Im südthüringischen Themar haben Neonazis für Juli drei Großkonzerte angemeldet. Auf einem Gelände außerhalb der Stadt, direkt an der Bundesstraße. Zwei davon werden nun vermutlich tatsächlich stattfinden. Doch der kleine Ort will sich mit zahlreichen Gegenveranstaltungen wehren. Am Dienstagabend hatte Bürgermeister Hubert Böse zur Einwohnerversammlung geladen.
von Johanna Hemkentokrax
Seit Wochen sind die geplanten Neonazi-Veranstaltungen in Themar Stadtgespräch. Auch unter den Geschäftsleuten im Ort. Birgit Bischoff betreibt mit ihrem Mann einen Familienbetrieb, zu dem ein Schreibwarenladen und ein Getränkemarkt gehören. Es gebe die Diskussion im Ort, die Läden am Tag des Festivals zu schließen. Entschieden habe man sich noch nicht. "Es ist beängstigend", sagt die Einzelhändlerin. Sie hoffe, dass es schnell vorbei gehe. Die Versorgung des Neonazi-Festivals mit Getränken hätten sie abgelehnt, die Veranstaltungen in der Stadt würden sie dagegen unterstützen.
Ein paar Meter weiter betreibt Nancy Grimm mit ihrer Mutter am Marktplatz ein kleines Hotel und eine Gaststätte. "Ich finde das schlimm", sagt die junge Frau. "Wir haben Bedenken, wenn es einmal stattfindet, dann kommen sie immer wieder." Es gebe viele Unsicherheiten. In den Hotels und Pensionen der Stadt habe es seit Wochen Anfragen für das Wochenende des Neonazi-Festivals gegeben. Zum Teil auch aus dem Ausland. Sie und andere Themaer Gastwirte hätten die Anfragen alle abgelehnt. Rechtsextreme Festivalbesucher wolle sie nicht beherbergen. Stattdessen würden sie das Einwohnerfest auf dem Markplatz gastronomisch versorgen.
Einwohner diskutieren in der Turnhalle
Am Dienstagabend vor der Turnhalle des Ortes. Um 19 Uhr soll hier die Einwohnerversammlung beginnen. "Wir fühlen uns hier wie bei Asterix und Obelix", sagt Sandro Adler, ein Einwohner. Wie das kleine gallische Dorf seien die Einwohner fest entschlossen, sich zu wehren und die Neonazi-Festivals nicht unwidersprochen hinzunehmen. "In diesem Moment halten alle zusammen." Sogar ehemalige Themaer, die mittlerweile im Ausland leben, hätten angekündigt, am 15. Juli, dem Tag des ersten Rechtsrock-Konzerts nach Themar zu kommen, um den Ort zu unterstützen.
Vor der Turnhalle haben sich am frühen Abend eine Handvoll Neonazis mit einem Transparent versammelt. Sie haben eine sogenannte Mahnwache angemeldet. Auch die Polizei ist vor Ort. Eine Drohkulisse wollten die Neonazis hier aufbauen, sagt Reinhard Hotop vom "Bündnis gegen Rechts Schleusingen", der den Gegenprotest mitorganisiert. Doch die meisten der Themaer Einwohner ignorieren die Rechtsextremen, die nach etwa einer Stunde wieder verschwinden. Sechs Gegenveranstaltungen seien am 15. Juli an verschiedenen Stellen der Stadt geplant, erzählt Hotop. "In der Stadt ziehen ganz viele Menschen mit. Themar ist super-engagiert." Zu den Vorbereitungstreffen seien viele Menschen gekommen, mit tollen Ideen. "Ich bin ganz beeindruckt wie gut das hier funktioniert."
Die Turnhalle füllt sich mit Menschen. Zum Schluss ist die obere Tribüne voll besetzt, auf den Holzbänken unten in der Halle ist kein Platz mehr frei. Bürgermeister Hubert Böse informiert die Einwohner über die aktuelle Situation, beantwortet Fragen zur Rechtslage, Sicherheit, Parkplatzsituation und ruft die Stadt auf, zusammenzuhalten und sich zu wehren. Das, was bei den Neonazi-Konzerten transportiert werde, sei nichts anderes als menschenverachtend, sagt Böse ins Mikrofon. "Man muss diesen Leuten unmissverständlich zu verstehen geben, dass sie hier nichts zu suchen haben." Immer wieder wird Hubert Böse vom Applaus seiner Bürger unterbrochen. "Wir werden in Themar etwas auf die Beine stellen, wovon man landauf, landab reden wird", ruft er seinen Einwohnern zu.
Auch Landrat Thomas Müller (CDU) ist gekommen. Das Landratsamt hatte zuvor dem Neonazi-Konzert am 15. Juli den Versammlungscharakter aberkannt. Die Rechtsextremen hatten es ursprünglich als politische Versammlung angemeldet, geschützt durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Nun hätten sie gegen die Aberkennung geklagt, sagt Müller. Am Ende werde ein Gericht entscheiden. Der Landrat erklärt noch einmal die Rechtslage und muss sich kritischen Fragen stellen. Einige Einwohner haben das Gefühl, dass das Landratsamt nicht alle juristischen Mittel ausgeschöpft hat, um das Neonazi-Konzert zu verhindern. Die Stimmung in der Turnhalle ist emotional. Immer wieder melden sich Menschen mit neuen Vorschlägen, welche Gegenaktionen und Rechtsmittel aus ihrer Sicht noch möglich wären.
Briefe aus Übersee
Am Ende der Veranstaltung liest Bürgermeister Hubert Böse einen der Briefe aus Kanada und den USA vor, die ihn in den letzten Wochen von Nachfahren von jüdischer Themaer und der Enkelin des Themaer Bürgermeisters in der Zeit zwischen 1931 und 1945 erreicht haben. Sie sprechen ihm und der Stadt Mut zu. "Ihr tut euren Teil aufzustehen, gegen Bösartigkeit und Hass durch öffentliches Verdammen und gegen diejenigen, die sie ausüben", heißt es darin. Es ist still in der Halle. Am Ende brandet Applaus auf. Von den 2.900 Einwohnern von Themar sind an diesem Abend rund 400 in die Turnhalle gekommen. "Sowas hab ich in meiner ganzen Amtszeit nicht erlebt", sagt Hubert Böse, als die Veranstaltung nach rund zwei Stunden zu Ende ist. "Ich bin erleichtert", sagt er, "und einfach glücklich".