[Kurdistan/Bln]: Protest gegen Krieg vor dem Brandenburger Tor

Internationale Aktivist_innen vor dem Brandenburger Tor/Berlin

Anlässlich eines internationalen Protesttages gegen den andauernden grenzübergreifenden Krieg der Türkischen Armee in Türkei und Irak (Nord- und Südkurdistan) ließen sich heute einige internationale Aktivist_innen vor dem Brandenburger Tor von hunderten Touristen ablichten. Die entspannte Urlaubsatmosphäre führte zu vielen interessierten Fragen und einer hohen Abnahme von Flugblättern. Die Unvorstellbarkeit des Kriegsalltages in Kurdistan und deren krasse Diskrepanz zu sonniger Ausflugsatmosphäre und Touristenkulisse erzeugte bei den Gesprächen oft gewisse Gruselschauer.

Etwa 20 Aktivist_innen versammelten sich am Vormittag mit Transparent, Plakaten und Flugblättern vor dem Brandburger Tor, um gegen den wieder entflammten Krieg in Kurdistan zu protestieren. Die Kulisse war mit bedacht gewählt worden, um den internationalen Charakter des Konfliktes deutlich zu machen und Leute aus vielen Ländern hier anzusprechen.

Der grenzübergreifende Krieg in Kurdistan ist seit mehr als einem Monat heftig entbrannt und hat bereits eine Intensität wie zuletzt Anfang der 90er Jahre, mit Vertreibungen, Dorfzerstörungen, Abbrennen von Feldern und Wäldern durch die Türkische Armee, extralegale Hinrichtungen von Menschenrechtsaktivist_innen oder gefangengenommenen Guerillas, Verstümmelung oder Verschwindenlassen der Leichen, Inhaftierung vieler gewählter Politiker_innen und Journalist_innen, aber auch von minderjährigen Jugendlichen und Kindern für Steinwürfe gegen Polizei oder Militär, scharfe Schüsse in Demonstrationszüge und mediale Hetze gegen alle, die sich für einen Frieden stark machen und dabei Bedingungen nennen.

Auf der europäischen Seite - und der deutschen im besonderen - steht eine Mauer aus Schweigen, das gebetsmühlenartige Wiederholen "des demokratischen Wandels" den die AKP-Regierung in der Türkei eingeläutet hätte, das Verallgemeinern der anderen Konfliktpartei als "Terroristen", ihre Verfolgung und Verurteilung in jedem Satz - und andererseits die ungedrosselte Lieferung von Kriegsmaterial an den "NATO-Partner Türkei" und die Ausbildung von Türkischer Polizei und Militär in Deutschland - Drohnentechnik, Aufstandbekämpfung, Pilotenschulungen...
Hier spielen wirtschaftliche und geostrategische Interessen ein übles Spiel mit den UN-Menschenrechten, so dass auch ein weiteres Mal deutlich wird: Menschenrechte sind Verhandlungsmasse auf globalisiertem Parkett - aber keine hohen Trümpfe im Machtpoker im Nahen Osten!

weitere Infos:

Kampagne TATORT Kurdistan http://tatort-kurdistan.blog.de
Informationsstelle Kurdistan e.V. (ISKU) http://www.isku.org
Kurdistan Solidaritätskomitee Berlin http://kurdistan.blogsport.de


Im Folgenden dokumentieren wir den Redebeitrag, der über Megafon gehalten wurde und einige Fotos:

 

Begrüßung
Seit nun schon mehr als einem Monat ist der einseitige Waffenstillstand der kurdischen Guerilla beendet worden. Er war nicht mehr sinnvoll erschienen, nachdem der türkische Staat tausende politische Aktivist_innen inhaftieren ließ, unter ihnen auch viele Kinder und Jugendliche. Massive Bodenluftoperationen mit dem Ziel der Vernichtung der kurdischen Guerilla, das Verbrennen und Zerstören dutzender Dörfer in Nord- Südkurdistan, die zunehmende Zahl von Folterfällen und extralegale Hinrichtungen machten ein Fortdauern einer einseitigen Waffenruhe unmöglich. Die türkische Regierung fordert unterstützt von europäischen wie türkischen Medienvertreter_innen die Guerilla zu einer Erneuerung des einseitigen Waffenstillstandes auf, ohne jedoch bereit zu sein etwas für eine friedliche Lösung zu tun. Diese Forderung ist vor dem Hintergrund der andauernden Kriegsverbrechen und Repressionen in Kurdistan nichts anderes als ein Mittel, um die kurdische Freiheitsbewegung zu vernichten. Sie ist genau das Gegenteil einer friedlichen Lösung!
Wir sind wütend und traurig über die schmutzige Kriegstreiberei des türkischen Militärs!
Das türkische Militär greift immer mehr zu schmutzigen Kriegstaktiken und rächt sich an der kurdischen Bevölkerung, den gefangenen und gefallenen Aktivist_innen und Guerillas grausam. So sind in den letzten zwei Wochen mehr als 20 Fälle von Zerstückelung, Misshandlung bis hin zu Missbrauch der Körper gefallener Guerillas zu verzeichnen. Erst letzte Woche wurden in Siirt und Şemdinli die Körper von etlichen gefallenen Guerillas verstümmelt und insbesondere die Leichname der drei Frauen auch sexuell von Soldaten angegriffen.
Wir trauern um die Gefallenen Freund_innen aus der kurdischen Guerilla, wir sind voller Wut über die grausamen Misshandlungen und die Folter durch das türkische Militär!
Aber auch die Repression gegen Zivilist_innen nimmt zu: So ist immer öfter zu beobachten, dass Soldaten nach Guerillaangriffen Passantinnen, Häuser, Autos, Busse und andere zivile Einrichtungen beschießen. Dabei starben in den letzten Wochen etliche Zivilist_innen, die meisten im Alter von über 60 Jahren.  Weiterhin bombardieren türkische Flugzeuge und Hubschrauber, die der Guerilla nicht habhaft werden können, Weiden, Nutztierherden und Dörfer in Nord- wie auch in Südkurdistan. Durch die Strategie des türkischen Militärs sind im letzen Monat etliche Zivilistinnen unter ihnen auch Kinder getötet worden. Soldaten, die in Hatay unterwegs zu einer Operation waren, eröffneten am 28.06.2010 um 10:00 Uhr morgens das Feuer auf Dorfbewohner_innen, die sich auf einer Alm aufhielten um Thymian zu pflücken. Zwei Dorfbewohner 61 und 62 Jahre alt, starben und ein 75-Jähriger wurde verletzt.
In den letzten zwei Jahren wurden im Kandil über 36 Dörfer zerstört und auch in Nordkurdistan brannte das türkische Militär am 23. Juni drei Dörfer und große Nutzflächen nieder, in anderen Regionen Nordkurdistans wurden etliche Dörfer dieses Jahr geräumt und vermint. Der türkische Staat schließt damit an seine terroristischen Praxen der 90er Jahre an bei denen über 4000 Dörfer zerstört wurden. Nicht nur Dörfer und Ansiedlungen sind im Visier des türkischen Militärs, in mindestens acht verschiedenen Regionen wurden  Wälder und Felder in Brand gesetzt, so wird gezielt die Natur und die ökonomische Grundlage der Menschen in der Region vernichtet. Bei mehreren dieser Angriffe sprechen  Augenzeugen ganz klar vom Einsatz chemischer oder biologischer Kampfstoffe. So wurden mehrfach in der Region Dersim Phosphorbomben abgeworfen, Wälder im Kandil wurden mit Napalm in Brand gesetzt und viele Bewohner_innen der Region klagen über gesundheitliche Probleme nach den Bombardierungen, die ebenfalls den Verdacht des Einsatzes biologischer Waffen nahe legen. Europa schweigt und liefert munter weiter Waffen an die Türkei, bildet türkische Spezialeinheiten aus und unterdrückt auch in Europa die kurdische Freiheitsbewegung!
Wut und Trauer reichen nicht mehr!
Es muss endlich Schluss sein mit den Operationen,  den Übergriffen und Folterungen! Es muss endlich Schluss sein mit dem Krieg, den Bombardierungen und Dorfzerstörungen!
Der kurdische Widerstand ist weder durch Waffen noch Soldaten zu brechen

- Für eine politische Lösung!
- Stoppt die Militäroperationen gegen die kurdische Bevölkerung!
- Schluss mit der Unterstützung der europäischen Staaten für den schmutzigen Krieg in Kurdistan!

Lasst uns Wut und Trauer in gemeinsamen Widerstand verwandeln!
Sehid namirin!
Berxwedan jiyane!
Biji piskirtiriya enternasyonal!