Todesengel im Internet

„Thiazi” hat 13.000 Mitglieder
Erstveröffentlicht: 
19.02.2010

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Rechtsextremismus

Todesengel im Internet

Auf thiazi.net tauschen sich Rechtsextremisten ganz offen über Waffenkauf und „Unterrassen“ aus, leugnen den Holocaust und drohen Ex-Mitgliedern. Strafverfolgung müssen sie nicht befürchten - der Server steht in Amerika.


Von Christoph Gunkel

Das Forum tobt. „Fettes, hässliches Schwein“, „Verräter“, „Medienhure“ schreiben Nutzer mit martialischen Namen wie „Norddonner“ oder „WW-Terrorcrew“. Ihr Hass richtet sich gegen Frank Försterling, der vor kurzem aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen ist. Jetzt diskutieren sie im „Thiazi“-Forum über Konsequenzen. Das Forum, das seinen Namen von einer Heldenfigur aus der germanischen Mythologie ableitet, ist der einflussreichste deutschsprachige Tummelplatz für Neonazis und Nationalisten im Internet.

„Warum besucht den keiner?“, fragt „WW-Terrorcrew“ süffisant und meint damit sicher keine Plauderei bei Kaffee und Kuchen. Nicht der einzige indirekte Aufruf zur Gewalt. „Wenn einer wie dieser Försterling seine eigenen Mitstreiter verrät, öffentlich anpisst und in den Dreck zieht, kann ich nicht mehr damit leben“, entrüstet sich „SturmLU“. „Solche Leute gehören für ihr Handeln ordentlich abgestraft!!!“ Ein anderer Nutzer schlägt vor, große Fotos von Försterling zu veröffentlichten nach dem Motto: „Wenn ihr ihn trefft, dann aber richtig!“ Und „Landerun“ merkt lakonisch an, dass Verräter im Dritten Reich „gar keine Chance mehr bekamen, weitere Interna auszuplaudern“.

Gabriel Landgraf glaubt, dass solche Drohungen ernst zu nehmen sind. 15 Jahre lang war er selbst fest in der Berliner rechtsextremen Szene verwurzelt. Er war Mitbegründer von später verbotenen Organisationen wie der „Berliner Alternative Süd-Ost“ und gestaltete den NPD-Wahlkampf mit. Doch nach und nach wuchsen seine Zweifel, auch an der Gewalt. Er suchte Gespräche außerhalb des Milieus und stieg 2006 mit Hilfe der Organisation „Exit Deutschland“ aus. „Danach wurden Pressemitteilungen in Foren über meinen Ausstieg veröffentlicht, und ich bekam Drohanrufe und Droh-SMS“, berichtet er. Einst selbst Stammschreiber bei einem direkten Vorgängerforum von „Thiazi“, schlug ihm nun die geballte Wut der alten Kameraden entgegen.
„Unterrasse“ im Nutzerprofil

„Das Internet ist inzwischen das wichtigste Medium in der Szene“, glaubt Landgraf. „Seiten wie das „Thiazi“-Forum sind immer professioneller geworden. Hier kann man indizierte Musik tauschen oder sich zu einschlägigen Veranstaltungen verabreden. Besonders für die Rekrutierung des Nachwuchses sind die Foren immens wichtig.“ Das Konzept: Alle Strömungen im rechten Milieu werden angesprochen und bedient, die ganze Lebenswelt eines Rechtsextremisten soll abgedeckt werden. „Brauchtum, Lifestyle, Politik, Filme - da ist für jeden etwas dabei“, sagt der Zweiunddreißigjährige. So finden sich im Forum neben harmlosen Fachsimpeleien über Tätowierungen auch Ratschläge für Straßenkampf und Waffenkauf, Tipps bei Problemen mit der Justiz und ein großes Medienarchiv. Es gibt historisches Tonmaterial, NS-Plakate, „Mein Kampf“ in digitalisierter Form und ideologische Schriften von Horst Mahler.

Nach Angaben der Seite sind 13 000 Mitglieder im „Thiazi“-Forum registriert, das nach diversen Umstrukturierungen 2007 aus dem deutschsprachigen Teil von „Skadi.net“ hervorging. Das Forum, dessen Teilnehmer Namen tragen wie „FinalSolution“, „Todesengel“ oder „Bombensturm“, ist nach einer hierarchischen Logik konzipiert: Wer viele Beiträge schreibt und Spenden auf ein britisches Konto überweist, besitzt mehr Rechte als ein einfaches Mitglied - und darf fortan Titel tragen wie „Freund der Germanen“. In den Profilen finden sich etliche Bilder von NS-Größen, antisemitischen Plakaten oder Hakenkreuzen. In ihrer Profil-Maske können Nutzer ihre „Unterrasse“ angeben, ihren Wohnort etwa als „Reichshauptstadt“ oder „Gau Berlin“ bezeichnen und ihre Religion mit „Blut und Boden“ umschreiben.
Leugnung des Holocausts

Stimmt die interne Übersichtsstatistik, gibt es gut eine Million Beiträge zu fast 68 000 Themen, aufgeteilt in Dutzende Unterforen - fast alles ist frei zugänglich. So gibt es im Bereich „Geschichte“ Unterforen wie „Holocaust: Betrug des 20. Jahrhunderts?“, in denen die üblichen wirren Verschwörungstheorien verbreitet werden. Dass eigentlich kaum jemand mehr in diesem Forum mit solchen Ideen infiziert werden muss, zeigt eine Umfrage unter 2252 Teilnehmern. Auf die Frage „Hat der Holocaust stattgefunden?“ antworteten 45 Prozent: „Natürlich nicht.“

Doch die „Thiazi“-Besucher interessieren sich nicht nur für den Holocaust und ihre Hassfiguren wie Zigeuner, Ausländer und Homosexuelle, sondern offenbar auch für ganz andere Seiten: So gibt „Bombensturm“ Tipps zum Kartoffelkochen, und „Odins Berserker“ bittet um Hilfe im Kampf gegen Schimmel. „Genickschuss“ präsentiert das Foto seiner süßen Hündin Lissy, und „Luftwaffe“ stellt seinen einjährigen Hamster vor. Die stolzen Tierbesitzer selbst sieht man in den Bildergalerien eher selten. Wer sein Foto ins Forum stellt, schwärzt meist seine Augen oder posiert vermummt vor seiner Hakenkreuzflagge. Und seinen wahren Namen verrät niemand - zu groß ist die Angst vor Hausdurchsuchungen.
„Thiazi“-Server steht in Amerika

Auch der Betreiber der Seite hat sich abgesichert: Die in Deutschland strafbare Leugnung des Holocausts kann nicht juristisch geahndet werden, weil der Server des Forums in den Vereinigten Staaten steht - dort zählt so etwas zur Meinungsfreiheit. Wie wenig gegen „Thiazi“ vorgegangen werden kann, zeigt die Entscheidung „Nr. 7735 vom 27.9.2007“ der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Detailliert weist die Prüfstelle auf zwölf Seiten die „Glorifizierung“ des Nationalsozialismus und die „Relativierung von Kriegsverbrechen“ nach und setzt das Forum auf die Liste D der jugendgefährdenden Medien. Hier landen nur Medien, die womöglich strafrechtlich relevant sind. Eine Internetseite aus Deutschland könnte in letzter Konsequenz gesperrt werden.

Doch mit der Flucht nach Amerika bleiben die Waffen der Justiz und der Prüfstelle stumpf. „In solchen Fällen“, erklärt Petra Meier, stellvertretende Vorsitzende der Bundesprüfstelle, „kann das Internetangebot nur in eine Filtersoftware eingespeist werden.“ So könnten Schulen oder Eltern wenigstens verhindern, dass Minderjährige an Rechnern mit der Software die jugendgefährdenden Inhalte aufrufen. Besonders ärgert Meier aber, dass im „Thiazi“-Forum etliche rechtsgerichtete Musiktitel heruntergeladen werden können, die die Prüfstelle auf den Index setzte.
Tipps zum Waffenkauf

Die Betreiber der Seite behaupten in ihren „rechtlichen Hinweisen“, das Forum lehne „illegale Gewalt und Hass basierend auf Vorlieben, Hautfarbe oder Glaube“ ab. Vielmehr wolle man „ein freundliches und angenehmes Klima“ schaffen, in dem sich Menschen weiterbilden könnten - was sich nur als dreiste Lüge bezeichnen lässt. Im Vertrauen auf die scheinbar grenzenlose Meinungsfreiheit verhalten sich manche Nutzer möglicherweise zu arglos. So erkundigt sich „Freischaerler“ nach einer Pistole. Er bekommt Tipps zur Kalibergröße und mit welcher Waffe er „im Nahkampf“ besonders wendig sei - aber auch Warnungen: „Ich finde es ziemlich blöd, im Netz danach zu schauen“, schreibt ein Nutzer. Viele heikle Diskussionen dürften daher über den Modus „Privatnachrichten“ laufen.

Nicht zu Unrecht: Im Jahr 2004 und 2006 wurde „Skadi.net“, der Vorgänger von „Thiazi“, im Verfassungsschutzbericht erwähnt. In einem Fall suchte ein Nutzer nach Anleitungen für Rohrbomben - damit wolle er „z.B. eine Punkerhütte zerstören oder 'nen Türkenladen“. Das ist selbst manchen „Thiazi“-Nutzern zu viel. Man solle sich seine Worte genau überlegen, schimpft einer. „Solche Steilvorlagen müssen wir unserem Feind nicht bieten!“

Während etliche Forumsnutzer Gewaltexzesse bejubeln, sind andere strikt dagegen - vermutlich aus strategischem Kalkül. Das Bild des tumben, prügelnden Nazis gilt manchen innerhalb der Szene inzwischen als imageschädigend. Ellenlang wird daher das Thema „Der Nationalsozialist und sein Kampf in der neuen Zeit“ diskutiert. Höflich solle man sich heutzutage als Neonazi geben, auch gegenüber Ausländern, in der Öffentlichkeit nicht viel trinken und sich korrekt kleiden. Das Motto: Bloß nicht provozieren. Mancher Ratschlag wirkt unfreiwillig komisch. So schlägt „Fritz Brand“ vor, neue Anhänger mit guten Taten zu rekrutieren: „Man hilft einer Frau, den Kinderwagen aus dem Zug zu heben.“ Sobald sich die Frau bedanke, solle man selbstbewusst antworten: „Nichts zu danken. Ich bin Nationalsozialist, das war selbstverständlich.