Der Verfassungsschutz lässt seine Geschichte erforschen

Erstveröffentlicht: 
14.07.2010

Der Verfassungsschutz lässt seine Geschichte erforschen

 

Rolle von ehemaligen Nazis soll aufgearbeitet werden

 

 

Andreas Förster

 

BERLIN. Sechs Jahrzehnte nach seiner Gründung will nun auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine kritische Neubewertung seiner Anfangsjahre in Angriff nehmen. Insbesondere geht es um die Frage, welche Rolle und welchen Einfluss frühere Nazis und Kriegsverbrecher in der Behörde ausübten. Wie das Bundesamt auf Anfrage mitteilte, ist dazu ein Forschungsprojekt unabhängiger Wissenschaftler geplant. In dem am 7. November 1950 in Köln gebildeten BfV arbeiteten - zum Teil in leitenden Positionen - bis in die 60er- und 70er-Jahre hinein frühere Mitarbeiter von SS, Gestapo und NS-Geheimdiensten, von denen einige an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein sollen.

 

Unabhängiger Historiker

 

"Das BfV plant, einen unabhängigen Historiker beziehungsweise ein wissenschaftliches Institut mit der Aufarbeitung der Gründungsgeschichte des Amtes zu beauftragen", sagte Behördensprecherin Tânia Puschnerat der Berliner Zeitung. "In diesem Kontext sollen auch Umfang und Einfluss der NS-Bezüge ehemaliger Mitarbeiter des BfV erforscht werden. Es ist vorgesehen, dieses Forschungsprojekt im Zuge einer öffentlichen Ausschreibung zu vergeben, sobald die Finanzierung gesichert ist." Derzeit sei das Amt noch mit dem weiteren Aufbau des BfV-Aktenbestandes im Bundesarchiv befasst. Damit solle, so die Sprecherin, die Grundlage für eine geschichtswissenschaftlich korrekte Erforschung geschaffen werden.

 

Auch andere Sicherheitsbehörden des Bundes haben sich in der Vergangenheit mehr oder weniger intensiv mit ihren braunen Wurzeln befasst. Bereits 2007 diskutierte das Bundeskriminalamt in mehreren Kolloquien über die personelle Kontinuität des Hauses mit früheren NS-Behörden.Danach wurde der Historiker Patrick Wagner, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Halle, mit einem Forschungsprojekt zur Gründungsgeschichte des Amtes beauftragt. Ende dieses Jahres oder Anfang kommenden Jahres soll sein Projektbericht öffentlich vorgestellt werden.

 

So weit ist der Bundesnachrichtendienst noch lange nicht. Dessen Präsident Ernst Uhrlau hatte zwar im Juli 2006 angekündigt, dass sich der Erlanger Historiker Gregor Schöllgen mit der Geschichte des BND befassen werde. Zwei Jahre später aber war das Vorhaben schon wieder gestorben, weil sich Schöllgen mit Kanzleramt und BND nicht auf die personelle und finanzielle Ausstattung des Forschungsprojekts einigen konnte.

 

Das BfV hat seine Anfangsjahre bisher nicht kritisch aufgearbeitet. Dabei gab es Ende der 60er-Jahre eine Reihe von Berichten darüber, dass frühere Nazis ihre Beamtenkarriere beim Verfassungsschutz fortsetzen konnten, obgleich sie direkt oder mittelbar an Gräueltaten des Hitler-Regimes beteiligt waren. Auch die Stasi hatte Informationen aus den in der DDR lagernden Personalakten des NS-Regimes ausgewertet. Sie waren die Grundlage eines 1967 in beiden Teilen Deutschlands veröffentlichten "Braunbuchs" über NS-Täter, die in bundesdeutschen Behörden arbeiten.

 

Lange Namensliste

 

Diese Unterlagen belegen etwa, dass eine Reihe ehemaliger Nazis sogar Spitzenposten im Kölner Bundesamt bekleideten. So wird in dem "Braunbuch" zum Beispiel Hubert Schrübbers erwähnt, der von 1955 bis 1972 das BfV als Präsident leitete. Vor 1945 soll Schrübbers demnach als Staatsanwalt in Hamm an Vorgängen gegen Gegner des Naziregimes beteiligt gewesen sein. Sein Vize Albert Radke war laut NS-Akten als Oberst im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht tätig. Gustav Halswick, der bei Schrübbers das Amt eines Sonderbeauftragten des BfV-Präsidenten bekleidete, wurde laut MfS-Unterlagen vorgeworfen, vor 1945 als SS-Obersturmbannführer an Kriegsverbrechen in Polen und der Sowjetunion beteiligt gewesen zu sein.

 

Auch Richard Gercken, der in Schrübbers Amtszeit die Spionageabwehr im BfV leitete, kam den NS-Akten zufolge aus der SS: Vor 1945 war er als SS-Hauptsturmführer in der Gestapo unter anderem in den Niederlanden eingesetzt. Sein Abteilungsleiterkollege Wilhelm Ludwig, der die Geheimschutzstelle im BfV leitete, diente demnach als Sturmbannführer in der 87. SS-Standarte in Innsbruck. SS-Hauptsturmführer Erich Wenger, von der Gestapo an der deutschen Botschaft in Paris eingesetzt, brachte es im BfV zum Leiter Beschaffung in der Spionageabwehr. Der 1974 als Kriegsverbrecher verurteilte Gustav Barschdorf war bis in die 60er-Jahre hinein ebenso im Kölner Bundesamt tätig wie Kurt Lischka, der 1980 wegen Kriegsverbrechen zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.

 

Einige hochrangige BfV-Mitarbeiter arbeiteten in den ersten Jahren unter falschem Namen beim Verfassungsschutz mit, weil sie fürchteten, wegen Kriegsverbrechen verfolgt zu werden. So etwa Kurt Marschner alias Fischer, der als SS-Sturmbannführer im Vernichtungslager Auschwitz eingesetzt war. Auch Karl-Heinz Siemens, der als SS-Obersturmführer in der für viele Kriegsverbrechen verantwortlichen Leibstandarte Adolf Hitler diente, war zunächst als Dr. Kaiser in der Bundesrepublik untergetaucht und wurde später Oberregierungsrat in der für Linksradikalismus zuständigen Abteilung III des BfV.

 

Alfred Wurbs schließlich habe laut MfS-Akten mit Wissen der Bundesregierung unter seinem Decknamen im BfV arbeiten dürfen, bevor er ab 1956 mit richtigem Namen Gruppenleiter in der Geheimschutzabteilung des BfV wurde. Vor 1945 war Wurbs als Angehöriger der Waffen-SS-Division "Prinz Eugen" auf dem Balkan eingesetzt.