Anschlag auf Justizminister Gemkow: Verteidiger zweifeln DNA-Beweise an

Erstveröffentlicht: 
07.08.2017

In einer Novembernacht 2015 werfen Unbekannte Steine und Christbaumkugeln voller Buttersäure in die Leipziger Wohnung von Sachsens Justizminister. Jetzt wird zwei Beschuldigten der Prozess gemacht. Einer von ihnen will niemals in Leipzig gewesen sein.

 

Leipzig. Erst durchschlugen Pflastersteine die besonders gesicherten Fensterscheiben, dann flogen mit Buttersäure gefüllte Christbaumkugeln in die Hochparterre-Wohnung: Mehr als anderthalb Jahre liegt der Anschlag auf Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) und seine Familie zurück. Am Montag begann am Leipziger Amtsgericht der Prozess gegen zwei Männer, die bei dem Angriff am 24. November 2015 in der August-Bebel-Straße beteiligt gewesen sein sollen: Thomas K. (30), ein etwa zwei Meter großer Mann mit einer Affinität für Kampfsport und dem Ruf eines stadtbekannten Neonazi-Hooligans. Und Roman W. (30), ein gebürtiger Kirgise mit einem Faible für Bodybuilding und einem Autohandel in Meckenheim/Nordrhein-Westfalen.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt sie, in jener Nacht gegen 2.10 Uhr die Ministerwohnung angegriffen zu haben, während Gemkow, seine Ehefrau Nadja und die beiden kleinen Kinder im Schlafzimmer schliefen. Einige Pflastersteine landeten drei Meter weit in den Räumen, andere Geschosse sorgten für sichtbare Schäden an der Fassade. Gemkow und seine Familie blieben zum Glück unverletzt. Ihre Wohnung war allerdings durch die stinkende und ätzende Buttersäure nicht mehr zu nutzen – der Schaden: fast 11.000 Euro. „Die Angeklagten nahmen Verletzungen billigend in Kauf“, so Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz. Die Anklage lautet deshalb auf versuchte gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung.

Verteidigeranwalt: Verhandlung hätte nie eröffnet werden dürfen

Noch vor der Anklageverlesung sah sich das Gericht dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt. Rechtsanwalt Mario Thomas, der Verteidiger von Thomas K., erklärte, Richterin Ute Fritsch hätte das Hauptverfahren wegen eines fehlenden hinreichenden Tatverdachts niemals eröffnen dürfen. Die Anklage stütze sich ausschließlich auf DNA-Anhaftungen, die in Tatortnähe auf einer Verpackung für Christbaumkugeln gefunden worden seien. Doch DNA-Analysen seien erwiesenermaßen fehleranfällig. Sonstige Ermittlungen und Wohnungsdurchsuchungen hätten keine Beweise für eine Tatbeteiligung erbracht. Auch ein Tatmotiv sei nicht erkennbar. Thomas K. habe erklärt, er würde nie etwas gegen Gemkow unternehmen, da der Minister mit einem Kampfsportler befreundet sei, den auch er gut kenne.

Auch eine Verwechslung schloss Anwalt Thomas aus. So war gemutmaßt worden, der Anschlag könnte einer benachbarten Wohnung gegolten haben, in der damals eine Modefirma, ein Ausstatter für linke Straßenkämpfer, residierte. Stattdessen habe ein Fährtenhund die Spur bis zu einem Haus in der Biedermannstraße verfolgt, in dem angeblich ein als linker Gewalttäter bekannter Mann lebe. Der Verteidiger wärmte damit eine These auf, die der sächsische Verfassungsschutz bereits Anfang 2016 aufgestellt hatte: Vorgehensweise und Zielobjekt des Anschlags sprächen demnach für einen linksextremistischen Hintergrund der Tat. Ein zuständiger Richter wies den Befangenheitsantrag der Verteidigung schließlich als unbegründet zurück.

Angeklagter: Ich habe mit der Tat nichts zu tun

Während Thomas K. zu den Tatvorwürfen schwieg, gab Mitangeklagter Roman W. über seinen Verteidiger Andreas Meschkat eine Erklärung ab. „Ich habe mit der mir zur Last gelegten Tat nichts zu tun“, so der stämmige Autohändler. An jenem 24. November 2015 sowie Tage zuvor sei er bei seiner Familie im 509 Kilometer entfernten Meckenheim gewesen. Um dieses Alibi zu stützen, beantragte Meschkat die Vernehmung der Ehefrau und der Schwiegereltern seines Mandanten.

Am 26. November sei er geschäftlich nach Lettland geflogen. Kontakte zu rechts- oder linksradikalen Gruppen bestritt er. Bis zum Bekanntwerden des Tatvorwurfs sei ihm nicht einmal bekannt gewesen, wer Herr Gemkow ist. Auch Thomas K. kenne er nicht. Doch wie gelangte seine DNA an einen Pflasterstein vom Tatort, wenn er niemals in Leipzig gewesen sein will? Seine Erklärung: Womöglich durch einen Mercedes, den er 2015 aus Frankreich überführte, und der dann nach Leipzig gelangte. Wobei unklar blieb, wie die DNA vom Innen- und Kofferraum des Autos auf den Stein kam.

Angesichts dieser offenen Fragen spielen für das Gericht Details der Spurensicherung eine große Rolle. Zum nächsten Prozesstag am 14. August wird dazu ein Experte erwartet. Dann soll auch Sebastian Gemkow als Zeuge aussagen.

Frank Döhring