Alles Verlierer, außer der Briefkastenfirma

Erstveröffentlicht: 
29.06.2017
In Berlin hat die Polizei wieder einmal unter Protest geräumt. Diesmal den Nachbarschaftsladen Friedel54. Dabei geht alles rechtens zu. Irgendwas ist trotzdem ungerecht.

 

 

Diese Geschichte beginnt, wie Geschichten aus Berliner Innenstadtbezirken zuletzt oft begonnen haben. Mit einer Sitzblockade von Demonstranten vor einem Hauseingang. Und Polizisten, die den Blockierern gegenüberstehen, weil sie dem Gerichtsvollzieher den Zugang zum Haus ermöglichen sollen. "Amtshilfe" heißt das und ist in Friedrichshain, Kreuzberg oder Neukölln mittlerweile zu einer Grundvokabel geworden: etwa für die von Flüchtlingen besetzte Gehart-Hauptmann-Schule oder für ein besetztes Haus in der Rigaer Straße.

 

Diesmal ist es die Friedel54, ein Nachbarschaftsladen. Hier wird seit 2004 gekocht, es wird Holzdruck gelehrt, es gibt Lesungen und Konzerte. Der Laden und seine Besucher stören hier niemanden.

 

Bis vergangenes Jahr war der auch komplett legal dort. 2014 kündigte der damalige Besitzer, die Wiener Immobilienfirma Citec GmbH, eine Sanierung an, die Ladenmiete hätte dem Verein Friedel54 zufolge um 200 bis 300 Prozent steigen können. Der Verein und die Bewohner sammelten Geld, 1,7 Millionen Euro mithilfe einer Stiftung, um das Haus zu kaufen. Citec verkaufte aber für zwei Millionen Euro an eine luxemburgische Briefkastenfirma namens Pinehill s.a.r.l. Die setzte nun das Räumungsvorhaben durch.

 

Dieser Ablauf ist in Berlin fast schon Folklore. Genau wie die Choreographie der Räumung. Die geht so: Nachts versammeln sich Unterstützer des zu räumenden Objekts. Darin verbarrikadieren sich die Besetzer. Vor der Tür wird eine Sitzblockade gebildet. Dann kommt die Polizei, räumt die Straße und beginnt dann, die Blockade quasi Schicht für Schicht abzutragen. Hintergrundmusik dazu ist Geschrei, Gehupe und der Lautsprecher der Polizei, diesmal besonders humorvoll: "Wehrt euch nicht, sonst wird es weh tun. Ist halt so."

 

Es folgen die Demo-Artefakte: Rammböcke, Brecheisen, Kettensägen, Bolzenschneider, Vorschlaghämmer; Leitern und Klettergurte; Hunde. Die Besetzer werden aus den Hinterhöfen getragen. Die Polizei zieht ab. Es ist ruhig.

 

Bis hierhin lief alles wie immer. Der übliche nächste Schritt: Demonstrationen gegen Verdrängung, gegen die Politik, namentlich gegen den Innensenator Frank Henkel, harter Hund der CDU. Danach Bekundungen der Opposition, von Grünen und Linken, gegen Verdrängung, Gentrifizierung, Zwangsräumungen.

 

Da endet aber die Routine. Denn diesmal geht das nicht. Frank Henkel ist schon lange weg. Der Innensenator heißt heute Andreas Geisel und ist von der SPD. Die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher stellt die Linkspartei. Und Justizsenator Dirk Behrendt ist ein Grüner. Rot-Rot-Grün regiert Berlin, Rot-Grün den Bezirk. Und irgendwie findet sich kein so richtig guter Bösewicht mehr.

 

"Es ist tragisch, dass die politischen Mittel letzten Jahr nicht genutzt wurden", sagt Katrin Schmidberger, Grünen-Abgeordnete in Kreuzberg. Wer damit gemeint ist, ist der Bösewicht in den eigenen Reihen: die SPD. 

 

Berlin hätte die Friedel54 kaufen können


Berlin hat ein Milieuschutzgesetz, das gilt auch in der Friedelstraße. In solchen Straßenzügen ist die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen genehmigungspflichtig. Außerdem kann das Land ein Vorkaufsrecht wahrnehmen, wenn Immobilien zum Verkauf stehen. Das wäre hier möglich gewesen. Aber eben nur, als die Immobilie wirklich noch zum Verkauf stand. Und damals regierte Rot-Schwarz in Neukölln.

 

Mit der neuen Regierung begannen die Rettungsversuche für den Kiezladen. Katrin Lompscher, linke Stadtbausenatorin, und Jochen Biedermann, grüner Stadtrat, schlugen dem luxemburgischen Investor einen runden Tisch vor, der lehnte ab. Ramona Pop, grüne Wirtschaftssenatorin, arbeitet gerade an einem neuen Gewerbemietgesetz, das den zugrundeliegenden Konflikt in der Friedelstraße hätte entschärfen können.

 

Und auch am Tag der Räumung sind Berliner Politiker da. Hakan Tas, Linken-Abgeordneter, versorgte angekettete Menschen im Hinterhof der Friedel54. Lucy Redler, Mitglied im Linken-Parteivorstand, ist mit einer Gruppe von Linken-Politikern zugegen. Und Georg Kössler, Mitglied im Abgeordnetenhaus (Grüne), korrigiert falsche Vorwürfe der Polizei zu dem Einsatz.

 

Währenddessen twittert Tom Schreiber, innenpolitischer Sprecher der SPD in Berlin: "Wünsche der Berliner Polizei einen erfolgreichen Einsatz bei der Räumung der Friedel54". 

 

Gewinner sind das Recht und die Briefkastenfirma


Die Räumung der Friedelstraße zeigt erstens, dass Linke und Grüne sich mit der SPD scheinbar noch immer nicht einigen können. Zweitens, dass selbst diese von Grünen und Linken dominierte Koalition, die sich das Thema ganz oben in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, bisher keine Antworten auf das drängendste Problem dieser und anderer Städte hat. Und drittens, dass das Recht ungerecht sein kann.

 

Im Grunde ist die Geschichte ja diese: Wegen ein paar tausend Euro mehr wird ein Nachbarschaftsladen an einen anonymen Meistbietenden verkauft, dann, unter Protest von Hunderten von Anwohnern, für viele Hunderttausend Euro Einsatzkosten geräumt.

 

Gewinner ist das Recht. Verlierer sind die Besetzer, die Anwohner, der Bezirk, die Stadt und seine Steuerzahler. Besetzer, weil sie ihr Zuhause verlieren, Anwohner, weil sie ein Sozialzentrum verlieren, die Bezirkspolitik, weil sie an Glaubwürdigkeit verliert und die Stadt, weil wieder einmal Bilder kursieren, die genau dem widersprechen, wofür die Stadt stehen will.