. Im November 2008 hatten die Anti-Atom-Aktivist_innen den Castortransport von La Hague nach Gorleben für nahezu 13 Stunden aufgehalten. Drei Personen hatten sich damals mit Hilfe eines Betonblocks unter den Schienen angekettet.

Im Vorfeld hatte der vorsitzende Richter in einer „sitzungspolizeilichen Verfügung“ Einlasskontrollen angeordnet. Diese beinhalteten körperliches Abtasten und eine vollständige Durchsuchung. Beispielsweise wurden Stifte einbehalten, so dass selbst einer der Angeklagten ohne Schreibmaterial auf der Anklagebank saß. Laptops von Angeklagten und Pressevertreter_innen wurden nicht zugelassen.

Richter Sturm begann die Verhandlung während noch einer der Beschuldigten bei Kontrollen aufgehalten wurde. Darauf reagierte der Betroffene, nachdem er in den Saal eingelassen worden war, mit einem Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden, der seitens des Gerichts verworfen wurde.

In der weiteren Verhandlung wurde das Rederecht der Beschuldigten stark beschnitten. Teilweise wurde das Stellen von prozessual wichtigen Anträgen mit der Erklärung es handle sich um einen „Missbrauch prozessualer Rechte“ unterbunden.

Die Angeklagten stellten ihre Aktion in einen gesellschaftspolitischen Kontext. Ihnen wird Nötigung vorgeworfen. Dieser Tatvorwurf setzt voraus, dass ihre Tat verwerflich ist. In ihren Einlassungen zum Tatvorwurf gingen sie auf diesen Aspekt ein und erläuterten unter anderem ihre Kritik an der Atomkraft. So ging es beispielsweise um Uranabbau und die Plutoniumfabrik („Wiederaufbereitungsanlage“) La Hague, aus der der Castortransport kam.

Um 20:00 Uhr brachten zwei Angeklagte Anträge auf Aussetzung des Verfahrens vor, da sie sich nach dem aufreibenden Verhandlungstag nicht mehr verhandlungsfähig sahen. Der Richter lehnte diesen Antrag ab und ließ die emotional stark angegriffenen Angeklagten nicht aus dem Saal, ordnete aber zugleich eine komplette Saalräumung des offenkundig empörten Publikums an. Trotz nervlichem Zusammenbruchs der Angeklagten wollte Richter Sturm weiter verhandeln.

Ein Zuschauer wurde von den Polizeibeamt_innen in den Keller gebracht und dort gefesselt, mit Füßen zu Boden gedrückt und bedroht. Der Betroffene erwägt rechtliche Schritte. Währenddessen lagen im Gerichtssaal einige der Angeklagten schluchzend auf dem Boden. Trotz den bisherigen Ereignissen und der späten Stunde wollte der Vorsitzende die Verhandlung fortsetzen. Erst als der einzige anwesende Rechtsanwalt seine eigene Verhandlungsunfähigkeit vorbrachte wurde die Verhandlung für diesen Tag beendet und ein neuer Termin für den 26. Oktober, 11:00 Uhr bestimmt.

„Die Art und Weise wie am Amtsgericht Kandel versucht wurde sechs Angeklagte wegen Nötigung zu verurteilen, legt in meinen Augen den Verdacht nahe, dass es hier vor allem darum ging noch schnell vor dem anstehenden Castor-Transport ins Wendland Anti-Atom-Aktivist_innen für ihr Engagement zu bestrafen.“, fasst eine der Angeklagten ihre Eindrücke zusammen.

Gerne stehen wir für Ihre Rückfragen zur Verfügung!
Kontakt: bloXberg@riseup.net

 

 


 

Einlassung - Florian

 

Sehr geehrter Herr Verteidiger (Staatsanwalt),

sehr geehrter Herr Angeklagter (Richter),

sehr geehrtes Publikum,

 

herzlich wilkommen zu diesem Theaterstück, in dem der Atomstaat, zusammen mit seinen Repressionsorganen auf der Anklagebank sitzen wird und Rede und Antwort zu stehen haben werden.

Eigentlich sind es nicht wir, die heute geladen haben zu diesem Stück - so etwas absurdes wäre uns nicht in den Sinn gekomen – sondern es ist das Amtsgericht Kandel, als Handlangerin der Staatsanwaltschaft, das lädt. Eigentlich ist es auch nicht der Atomstaat der heute auf der Anklagebank sitzt, und sich verteidigen muss, sondern es sind wir, angeklagt wegen Nötigung.

Allerdings haben wir uns gedacht, dass wir das Drehbuch ein klein wenig umschreiben wollen, wo wir schonmal beisammen sind, und den Atomstaat in Person der Staatsanwaltschaft, ihr Handlanger, die Justiz, sowie das ausführende Organ, vertreten durch einige PolizistInnen auf der Anklageba…äh auf der Zeugenbank vor uns haben, die also gezwugen sind die Wahrheit zu sagen.

Das ursprüngliche Drehbuch, geschrieben von Staatsanwalschaft und Richter sah vor, uns in einem Fließbandprozess abzuurteilen, ein Stück der Machtdmonstration des Atomstaates aufzuführen war der Plan. Stellvertretend für eine Anti-Atom-Bewegung sollten wir herausgegriffen werden, um abschreckende Urteile zu fällen.

Bei dem Versuch, dieses Drehbuch umzuschreiben, konnten wir leider unserer Kreativität nicht freien Lauf lassen, da hier freie Kommunikation durch einen streng-formalen Ablauf unterbunden wird. Also mussten wir erst einmal die Codes lernen, mit denen das Theaterstück Gerichtsprozess umprogramiert werden kann. Durch die Möglichkeit des Erlernens dieser Codes sind wir natürlich schon in einer extrem priviligierten Stellung. Die allermeisten, die ansonsten an dieser Stelle sitzen, haben diese Möglichkeit nicht. Und so müssen sie sich dem Drehbuch von Staatsanwaltschaft und Richter unterwerfen, oft mit der grausamen Folge, dass ihnen ihre Drehbücher über ihr eigenes Leben für lange Jahre aus der Hand genommen werden.

Na ja, eigentlich muss mensch da ja schon wieder differenzieren. Denn so wirklich selber in der Hand hat hier eigentlich niemand das Drehbuch über sein eigenes Leben. Selbst wenn man gerade nicht im Knast sitzt. Da kommt es vor, dass auf einmal ein Endlager gebaut wird in der direkten Nachbarschaft zu einem, ohne dass mensch da mitentscheiden konnte, da kommt es vor, dass Züge mit hochradioaktivem Müll an einem vorbeifahren, und so weiter. Ob das gerade in das Dehbuch der einzelnen Menschen passt, und ob am Ende des Filmes der atomare Supergau eingeplant war, oder ob das Drehbuch eher ein Happy End vorsah, das interessier anscheiend niemanden. Anstatt den Drehbüchern der einzelnen Menschen sind hier nämlich die Drehbücher von Konzernen oder gar von Staaten wichtig.

Allerdings ist es längst nicht nur die Atomkraft, welche einem das Drehbuch aus der Hand reißt. Das fängt nämlich schon bei der Geburt an, wo der Staat, der Hüter über die Drehbücher das seinige feierlich überreicht… nein nicht an einen selber, sondern an die Eltern, welche es meist dankbar annehmen. Später wird es dann teilweiße übergeben an die Schule, und alle kritzeln da dann fleißig drin rum, bis es einem dann zum 18. Geburtstag wieder feierlich übergeben wird. Übergeben ist ein gutes Stichwort, denn das ganze wird meist gefeiert mit einem Totalbesäufnis, wie um unter Beweiß zu stellen, dass mensch nun in der Lage ist selber sein eigenes Drehbuch zu schreiben…, natürlich nicht. Wo doch 18 Jahre lang andere Menschen in dem eigenen Buch rumgeschrieben haben, und wo ja noch geschriebene und ungeschriebene Gesetze, auszuführende Organe, kapitalistische Sachzwänge, Rollenzuweisungen und anderes existieren, was die Möglichkeiten für das eigene Drehbuch stark eingrenzen. Ab und zu werden dann noch Atomkraftwerke, Startbahnen oder Autobahnen in der direkten Umgebung gebaut und somit das eigene Drehbuch umgeschrieben.

Wir fanden es ein bißchen langweilig das ganze Leben lang in irgendwelchen fremden Filmen herumzuspazieren, und dabei auch nicht einmal besonders gut bei wegzukommnen. Deßhalb hatten wir uns entschlossen, ein eigenes Drehbuch zu schreiben, in dem zum Beispiel keine Atomkraft drin vorkommen sollte. Leider kam das jetzt in Konflikt mit den Drehbüchern der Atomlobby, des Staates und seiner ausführenden Organe. So kam es, dass diese uns in einem recht langwierigen Verfahren von den Gleißen trennen mussten, und uns damit nötigten, weiterhin in fremden Drehbüchern Nebenrollen anzunehmen.

Um uns diese Nebenrollen in ihren Drehbüchern weiterhin aufzuzwängen sollen wir nun hart bestraft werden, in einem Prozess in dem uns auch wieder nur die Nebenrolle zugedacht ist. Stopp, eigentlich war uns überhaupt keine Rolle zugedacht. Der Herr Richter wollte uns ja am liebsten ganz ohne Verfahren verurteilen.

Der Herr Richter darf sich aber gleich schonmal in seine Sozialprognose hineinschreiben, dass wir in nächster Zeit für Nebenrollen in Filmen anderer Regisseure nicht zu haben sind. Wir sind ausgebucht, spielen nämlich Hauptrollen in selber geschriebenen Stücken. Eines davon findet, wie schon erwähnt, heute und hier statt.

In diesem Theatrestück heute, geht es also um einen korrupten, repressiven Atomstaat, auf der Anklagebank. Er wird sich zu verantworten haben über seine maroden End- und Zwischenlager. Über die schwere Täuschung von Millionen von Menschen durch gefälschte Gutachten, über die Sicherheit des Endlagers Gorleben, und über seine Interessen bei der ganzen Geschichte. Der Atomstaat wird sich zu verantworten haben, wenn er uns verurteilen will, denn es gibt den rechtfertigenden Notstand, der besagt….

Viel Spaß bei diesem absurden Stück, spielen Sie ruhig mit, wenn ihnen danach ist. Schon klar, dass Sie auch offiziell ihr Drehbuch am Eingang dieses Hauses abgeben mussten. Aber vielleicht nehmen Sie das ja nicht so genau.

 

 


 

Einlassung zur Sache: [Name entfernt], 6.Oktober 2010, Amtsgericht Kandel


Die Botschaft ist klar: Unser erster Prozesstermin wird auf den 6. Oktober 2010 gelegt: Mitten in die Vorbereitungen gegen den Castortransport nach Gorleben ab 5. November, am selben Tag, an dem die Umzingelung des baden-württembergischen Landtags in Stuttgart für die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen stattfindet; und nach Vermutungen soll heute der Atommülltransport von Ahaus nach Russland stattfinden. Uns wird heute der Prozess gemacht, obwohl der Termin seit über 9 Monaten verschoben wird und zu einem anderen Zeitpunkt hätte stattfinden können.

 

Hier findet ein politischer Prozess statt; es scheint hier darum zu gehen, uns von unseren Anti-Atom-Aktivitäten abzuhalten, unsere Kräfte zu bündeln und für unsere Verteidigung vor Gericht zu ziehen, aber auch andere abzuschrecken, sich in die kommenden Proteste einzubringen. Angeklagt sind wenige, gemeint sind wir alle.Es geht in diesem Prozess auch um die Kriminalisierung der Anti-Atombewegung.  Ich zitiere dazu kurz aus der von diesem Gericht angeordneten sitzungspolizeilichen Anordnung:

 

● Zitat: sitzungspolizeiliche Anordnung

 

Kriminalisierung haben wir in den zwei Jahren nach den Castorprotesten 2008   auch in anderen Kontexten erlebt. Ich zitiere dazu aus einem Ausreiseverbot, das ich und andere der heute Angeklagten anlässlich des NatoGipfels in Strassbourg, im April 2009 erhalten haben.

 

● zitieren aus ausreiseverbot,

 

Folgende politische Stellungnahme haben wir zu unseren Ausreiseverboten von Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Bundestages erhalten:


✗ zitieren von der Mail von ströbele

 

Ich möchte diese Kriminalisierung in einen gesellschaftspolitischen Kontext stellen: Ziviler Ungehorsam, das gezielte Stören eines reibungslosen Ablaufs bei Atommülltransporten, ein Störfaktor im Normalzustand einer menschenverachtenden Industrie. Was ist das in Anbetracht des alltäglichen, organisierten Verbechens an der Menschheit, die unsere derzeitige Atompolitik darstellt?

 

Was seit der Jahrtausendwende in den USA als politische Linie verfolgt wurde, sehen wir in den letzte Jahren auch zunehmend in Europa: die politische Verfolgung wichtiger sozialer Proteste (nur, dass nun nach dem kalten Krieg Umweltaktivist_innen als Terroristen hinhalten müssen). Aber wer terrorisiert hier wen? In unserer Arroganz des Menschen über die Umwelt begehen wir einen kompletten Raubbau an der Natur. Katastrophale Öllecks machen das Meer als wichtigen Lebensraum in unserem Ökosystem für Tiere unbewohnbar. Wir treiben den Treibhauseffekt voran, kontaminieren unsere Nahrungsmittel mit Gentechnik und verseuchen die Umwelt radioaktiv. Während wir auf ein Klimachaos zusteuern und die ersten Menschen im Pazifik bereits evakuiert werden, weil der Meeresspiegel ihre Inseln begräbt, während Hunderttausende an unserer Atompolitik krepiert sind, während wir konsequent die Lebensgrundlagen von uns und kommenden Generationen vernichten um noch mehr Geld zu schäffeln, verurteilen wir diejenigen, die in dem Zahnrad unserer Zeit nicht mitspielen wollen, wenn nur einen Eigenwert besitzt, was profitabel und
verwertbar ist.

Ich wurde in diese Welt geboren, aber nie gefragt, wie ich leben will. Ich werde Gefahren ausgesetzt und ich bin nicht einverstanden. Wieso wird von mir erwartet ein Gesetz zu achten, dem ich nie zugestimmt habe, wenn der Staat uns so fahrlässig den Gefahren radioaktiver Strahlung aussetzt, unser – mein - Leben nicht achtet? Angesichts des atomaren Wahnsinns und politischer  Entscheidungen, die über unsere Köpfe hinweg getroffen werden, ist Widerstand die einzige Chance, die uns bleibt.

 

Uns wird vorgeworfen, einen Zug mit Müll gestoppt zu haben:

 

Hochradioaktiven Müll, der durch Zerfallsprozesse 400°C heiß ist und das über Jahrzehnte bleiben wird, der so aggresiv strahlt, dass 40 cm dicke Transportbehälterwände die Strahlung nicht sicher abschirmen können. Müll, dessen Strahlungspotential ein Vielfaches von dem ist, das bei Tschernobyl, Hiroshima oder Nagasaki freigesetzt wurde und dessen Unfallsicherheit nicht in  Praxistests, sondern nur mit Computersimulation getestet wurde und in Behältern aus sprödem, billigem Gusseisen, weil hochwertiger Stahl zwei bis dreimal so teuer wäre. In den USA werden die Behälter aufgrund ihrer Sicherheitsmängel nicht zugelassen.

 

§ 240
Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.Ich frage mich: was bedeutet “Verwerflichkeit” in diesem Zusammenhang? Was ist Gewalt? Ich will hier nicht die Gewaltfrage aufmachen, aber wenn die Staatsanwaltschaft behauptet, wir hätten mit unserer Aktion Gewalt angewendet, dem Zugführer mit Gewalt gedroht, dann frage ich mich, ob die Staatsanwaltschaft Gewalt im Gegensatz zu politisch verfolgten Aktivist_innen schon erlebt hat.

 

✗ Zitat Alex Gerschner zum Polizeistaat im Wendland

 

Da hier die Gewaltfrage aufgemacht wird, wir zu Gewaltäter_innen gemacht werden, frage ich mich: Wenn es Gewalt ist, einen Atommülltransport zu stoppen, was ist es dann, das den Menschen in Tschernobyl angetan wurde, als ihre Region für Jahrzehnte unbewohnbar gemacht wurde, 10tausende an den direkten und langzeitfolgen radioaktiver Verstrahlung starben oder chronisch krank wurden? Was ist mit den hunderttausend Toten nach dem Atombombenabwurf in Hiroshima und Nagasaki? Den erhöhten Krebsraten um Atomkraftwerke? Der Polizeigewalt im Wendland? Und machen wir uns nicht mitschuldig an dieser Gewalt– zu schweigenden Mittäter_innen, wenn wir nicht handeln und uns gegen die Bedrohung allen Lebens wehren?

 

Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen.

 

Eine Verurteilung soll dazu führen, und wird es in manchen fällen auch, dass Menschen die Klappe halten – zu braven Bürgerinnen erzogen werden sollen, die sitzen, schweigen und nicken. Nicht zu handeln, bedeutet Gewalt hinzunehmen. Wenn Sie uns verurteilen, ermutigen Sie zum Verdrängen, anstatt zu handeln.  Das sollte Ihnen klar sein. Ich denke, dass Verurteilungen von gewaltfreien Aktionen andere abschrecken kann, aber es wird

auch Menschen aufwecken. Es wurden schon viele Urteile gegen AktivistInnen gesprochen in den etzten Jahrzehnten und die Proteste gingen weiter – vielleicht hat die eine oder andere aufgegeben, aber es haben auch neue angefangen – und viele waren durch Verurteilungen nur noch entschlossener. Die Menschen da draußen sind wütend - auch Ihre Urteile gegen uns werden die  Anti-Atombewegung nicht aufhalten. Vielleicht können sie manche Menschen vom protestieren abhalten – aber nicht die gesellschaftspolitische Bewegung, die über Jahrzehnte gewachsen ist und sich für eine gesunde Umwelt einsetzt. Das macht mir Mut.

 

Die Versuche, uns zum Schweigen zu bringen, werden bei mir nicht fruchten. Ich werde mich weiter für die sofortige Stillegung aller Atomanlagen weltweit engagieren, werde weiter dazu aufrufen, den reibungslosen Ablauf der kommenden Castortransporte mit effektiven und legitimen Mitteln zu stören. Ich werde weiter für das Leben kämpfen, bis der atomare Wahnsinn aufhört und andere dazu ermutigen, effiziente Wege zu finden, der menschenverachtenden Atompolitik Sand im Getriebe zu sein.

 

Atomkraft ist unverantwortlich und gefährlich. Ich werde mich weiter dagegen einsetzen. Aktivist Alexander Gerschner zur Polizeigewalt im Wendland

 

“Wendland März 2007”

 

“Zum 3. mal wird hochradioaktiver Atommüll ins Zwischenlager Gorleben transportiert.

 

Gemeinsam mit ca. 9000 anderen Leuten nahm ich an der damaligen Sitzblockade des Verladekrans am 4.-5.März in Dannenberg teil. Die Effektivität dieser Blockade bei völligem gewaltverzicht sowie die Teilnehmerzahl und das soziale bzw. Altersspektrum stellten die eingesetzen Beamten vor erhebliche – auch psychologische – Probleme. “Normale” Bürger, alte Menschen, Bauern, Arbeiter: Bevölkerungsgruppen, die nicht mit dem erlernten oder vermuteten Bild des “Störers” übereinstimmten, sollten mit körperlicher Gewalt, Schlagstock- und Wasserwerfereinsatzvon der Strasse entfernt werden. Das Niedersächsische gefahrenabwehrgesetz sieht vor, dass stets das mildere Mittel eingesetzt werden muss, um ein Ziel zu erreichen. Dies wäre in diesem Falle das wegtragen der Demonstranten gewesen, was selbst die Polizeiführung in Vorgesprächen bestätigt hatte.

 

Die Räumung fand zwischen 1.30 in der nacht und 12:00 Uhr mittags statt. Trotz der Kälte – die Temperatur fiehl in der nacht auf -5 Grad, wurde über viele Stunden neben Schlagstöcken und personenverletzenden Griffen auch Wasserwerfer gegen friedlich sitzende Menschen eingesetzt. Trotz der Tatsache, dass es sich hier um eine vollkommen gewaltfreie Sitzblockade handelte, lag die Zahl der Verletzten schliesslich bei 132.

 

Was ich in den Gesichtern sah: Erschöpfung, Wut, Aggression bei den räumenden Beamten, gleichgültigkeit bei den Polizisten im Wasserwerfer, fassungslosigkeit, Tränen, Angst bei den Demonstranten, hinterliess einen bleibenden Eindruck bei mir. Vielen sah man an, dass soeben ihr bisheriges Bild von Staat, Demokratie und Polizei vollkommen zusammengebrochen war. Nach der Räumung wurde ich mit vielen anderen zur Personalienfeststellung eingekesselt. Die Polizeikette wurde immer enger gezogen, bis wir uns nicht mehr bewegen konnten, selbst bei eintretender bewusstlosigkeit hätten wir nicht umfallen können. Einer der Beamten sagte dann: “Und nichtg vergessen Leute: unten arbeiten!”, worauf mehrere seiner Kollegen anfingen, uns mit ihren gepanzerten Stiefeln gegen die Schienbeine zu treten. Wir waren derart zusdammengequetscht, dass wir den Tritten nicht ausweichen konnten.

 

Nur wenige Stunden vorher, gegen 3 Uhr morgens, kam es zu einem Vorfall, der mir das Ausmass staatlich ausgeübter Bedrohung besonders deutlich  machte. Die aus Hessen stammende Besatzung eines Krankenwagens, die zu einer Notfallversorgung in die Gefangenensammelstelle Neu-Tramm gerufen worden war, musste dort aussteigen. Während der Krankenwagen durch die Polizei durchsucht wurde, hielt ein Beamter einem rettungssanitäter eine Pistole an den Kopf. Dieser Vorfall kann von mehreren Zeugen bestätigt werden.”

 

“Während des Castortransports 1997 sind nach Angaben von SanitäterInnen und Ärztinnen mindestens 400 Menschen verletzt worden, 30 Personen erlitten schwere verletzungen, wobei hierzu nur schwere und komplizierte Arm- und Beinbrüche, Halswirbelfrakturen, Nieren- und Milzprellungen und Kieferfrakturen gerechnet wurden.

 

Zahllose Augenzeugen berichten, dass die Polizei geziehlt durch tritte und Schläge auf den Kopf von Demonstrantinnen versucht hat, diese demonstrationsunfähig zu schlagen. Platzwunden, Gerhirnerschütterungen, Nasenbeinbrüche und Augenverletzungen waren vielerorts die Folge von Polizeiübergriffen bei Sitzblockaden und Demonstrationen auch ausserhalb der verbotszone. Bereits abgeräumte DemonstrantInnen wurden hinter den Polizeiketten krankenhausreif geschlagen, Menschen die verzweifelt, ängstlich und weinend an Baumstämmen lehnten, wurden von bis zu 5 Polizisten gleichzeitig zusammengeschlagen und Menschen denen schon längst die blutabschnürenden Schnellbinder um die Handgelenke gelegt waren, wurden immer noch getreten. Bei den Demonstrationen gegen den castor-Transport nach Gorleben Mitte November 2001 wurden von der Polizei besonders häufig Tiere gegen Demonstranten eingesetzt. 24 Menschen wurden durch Polizeihunde verletzt, 2 davon schwer. Viele der Opfer wurden mehrfach gebissen, ein verletzter sogar 40 mal. Ein Hund hatte sich so in den Unterarm eines Atomkraftgegners verbissen, dass sein Kiefer mit einem Polizeiknüppel gewaltsam geöffnet werden musste.”

Brief Ströbele:

 

Datum:  Thu, 9 Jul 2009
Hallo ...,

vielen Dank für deine Anfrage, gerne möchte ich deine Fragen beantworten. Die Datei „Gewalttäter links“ wurde nach dem Vorbild der Datei „Gewalttäter Sport“, die nach der Fußball-WM 1998 geschaffen wurde, 2001 eingerichtet. Zweck dieser Einrichtung war laut der Bundesregierung die „Verbesserung der Situation bei der Bekämpfung politisch motivierter Straftaten“ herbeizuführen.

Um in diese Datei aufgenommen zu werden, muss man aber nicht unbedingt Gewalt ausgeübt haben, sondern es genügt bei Versammlungen von der Polizei erfasst worden und als potentieller Gewalttäter eingestuft worden zu sein. Tatbestände wie „gefährliche Eingriffe in den Verkehr“, „Störung öffentlicher Betriebe“ „Nötigung“ wie bei Straßenblockaden oder Verstöße gegen das Vermummungsverbot reichen um in die Datei aufgenommen zu werden.

Eine bloße Anschuldigung genügt, „wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Betroffenen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden.“

Die Rechtsgrundlage für die Datei „Gewalttäter Links“ ist § 34 i. V. mit §§ 5, 7, 8, 9 und 13 Bundeskriminalgesetz (BKAG). Laut Bundesregierung sollen diese Daten der Polizei zur Verhinderung und Verfolgung politisch links motivierter Straftaten dienen. Ob dies als Rechtsgrundlage ausreicht ist sehr fraglich. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Az. 11 LC 229/08) stellte jedenfalls mit Urteil vom 17. Dezember 2008 fest, dass für die Datei „Gewalttäter Sport“ eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage fehle, weil keine Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums und kein Beschluss des Bundesrates vorliegen. Dies trifft grundsätzlich auch auf die „Gewalttäter links“-Datei zu.

(Was kann deine Bekannte nun unternehmen?

Sie kann Antrag auf Vernichtung erkennungsdienstlicher Unterlagen stellen, über den dann unter Berücksichtung verschiedener Kriterien entschieden wird. § 81 b 2. Alt. StPO ist Ermächtigungsgrundlage für die weitere Aufbewahrung, soweit und solange sie notwendig erscheint. Diese Notwendigkeit bemisst sich danach, ob der im Strafverfahren festgestellte Sachverhalt Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass Deine Bekannte auch zukünftig als Beteiligte an Straftaten in Betracht kommt. Wenn nach Abschluss des Verfahrens kein Tatverdacht mehr übrig bleibt, dass Deine Bekannte künftig strafrechtlich in Erscheinung treten wird, hat Sie einen Rechtsanspruch auf Vernichtung der Unterlagen.)

Problematisch ist aber, dass selbst ein rechtskräftiger Freispruch oder eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts einer weiteren Datenspeicherung nicht zwingend entgegensteht, falls dies weitere Verdachtsmomente begründen. In einer Verhältnismäßigkeitsprüfung wird dann geprüft, ob noch eine Gefahr besteht.Ich stimme dir zu. Meiner Meinung nach ist ebenfalls die Einschränkung der Reisefreiheit aufgrund einer Eintragung in eine solche Datei unverhältnismäßig und verfassungswidrig, da bereits Bagatelldelikte für eine Speicherung in diese Datei ausreichen.

beste Grüße

Robert Faußner i.A. von Herrn Ströbele

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Robert Faußner
MdB-Mitarbeiter
Hans-Christian Ströbele, MdB