Zu jedem der landesweit berühmten linken Zentren gehört ein Mythos. Der lässt sie größer und bedeutender erscheinen, als sie es sind - für ihre Gegner, aber auch für die linke Szene. Seit der Randale beim Hamburger G-20-Gipfel steht nicht nur die Rote Flora massiv in der Kritik. Viele Politiker fordern die Schließung der Hamburger Institution. Außenminister Sigmar Gabriel nannte die Krawallmacher am Donnerstag "Schwerverbrecher, von mir aus auch Terroristen". "Der Begriff ,linke Aktivisten' ist eine unverantwortliche Verharmlosung", sagte der SPD-Politiker dem Focus. Auch anderenorts in Deutschland gibt es solche Zentren und sympathisierende Kreise. Und Differenzierung ist nötig: Weder sind alle linken Gewalttäter Autonome, noch sind alle Autonomen in der Praxis Gewalttäter. Ein keineswegs vollständiger Überblick:
Berlin
In der deutschen Hauptstadt gab es Zeiten, da waren viele Häuser besetzt. Und Anfang der Neunziger gab es oft Rabatz in Berlin. Die Rigaer Straße 94 im Viertel Friedrichshain ist als Relikt aus dieser Zeit übrig geblieben: ein kleiner Teil eines Mietshauses in einer langen Häuserreihe. Aber so klein das Haus auch sein mag, es gilt mit dem dort angesiedelten Treff "Kadterschmiede" als wichtiger Anlaufpunkt der gewaltbereiten autonomen Szene Berlins.
Es gehört inzwischen einem ausländischen Investor, der anonym bleiben will. Zu einer Eskalation kam es im Sommer vorigen Jahres, als die Polizei die "Kadterschmiede" in einem Großeinsatz räumte und die Straße ringsum für einige Tage absperrte. Bei einer Protest-Demonstration gab es gewalttätige Übergriffe, wie Berlin sie lange nicht erlebt hatte. Weil es für die Räumung des Szene-Treffs keine rechtliche Grundlage gab, wurde der Polizeieinsatz abgebrochen. So beruhigte sich der Konflikt um die Rigaer Straße 94, die von der Nachbarschaft toleriert wird. Ruhig ist es aber nicht. Laut der Berliner Innenverwaltung gab es in diesem Jahr eine lange Reihe von Straftaten mit linkem politischen Hintergrund rund um die Rigaer Straße. Mitte Juni gab es Krawalle. Autos wurden angezündet, Polizisten attackiert.
Oppositionspolitiker fordern die Räumung. Doch die Bewohner haben gültige Mietverträge, die es nicht zulassen, einfach zu räumen, wie der Senat betont. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft bemüht sich nach Angaben des Senats um den Erwerb. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja schimpft: "Linksextremisten haben in Berlin nichts zu befürchten. Für brennende Autos, Angriffe auf Beamte und genervte Anwohner bedankt sich Rot-Rot-Grün sogar noch mit Kaufabsichten."
Jens Schneider
Leipzig
Als Thomas de Maizière dieser Tage über linke Epizentren der Republik sinnierte, da nannte er außer Hamburg und Berlin auch: Connewitz. Der Stadtteil im Süden Leipzigs gilt als gallisches Dorf im mindestens konservativen Sachsen, maßgeblich dank der Bewohner von Connewitz holte die Linkspartei bei der vergangenen Landtagswahl ein Direktmandat - das sachsenweit einzige, das nicht an die CDU ging. Das wilde Herz von Connewitz heißt Conne Island und die kleine Debatte, ob de Maizière indirekt nicht auch die Schließung speziell dieses Flachbaus gefordert habe, löste sich sofort wieder auf. Gleich am Mittwoch sagte Leipzigs SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung, es gebe seiner Erkenntnis nach "keine Verbindung" von Conne Island oder dem Werk II, einem anderen soziokulturellen Zentrum in der Nähe, zu irgendwelchen kriminellen Strukturen. Stattdessen lobte Jung die beiden Einrichtungen, sie leisteten "wertvolle Stadtteilarbeit". Das Conne Island tut dies seit mehr als 25 Jahren, inzwischen mit 250 ehrenamtlichen und etwa 15 festen Mitarbeitern, seine klar linke Positionierung bringt ihm Skepsis wie Anerkennung, manchmal sogar beides. 1999 hörte der Verfassungsschutz über Monate die Telefone des Conne Island ab (weswegen er viele Jahre später erfolgreich verklagt wurde), im selben Jahr ehrte der Staat die Einrichtung für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus. Bei allem Auf und Ab hat sich das Conne Island noch immer als wehrhaft erwiesen, das erste Mal 1991, als die Stadt das Haus verkaufen wollte. Jugendliche besetzten das Rathaus, auf einem ihrer Plakate soll gestanden haben, was sich nach dem G-20-Gipfel nun anders liest als es sich damals gelesen haben kann: "Kommt nicht ein Teil der Kultur in unsere Hand, dann setzen wir die Stadt in Brand."
Cornelius Pollmer
Göttingen
Wenn die Braunen nach Göttingen kommen, dann sind die Schwarzen schon da. Die Universitätsstadt in Niedersachsen ist seit Jahrzehnten ein Kampfplatz. Seit den Achtzigerjahren wuchs aus dem Widerstand gegen Gorleben oder Brokdorf eine autonome Szene. Treffpunkt ist seit Hausbesetzerzeiten das Jugendzentrum Innenstadt (Juzi), von dem man liest: "Revolution ist ein Prozess und alles andere bekanntlich ohnehin Quark." 1986 stürmten Polizisten rechtswidrig das Juzi. Zulauf bekamen die Autonomen durch den Tod von zwei Sympathisanten. Die 23-jährige Conny Wessmann wurde von der Polizei überfahren, als sie gegen Rechtsradikale auf die Straße ging. Der 21-jährige Alexander Selchow wurde an Silvester 1990/91 von Skinheads erstochen. Im Zuge der Auseinandersetzung entstand die Gruppierung Autonome Antifa M. Die Bundesanwaltschaft warf mehreren ihrer Mitglieder vor, einer kriminellen Vereinigung anzugehören; das Verfahren wurde eingestellt. 2016 entbrannte die gewalttätige Randale zwischen Autonomen und Rechtsextremen erneut. Autos wurden beschmiert oder angezündet, Türen mit Äxten eingeschlagen.
Die Antifa Linke Göttingen stellt einen Ratsherrn, Torsten Wucherpfennig. 2009 verabschiedete der Stadtrat auf Antrag der Linken eine Resolution, in der allen gedankt wird, "die sich aktiv gegen Neonazismus und Faschismus stellen". Zuletzt wurde bekannt, dass der Staatsschutz jahrelang illegal Daten über linke Göttinger Kreise gesammelt haben soll.
Peter Burghardt
Freiburg
"Kein Rabatz ohne KaTS!", war auf der Homepage zu lesen. Das autonome Zentrum KTS hatte am vergangenen Wochenende geschlossen, die Szene wurde aufgefordert, den Sonderzug nach Hamburg zu nehmen. "Lasst uns gemeinsam den G-20-Gipfel entern und versenken." Klingt martialisch, aber fragt man in Freiburg nach, welchen Ruf das Zentrum hat, heißt es: unauffällig. Die Polizei lässt mitteilen, die Autonomen seien zuletzt eher ruhiger geworden; wenn sie sich mit irgendwelchen Aktionen brüsteten, so heiße das noch lange nicht, dass sie auch wirklich dahintersteckten. Und die Stadt versichert, der Betrieb laufe reibungslos.
Wenn das Zentrum nun häufig im Zusammenhang mit der Roten Flora genannt wird, hat das zunächst einmal vorwiegend historische Gründe. Freiburg, Zentrum der Linken, Studentenproteste, Hausbesetzungen. Und dann machte Ende der Achtzigerjahre der hitzige Streit um den Bau des Konzerthauses Schlagzeilen. Damals ging es hoch her in Freiburg. Das Projekt firmierte unter dem Namen "Konzert- und Tagungsstätte", kurz KTS. Die Linke gründete, um das Kürzel zu kapern, einen "Kulturtreff in Selbstverwaltung". So heißt das Projekt bis heute. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Stadt hat den Streit mit den Autonomen beigelegt, sie zahlt dem Zentrum, das in einem Gebäude der Bahn untergebracht ist, sogar die Miete, eine sechsstellige Summe. Einige Hundert Autonome aus Baden-Württemberg sind zum G-20-Gipfel nach Hamburg gereist, ob Freiburger auffällig wurden, ist noch nicht bekannt. Als deutlich militanter gilt jedenfalls die Szene in Stuttgart.
München
Es ist ein etwas maroder, aber denkmalgeschützter Backsteinbau im Schlachthofviertel, in dem die autonome Szene Münchens ihren Haupt-Treffpunkt hat. Früher war hier eine öffentliche Badeanstalt, heute sitzt in dem Gebäude unter anderem das "Kafe Marat". Es ist ein Ort, in dem Punk- und Hip-Hop-Bands auftreten und in dem sich queere Aktivisten treffen. Und es ist ein Ort, in dem politisch gearbeitet wird. "Das Kafe Marat dient Linksextremisten, insbesondere Autonomen, als Treffpunkt, logistisches Zentrum und Informationsbörse", schreibt der bayerische Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht, in dem er 650 Personen zur autonomen Szene im ganzen Freistaat zählt. Hochsaison ist im Marat jedes Jahr im Februar vor und während der Münchner Sicherheitskonferenz. Dann werden Teile der Proteste im Marat geplant und koordiniert. Über eine der Autonomengruppen, die sich im Marat treffen, schreibt der Verfassungsschutz, sie sei Mitinitiatorin eines G-20-Protestaufrufs mit dem Motto: "Don't fight the players, fight the game".
Sebastian Krass
Frankfurt
In früheren Zeiten, als eine Mauer noch Deutschland teilte, war Frankfurt ein Hort von Autonomen und gewaltbereiten linken Spontis. Über die Grenzen der Stadt hinaus ist immer noch die sogenannte Putztruppe des späteren Bundesaußenministers Joschka Fischer bekannt, die Anfang der 1970er-Jahre Steine und Flaschen warf und Krawall machte. Ein paar Jahre später kämpften Autonome mit großer Brutalität gegen den Bau der Startbahn West. Einer von ihnen erschoss 1987 zwei Polizisten am Rand der Baustelle.
Heute ist Frankfurt in dieser Beziehung ein Ort der Ruhe. Zentren, in denen sich Mitglieder des linksautonomen Milieus treffen, sind rar geworden, öffentliche Aufregung oder gar Proteste lösen sie nicht aus. Zwar hatten die Sicherheitsbehörden 2015 bei den schweren Auseinandersetzungen mit dem aus ganz Europa angereisten schwarzen Block bei der Eröffnung der EZB-Zentrale Hinweise, dass die Aktionen in einem autonomen Zentrum in der Innenstadt abgesprochen worden waren. Ob es tatsächlich so war, weiß man bis heute nicht. Der Frankfurter Polizei machen Islamisten in diesen Tagen weitaus größere Sorgen als irgendwelche linke Aktivisten. Die sind zwar zur Stelle, wenn sich Populisten und Rechtsausleger wie etwa die Mitglieder von Pegida in der Stadt zeigen und machen ihren Protest durchaus robust kund. Aber Gewaltorgien von Einheimischen blieben Frankfurt in den vergangenen Jahren erspart.
Susanne Höll