In Dresden ist er eine Institution. Frank Richter war fast 25 Jahre CDU-Mitglied. Jetzt ist er ausgetreten. Von Annette Binninger
Er hat es lange vor sich hergeschoben, bis es irgendwann nicht mehr ging. Eine „persönliche Gewissensentscheidung“ sei sein Austritt aus der CDU, sagt Frank Richter leise. „Ich will Freunde nicht verlieren.“ Die hätten sich gewundert, dass er immer noch CDU-Mitglied sei, hätten damit „gedroht“, sich von ihm abzuwenden. „Da musste ich einfach mal meine persönliche Situation bereinigen.“
Vor etwa drei Wochen teilte Frank Richter darum dem Dresdner CDU-Chef seinen Austritt aus der Partei mit. Schriftlich. Das Ende einer Mitgliedschaft, die fast 25 Jahre hielt, aber von der viele gar nichts wussten. Das Ende einer Mitgliedschaft, das ein Weckruf sein könnte für seine Ex-Partei in Sachsen. Denn Frank Richter wäre nicht Frank Richter, wenn er einfach still austreten würde, heimlich und unbemerkt. „Mein Austritt ist ein Zeichen der Herstellung von Klarheit, nicht von Wut!“, sagt er ruhig. Er will Öffentlichkeit, er möchte darüber reden. Er will eine Diskussion anregen. So wie immer: Frank Richter, der Streitschlichter, der Vermittler, der Diskussionsfreudige.
Genau das ist es, was er in der sächsischen CDU vermisst: eine „von Offenheit, harter Argumentation, die Kontroverse suchender und von Fairness geprägte Streitkultur“. Dabei sollten Demokraten den Streit doch mögen, findet Richter. „Die Demokratie erschöpft sich nicht im Gang an die Wahlurnen. Sie unterscheidet sich von der Monarchie unter anderem dadurch, dass die Bürgerinnen und Bürger die Republik als ihre eigene Angelegenheit – und nicht die Angelegenheit des Königs – betrachten und deren Wohl und Wehe öffentlich und kontrovers diskutieren.“
Eine Buch-Präsentation in Meißen wird zum Auslöser für seinen Austritts-Entschluss. Als dort der Sammelband „Unter Sachsen“ im Rathaus vorgestellt wird, zu dem auch Richter ein Kapitel beigetragen hat, untersagt der Stadtrat mit Billigung der CDU eine Diskussion über das sachsenkritische Buch im Rathaus.
Ein CDU-Stadtrat bezeichnet das Buch gar als „Dreck“. Es bleibt zu lange unwidersprochen. Richter hat das getroffen, die Empörung über den Vorfall ist ihm noch Wochen danach anzumerken. „Diskussionsvermeidung führt zu Austritten und zur Stärkung der extremen Ränder“, sagt er ruhig. Und kritisiert das, was seiner Meinung nach dahinter steckt: „Wer Bekenntnisse verlangt und Debatten meidet, meint es nicht gut mit der Demokratie.“
Was hättest Du in der DDR getan, wenn es damals dieses Planungsversagen gegeben hätte, habe ihn kürzlich ein Freund gefragt, als das neue Schuljahr in Sachsen vielerorts mit Unterrichtsausfall beginnt, weil Hunderte von ausgebildeten Lehrern im Freistaat fehlen. „Ich wäre aus der dafür verantwortlichen Partei ausgetreten, in der ich in Zeiten der DDR freilich niemals war“, gibt Richter lächelnd zu. „Wenn der Staat aus dem Recht auf Bildung in unmittelbarer Argumentation die allgemeine Schulpflicht ableitet, muss er die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen“, fordert Richter. Doch der sächsischen CDU gelinge dies immer weniger. Sie vernachlässige die Allgemeinbildung, vor allem die politische, kulturelle und ethische Bildung.
Irgendwann Anfang der 90er-Jahre sei er in die CDU eingetreten. Wann genau, das weiß er heute nicht mehr. „Ich habe daraus keinen Nutzen für mich gezogen“, sagt er im Rückblick. Aber er habe gerade als Kirchenmann deutlich machen wollen, wie wichtig politisches Engagement ist.
Damals in den bewegten Wochen im Herbst 1989 ist Richter mit auf der Straße, zwischen Polizei und Demonstranten. Friedlich sollte es bleiben. Richter vermittelt, redet mit den Ordnungskräften. Später hilft er als Mitglied der Bürgerrechtler-„Gruppe der 20“, den ersten freigewählten Oberbürgermeister von Dresden, Herbert Wagner, ins Amt zu bringen. Richter schlägt Jahre später für sich persönlich einen ganz neuen Weg ein. Er gibt seine Arbeit als Priester im Bistum Dresden-Meißen aus persönlichen Gründen auf, wird Lehrer, lässt sich laisieren, geht nach Westdeutschland – und kehrt wenige Jahre später wieder zurück. Von Februar 2009 bis Januar 2017 leitet er die Landeszentrale für politische Bildung in Dresden, baut neue Formen der politischen Bildungsarbeit auf, setzt Akzente – Richter erwirbt sich über alle Parteigrenzen hinweg Anerkennung und hinterlässt seinem Nachfolger große Fußspuren.
Sein größtes Talent wird spätestens dann für alle sichtbar, als die Pegida-Bewegung im Winter 2014 in Dresden ihren Anfang nimmt. Wieder ist Richter Vermittler zwischen den Lagern. Er versucht, die „Gegner“ zum Gespräch, zum Austausch, an einen Tisch zu bringen. Besser mit- als übereinander reden. Richter wird nach und nach zum Mediator und Moderator für viele kritische Situationen im Freistaat. Ob es um Anwohnerversammlungen geht, als die Feindseligkeit in Zeiten der Flüchtlingskrise 2015 zunimmt oder der Hass zwischen ganz Links und ganz Rechts sich am 13. Februar auf Dresdens Straßen entlädt. Immer wieder ist Richter gefragt. Seit Anfang des Jahres ist der 57-jährige Theologe in der Geschäftsführung der Stiftung Frauenkirche tätig. Wieder so eine Aufgabe, bei der sein Talent als Vermittler gefragt ist.
Und wo ist das „C“ geblieben?
Richter, der frühere katholische Priester, hadert auch mit seiner Ex-Partei, der sächsischen Union, weil sie das „C“, das Christliche, in ihrem Namen zu verstecken versuche. „Ist es ihr peinlich?“, frage er sich manchmal, wenn er sehe, wie sie als „Sächsische Union“ überall plakatiere. „Versucht die Partei mit der Betonung auf ,Sächsisch‘ den unzulässigen Eindruck zu erwecken, eine einzige Partei könne und dürfe mit einem ganzen Land identifiziert werden?“
Raus aus der einen Partei, rein in die nächste? Manche hatten den weit über Dresden bekannten Theologen ohnehin eher in SPD-Nähe vermutet. Doch für Richter kommt eine neue Mitgliedschaft erst mal nicht infrage. Ausschließen für immer will er es zwar nicht, sich irgendwann wieder einer Partei anzuschließen. „Aber ich werde ja jetzt nicht plötzlich ein Linker, nur weil ich aus der CDU ausgetreten bin“, sagt er. „Meine grundlegende Nähe zur christdemokratischen Politikorientierung bleibt.“ Und Politik-Verdrossenheit wolle er auch nicht verbreiten mit seinem Austritt. „Vielmehr müssen wir endlich darüber reden, was christlich-demokratische Politik hier und heute heißt.“
Frank Richter mag ausgetreten sein aus der CDU. Doch es ist zu spüren: Ruhe lässt es ihm dennoch nicht. Es lässt ihn nicht los. Und darum will er seinen Austritt auch nicht als Ende verstanden wissen, vielmehr als Chance für einen Anfang.