Ein Text zu den verantwortlichen Neonazis und zur neuen Strategie der Polizei Aachen
In Aachen wurden in den Nächten vom Freitag dem 30.7 auf Samstag den 1.8 und von Samstag dem 1.8. auf Sonntag den 2.8. verschiedenste Sprühaktionen von Neonazis durchgeführt. Zudem wurde der jüdische Friedhof in Aachen geschändet. Das Eingangstor sowie die Gedenktafel wurden beschmiert, auf die Mauer wurden auf einer Länge von 40 Metern Hakenkreuze, sowie die Sprüche „Freiheit für Palästina“ und über 15 Meter „Den Juden den Gashahn aufdrehen“ gemalt. Neben dem jüdischen Friedhof wurden acht weitere Orte beschmiert, darunter das Haus eines Aussteigers, das Büro der Linken sowie der Aachener Zeitungsverlag (“Die Presse lügt“). Die Scheibe des Büros der „Linken“ wurde zudem eingeworfen, nun bereits zum vierten Mal.
Die öffentliche Reaktion auf die Schmieraktionen war relativ groß, es gab mehrere Presseartikel in den lokalen Medien und verschiedenste Verbände zeigten ihre Ablehnung. Die Polizei ließ sofort verlauten, dass mit Hochdruck ermittelt werde, sprach allerdings von den Vorwürfen der Sachbeschädigung und der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen. Von Volksverhetzung keine Spur?
Am 11.8 veröffentlichte die Aachener Polizei dann eine ungewöhnlich lange und detaillierte Pressemitteilung, in der sie angab, einen Tatverdächtigen wegen der Sprühaktionen am Jüdischen Friedhof verhaftet zu haben. Dem vorausgegangen seien „akribische Ermittlungen und Durchsuchungsaktionen“. Bei dem Verhafteten handele es sich um einen 24 Jährigen Aachener Neonazi. Interessanterweise wird in Neonazikreisen gemunkelt, dass wenige Tage vorher bei einem durchaus bekannten 24-jährigen Neonazi eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde.
Besagter Neonazi, Patrick L., bewegt sich seit mindestens 3 Jahren in der organisierten Neonaziszene, schien jedoch seit etwa einem Jahr von der Bildfläche verschwunden zu sein. Die Polizei teilte weiterhin mit, dass es mindestens einen weiteren Tatverdächtigen gebe, dessen Verhaftung kurz bevor stehe.
In Presseberichten wird spekuliert, dass es sich dabei um den am 12.8. wegen mehreren Körperverletzungsdelikten zu vier Wochen Jugendarrest verurteilten Falko W. handelt. Besagter ist mit seinen 19 Jahren bereits im inneren Kern der Aachener Naziszene zu verorten, er versucht sich oftmals durch besonders gewalttätiges Vorgehen zu profilieren. Wolf war es auch, der Anfang Juni aus seinem Auto heraus mit einer Steinschleuder Stahlkugeln auf AZ BesucherInnen schoss. Aus demselben Auto schoss wenige Tage später der Aachener Neonazi Timm M. mit einer Gaspistole auf BesucherInnen des Autonomen Zentrums Aachen. Falko W. war der Fahrer. Auch bei anderen Angriffen auf das AZ wurde Falko W. beobachtet, einmal trug er dabei einen mittelalterlich anmutenden Morgenstern.
Des Weiteren kam es in den letzten Monaten immer wieder zu Schmierereien von Neonazis in der Aachener Innenstadt. Maßgeblich davon betroffen war neben Privatwohnungen das AZ Aachen. Das intellektuelle Niveau der Nazisprayer ging jedoch meist nicht über „NS-Jetzt – KAL“, oder „Adolf Hitler“ hinaus. Das kommt eben dabei heraus, wenn Nazis meinen, DIY zu praktizieren.
In besagter Pressemitteilung der Aachener Polizei, die sich in der Vergangenheit nicht gerade durch Ermittlungen gegen die extreme Rechte profilierte, wurden minutiös die Vorfälle der letzten Wochen am Autonomen Zentrum aufgezählt. Ein „Vorfall“ allerdings fehlt. Am 18.7. legten Neonazis vor dem AZ Aachen eine Bombenattrappe ab. Es handelte sich um ein an „die Antifa“ gerichtetes Paket ohne AbsenderIn. Die Polizei wurde gerufen, und rief ihrerseits nach einigem Zögern und Witzeln den Staatsschutz und die Kriminalpolizei sowie die Feuerwehr. Diese nahmen das Paket durchaus ernst, und ließen ein Bombenentschärfungsteam vom LKA aus Düsseldorf kommen. Die Spezialisten untersuchten den Aufbau des Pakets und stuften es als ernst ein. Anschließend führten sie eine kontrollierte Sprengung durch. Danach wurde verlautbart, es handele sich um eine Attrappe.
Bürgermeister Marcel Philipp, eher schweigsam, geht es um extrem rechte Gewalt in Aachen, gab auch noch seinen Senf ab. Er äußerte nach der Friedhofsschändung Anfang August seine Anteilnahme, sprach allerdings von Aktivitäten von Einzelpersonen. Insgesamt sei für ihn keine Steigerung extrem rechter Aktivitäten zu verzeichnen. Antifaschistische Gruppen hingegen sehen seit etwa 3 Jahren eine deutliche Steigerung der Naziaktivitäten in und um Aachen – einhergehend mit einer extrem rechten Organisierung um die Kameradschaft Aachener Land und die NPD-Düren. So kam es zu mehreren Angriffen auf (vermeintliche) AntifaschistInnen und andere Menschen, die nicht in die Nazi-Volksgemeinschaft passen.
Wirklich interessant wird die Polizeimitteilung dort, wo von einer neuen Strategie gesprochen wird. Nicht etwa gegen organisierten Neonazismus, sondern „Zur Vermeidung von Rechts-Links-Konfrontationen“ und zur „Eindämmung politisch-motivierter Gewalt“. Diese neue Strategie sehe so aus, dass von nun an stärker gegen „die Szenen“ (wohlgemerkt im Plural formuliert) vorgegangen werde. Dies geschehe durch eine Sensibilisierung der PolizistInnen für die Problematik, vor allem aber mit Hilfe von Aufklärungsmaßnahmen wie Personaleinkontrollen und Abschreckung durch zunehmende Platzverweise. Dies führe dazu, dass „die Szenen“ erhellt werden würden. Im Klartext heißt das, dass die Aachener Polizei versucht, Einblick in linke Strukturen zu erhalten. In der Tat wurde in den vergangenen Wochen das AZ regelmäßig von PolizistInnen in Zivil und Uniform beobachtet, und es wurden Personalienfeststellungen von Menschen gemacht, die offensichtlich nicht der extremen Rechten angehören. Zudem, so heißt es, werde die Polizei von nun an gezielt „potenzielle Gewalttäter aus den Szenen“ ansprechen, und sie auf die möglichen Konsequenzen einer Straftat hinzuweisen.
Die Aachener Polizei versucht hier schlicht unter dem Vorwand, Neonazismus zu bekämpfen, Informationen von Linken zu erhalten – nicht etwa über Neonazis, sondern über linke Strukturen in Aachen.
In der Aachener Region findet in den letzten Jahren eine unübersehbare und für viele Menschen real bemerkbare Formierung extrem rechter Kräfte statt. Auch wenn die Stadt ihr „sauberes Image“ erhalten will, ist Aachen neben Dortmund die Stadt in NRW mit der größten organisierten NS- Szene. Seit 2008 finden in Stolberg in der Nähe von Aachen jedes Jahr im April Aufmärsche mit bis zu 600 Neonazis statt. Neonazis aus NRW, Düren und Aachen versuchen hier einen Märtyrerkult und einen festen Aufmarschtermin für die bundesweite Naziszene zu etablieren. Im Alltag versuchen Neonazis mit Sprühaktionen wie Anfang August den öffentlichen Raum für sich zu beanspruchen und ihre menschenverachtende Propaganda, Antisemitismus und Rassismus zu verbreiten. Sie versuchen ein Klima der Angst aufzubauen und antifaschistischer Kultur und Politik durch Einschüchterung, Angriffe auf Wohnungen und Menschen beizukommen.
Für den 25.9. 2010 haben im Übrigen Neonazis der sog. Freien Kräfte und der Dürener NPD (Axel Reitz und Ingo Haller) angekündigt, einen Aufmarsch in Aachen durchführen zu wollen. Dieser soll nach dem Willen der Nazis um 12.00 Uhr am Hauptbahnhof beginnen und richtet sich gegen den Bau einer Moschee im Aachener Ostviertel. Wir werden das nicht hinnehmen. Wir werden nicht zulassen, dass Neonazis – geschützt von der Polizei – in Aachen ihre rassistische Hetze verbreiten können.
Presseartikel:
Bericht von Michael Klarmann von 2.8, mit einer genaueren Aufzählung der
betroffenen Orte:
http://klarmann.blogsport.de/2010/08/02/ rechts-neonazis-schaenden-juedischen-friedhof-in-aachen-und-werfen-als-nachwuchs-nsdap-anderen-vor-sed-zu-sein/
Bericht der Aachener Nachrichten vom 2.8. mit Bild:
http://www.an-online.de/lokales/aachen-detail-an/1367443/Nazi-Schmierereien-am-juedischen-Friedhof
Bericht von Michael Klarmann mit dokumentierter Polizeipressemitteilung:
http://klarmann.blogsport.de/2010/08/11/dokumentation-polizei-mit-ersten-ermittlungsergebnissen-nach-farbattacken/
Bericht der Aachener Zeitung zu den Verhaftungen (mit Bildern):
http://www.az-web.de/lokales/aachen-detail-az/1375967?_link=& skip=10&_g=Polizei-ist-sicher-Nazi-Schmierer-gefasst.html
Bericht der Aachener Nachrichten zum zweiten verdächtigen Neonazi:
http://www.an-online.de/news/topnachrichten-detail-an/1377128/Arrest-als-letzte-Mahnung-fuer-den-19-jaehrigen-Neonazi