Aktivisten, Journalisten, Stofftiere – Die Polizei prügelte alles aus der Straße.
"Das ist die letzte Durchsage", brüllt der Polizist. "Verlassen Sie den Ort oder wir werden unmittelbaren Zwang anwenden! Und zwar in Form von körperlicher Gewalt!"
Das ist der Moment, auf den an diesem Donnerstagmorgen alle in der Neuköllner Friedelstraße gewartet haben: Die knapp 150 Blockierer, die sich in einem dicht gedrängten Pulk auf die Straße vor dem Laden gesetzt haben, pfeifen, johlen und rufen "Haut ab!". Die zwei Dutzend Journalisten, die mit gezückten Kameras, Mikrofonen und Schreibblöcken um sie herumstehen. Und die 500 Polizisten, die die Straße gesperrt haben und jetzt bereit stehen, um ihren Plan durchzuführen.
Es hatte auch lange genug gedauert: Seit dem Sommer 2016 steht fest, dass die Betreiber des seit 2004 in der Friedelstraße 54 beheimateten Szene-Ladens sich nicht mit den neuen Besitzern ihres Hauses einigen werden. Eigentlich hätte dieser Konflikt leicht vermieden werden können: Als sie erfuhren, dass ihr Haus verkauft werden soll, legten die Bewohner zusammen und boten dem Besitzer um die 1,7 Millionen Euro. Der entschied sich aber im letzten Moment, die Immobilie für 300.000 Euro mehr an eine undurchsichtige Briefkastenfirma aus Luxemburg zu verkaufen, die Pinehill S.a.r.l. Damit stand für die linke Szene um den "Friedel 54" fest, dass ihr Laden Opfer eines internationalen Spekulanten-Netzwerks geworden war, das den Bezirk mit Hochdruck gentrifizieren will. Dass sie dagegen kämpfen würden, war selbstverständlich.
"Runter mit der Uniform, runter mit der Miete!", rufen die Blockierer. "Keine Gewalt für hohe Rendite!" Die meisten haben schon die ganze Nacht hier verbracht – aus Angst, die Polizei könnte schon früher zuschlagen, obwohl die Räumung für 9 Uhr angesetzt war. Aber die Polizei hat sich Zeit gelassen: Kurz nach 5 Uhr morgens errichteten Beamte die ersten Straßensperren, dann ließen sie in Ruhe die in der Straße geparkten Autos abschleppen. Das alles unter höhnischen Rufen der Blockierer: "Seid ihr noch verkatert, ihr Party-Polizisten?" Der Witz: Eine der Hundertschaften, die heute im Einsatz sind, wurde gerade erst vom G20 abgezogen, weil sie dort zu wild gefeiert hatten.
Erst als der Bereich vor dem Laden komplett abgeriegelt ist, geht der Einsatz in die nächste Phase. Kommunikations-Beamte schwärmen aus und versuchen, die Blockierer zum Weggehen zu bewegen. Ein eher symbolischer Akt: "Dass das hier funktioniert, glaube ich natürlich auch nicht", sagt einer der Beamten. Und fügt dann noch hinzu: "Sie als Presse sollten sich jetzt auch entfernen, sonst könnten Sie verletzt werden. Die Kollegen machen da gleich nämlich keinen Unterschied." Klingt wie eine Drohung. Minuten später machen sie die Polizisten auch wahr.
Um knapp halb neun setzen sich Dutzende schwer gepanzerte Bereitschaftspolizisten blitzschnell in Bewegung und kreisen die sitzenden Blockierer ein. Gleichzeitig drängen und schubsen andere Polizisten die Fotografen und Reporter rabiat vom Geschehen weg. Es kommt zu Tumulten, Kameras werden weggeschlagen, Reporter stolpern übereinander und werden trotzdem weitergeschoben, hinter die Absperrung zur Weserstraße. Dort haben sich aber bereits Hunderte Demonstranten versammelt, sodass die Journalisten plötzlich eingeklemmt sind zwischen immer wütender schubsenden Polizisten von hinten und einer Schlägerei, die vor ihnen zwischen Demonstranten auf der Weserstraße und den Polizisten dort ausgebrochen ist. In dem Tumult steht ein junger Demonstrant und fasst sich an seine blutende Zahnspange. "Der hat mir einfach ins Gesicht geschlagen", sagt er fassungslos. "Ich stand einfach nur da, und der schlägt mir voll ins Gesicht!" Er war nicht der einzige, dem das an dem Tag passiert ist:
Minuten später lässt die Polizei die Presse von der anderen Seite wieder in die "Sperrzone". Hier herrscht mittlerweile eine Art geregeltes Chaos: Die Blockierer und ihre Unterstützer auf den umliegenden Balkons schreien nach Leibeskräften, während die Polizisten jeweils zu zweit oder dritt einen Blockierer nach dem anderen hochzerren und abtransportieren. Manche lassen sich führen, andere über den Boden schleifen, viele werden auch brutaler, mit auf dem Rücken verdrehten Armen und nach hinten gebogenen Köpfen weggezerrt.
"Das alles für eine beschissene Briefkastenfirma?", ruft ein Mädchen, als die Polizisten ihr kurz Luft zum Atmen geben. "Fahr doch zur Hölle, du fettes Bullenschwein!", schreit ein Anwohner vom Balkon, als vier Panzer-Polizisten sich auf einen schmächtigen Demonstranten knien und den schreienden Mann wegschleifen. "Die übliche Show", kommentiert Polizeisprecher Thomas Neuendorf später. "Solange sie im Bildfeld waren, wurde geschrieen, da vorne sind sie dann ganz normal weggegangen."
Nicht alle: Eine Demonstrantin verliert bei ihrem Transport zum Polizeiwagen das Bewusstsein und muss von Sanitätern betreut werden. Trotzdem bleiben die Blockierer auf der Friedelstraße während der gesamten Aktion friedlich: Niemand versucht, die Polizisten anzugreifen, jeder wartet stoisch, bis er an der Reihe ist, nach jedem Abtransport rufen sie sich gegenseitig "Durchhalten!" zu.
Straße und Bordstein sind in knapp 45 Minuten komplett geräumt, eine halbe Stunde später dann auch der Innenhof, in dem sich noch mehr Blockierer hingesetzt hatten. Auf der Weserstraße pfeifen und schreien immer noch Hunderte Demonstranten, immer wieder brechen Gerangel mit den Polizisten aus, aber in die Friedelstraße vordringen können sie nicht.
Die Polizei kann sich jetzt also in Ruhe daran machen, zuerst die Haustür und dann die Tür zum Laden aufzubrechen, in dem sich immer noch einige Aktivisten verbarrikadiert haben sollen. Aber während die Haustür sich einfach herausreißen lässt, leistet die Ladentür Widerstand: Mehrere Ketten- und Metallsägen werden verschleißt, bis die Beamten dazu übergehen, die Mauer daneben aufzuschlagen. Auf Twitter verbreitet die Polizei außerdem, die Aktivisten hätten den Türknauf von innen unter Strom gesetzt. Die Beamten wählen einen anderen, auch nicht ganz unkomplizierten Eingang.
Knapp zweieinhalb Stunden nach Beginn der Räumung ist alles vorüber, die Friedelstraße gehört jetzt ganz den Polizisten, und das Haus 54 der Luxemburger Firma.
Am Ende ist eigentlich alles nach Plan gelaufen: Die Polizei hat den Laden wie vorgesehen geräumt, die Aktivisten haben wie vorgesehen ihre Körper eingesetzt, um die Räumung so weit wie möglich herauszuzögern und Bilder des Widerstands zu produzieren. Manchmal können solche Tage ein bisschen wie ein Theaterstück wirken, bei dem alle Mitwirkenden ihre Rolle spielen. An diesem Donnerstag hat die Polizei die Demonstranten und die Journalisten aber überrascht, indem sie ihre Rolle vielleicht ein bisschen zu gut gespielt hat.