Wie Beamte einer Göttinger Polizeieinheit sich als Zeugen in einem Prozess selbst belasteten. Truppe mutmaßlich an Gewalt bei G-20-Gipfel beteiligt.
Von Theresa Funke
In Göttingen wird seit längerem über die dort 2012 gegründete »Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit« (BFE) der Polizei diskutiert. Der Stadtverband von Bündnis 90/Die Grünen, die Grüne Jugend und andere Organisationen forderten Ende vergangenen Jahres die Auflösung dieser Truppe, und das nicht zum ersten Mal. Die Grüne Jugend begründet das mit dem »eskalativen und teilweise brutalen Agieren« der BFE auf Demonstrationen und bei anderen Anlässen.
Die Berichte über Einsätze, bei denen die Einheit rabiat gegen Demonstranten vorging, häufen sich mittlerweile. Brisanz erhält die Debatte in der niedersächsischen Stadt, weil Teilnehmerinnen der »Welcome to Hell«-Demo während des G-20-Gipfels Anfang Juli in Hamburg berichtet haben, dass Beamte der Göttinger BFE dort trotz ihres schlechten Rufs zum Einsatz gekommen seien.
Das besondere Rechtsverständnis einiger Mitglieder der BFE offenbarte sich kürzlich während eines Prozesses gegen Abschiebungsgegner vor dem Amtsgericht Göttingen – der im Juni plötzlich sehr schnell mit einem Freispruch der Beschuldigten endete. Vor Gericht standen zwei Frauen und ein Mann, die sich im April 2014 Polizisten entgegenstellt hatten, die eine Abschiebung eines Geflüchteten durchsetzen wollten. Ihnen wurde Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung vorgeworfen. Die damalige Polizeiaktion hatte in der Region unter anderem wegen des Einsatzes von Hunden und Pfefferspray in einem geschlossenen Treppenhaus für Schlagzeilen gesorgt.
Während des Prozesses zeigte sich, dass die sogenannten Einsatzberichte der beteiligten Beamten offenbar von Vorgesetzten nachbearbeitet wurden. Den Verteidigern der Angeklagten war aufgefallen, dass die Daten der Berichte zum Teil mehrere Tage später lagen als der Einsatz. Im Zeugenstand gaben zwei Polizisten an, ihre Vorgesetzten korrigierten die Dokumente generell auf Rechtschreibfehler, bevor sie zu den Akten kämen. Ein dritter sagte, »die Führung« prüfe die Texte »auf Kohärenz«.
Auch hinsichtlich des Gewaltbegriffes der Polizisten war der Prozess aufschlussreich. Ein von der Verteidigung befragter Beamter argumentierte, Gewalt seitens der Polizei sei keine »richtige Gewalt«. Ein anderer zeigte sich überzeugt, das Recht zu haben, Demonstrierenden zwecks Auflösung einer friedlichen Sitzblockade ins Gesicht zu schlagen.
Im Verlauf des Verfahrens wurde zudem ein von der Polizei als Beweismaterial eingereichtes Video des Einsatzes gezeigt, das nicht gekennzeichnete Unterbrechungen zu haben schien, also geschnitten wirkte. Deshalb wollten die Verteidiger der Beschuldigten die für das Video verantwortliche Kollegin als Zeugin laden – und ebenso die Vorgesetzten der Beamten. Doch am folgenden Prozesstag teilte der Richter den Anwälten unerwartet mit, ihre Mandanten ohne weitere Beweisaufnahme freisprechen zu wollen. Den Widerstand gegen die Beamten wertete er nunmehr als Notwehr und das Vorgehen der BFE zum Teil als rechtswidrig.
Der Vorgang ist durchaus ungewöhnlich. Denn, so Sven Adam, einer der drei Verteidiger, am Freitag im Gespräch mit jW: »Ein zentrales Problem unserer Arbeit ist, dass Gerichte Aussagen von Polizistinnen und Polizisten meist als unumstößliche Wahrheit werten.« Ob die Staatsanwaltschaft nun ihrerseits gegen die Polizisten ermittelt, bleibt abzuwarten. Adam hat in den vergangenen Jahren mehrfach Anzeigen gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt gestellt. »Fast alle wurden trotz teilweise sehr eindeutigen und belastenden Videomaterials von der Staatsanwaltschaft ohne Folgen für die Beamten eingestellt.«
Rechtsanwalt Adam hat unterdessen Anfang dieser Woche vor dem Verwaltungsgericht Hamburg Klage wegen unverhältnismäßiger Polizeigewalt gegen zwei G-20-Gegner eingereicht (siehe jW vom Dienstag). »Der einzige bislang bekannte schriftliche Polizeibericht« zu dem Einsatz in der Straße Rondenbarg sei »falsch und durch inzwischen bekanntes Videomaterial widerlegt«, sagte Adam. »Trotzdem befinden sich aufgrund dieses Berichts noch immer Personen in Hamburg in Untersuchungshaft«, monierte der Jurist.