Knast wie vor 200 Jahren

Hinter diesen Mauern passieren unschöne Dinge. Die Gefangenen-Gewerkschaft GG/BO fordert unter anderem die Schließung der Teilanstalt II in der JVA Tegel.
Erstveröffentlicht: 
06.06.2017

Tegel – Es wurde laut in der Dessinstraße, schräg gegenüber der Justizvollzugsanstalt Tegel. Die Gefangenen- Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) lud am 20. Mai zu einer Kundgebung, am Tag zuvor hatte es eine Pressekonferenz gegeben. Von Bernd Karkossa

 

Flyer wurden verteilt, über Lautsprecher auf dem Dach eines roten Transporters wurden die Redebeiträge verstärkt. Rund 30 Leute schlossen sich der kleinen Demonstration an. Im Visier der GG/BO: der Knast in Tegel, der immer wieder für Negativschlagzeilen sorgt. Die seit drei Jahren bestehende Organisation prangert unhaltbare Zustände im Tegeler Gefängnis an und fordert die Schließung der Teilanstalt II noch in diesem Jahr.

 

In großem Stil würden in einer der größten Haftanstalten Deutschlands seit Jahren Materialien und Produkte, die arbeitende Gefangene unter den Bedingungen des Lohndumpings erzeugt haben, von JVA-Bediensteten für den Eigenbedarf oder den Weiterverkauf entwendet. „Die menschliche Arbeitskraft Inhaftierter wird somit nicht nur zum Billig-, sondern zum Nulltarif abgegriffen, hier herrscht eine Klau- und Schmuggelpraxis“, sagte Falk Pyrczek von der GG/BO.

 

Dazu bekämen 18 Gefangene aus der Teilanstalt V, die eine Petition gegen die vollzugsbehördliche Tätigkeit des Sozialarbeiters R. unterzeichneten, die Repression der JVA Tegel deutlich zu spüren. In der Petition schrieben die Gefangenen, dass R. sie „abwertend, überheblich, verständnislos“ behandelt und die Interaktionen mit ihm geprägt sind von „inhaltsleeren Vorhaltungen, gefühlskalter Überheblichkeit und unsubstantierten Beleidigungen, die mit notorischer Unwahrheit auch verschriftet werden.“ Einer der Hauptinitiatoren sei von der Vollzugsbehörde der „Meuterei“ bezichtigt und in ein anderes Hafthaus zwangsverlegt worden. Ihm drohe eine Abschiebung in eine Haftanstalt eines anderen Bundeslandes. „Die anstaltsinterne Repression gegen engagierte Gefangene in der JVA Tegel, welche massive Missstände in der Vollzugsplanung aufzeigen, nimmt also ganz neue Dimensionen an“, sagt GG/BO-Sprecher Oliver Rast. „Dazu blockiert die JVA unsere Briefe an die Gefangenen. Das ist Knast wie vor 200 Jahren“, sagt Pyrczek.

 

Ein Freigänger, der bei der Demo dabei war, aber aus verständlichen Gründen nicht namentlich genannt werden wollte, bestätigte die Vorwürfe. „Ständig werden Inhaftierte von diesem Gruppenleiter schikaniert, das habe ich am eigenen Leibe erlebt.“ Auf der Homepage der GG/ BO ist von „Suiziden und Suizidversuchen, qualvoller Enge, hohem Aggressionspotential unter Gefangenen, extremem Geräuschpegel, fehlenden therapeutischen Angeboten, mangelhafter medizinischer Grundversorgung, Wegfall von Freizeitangeboten“ die Rede. Dazu kommen eine „marode Bausubstanz, defekte Küchen und Duschen, kosmetische Umbauten, die sich ewig hinziehen, Verringerung der Besuchszeiten, Ausfall von Ausgängen und Ausführungen.“ Über Ostern waren die Häftlinge von 16 bis 9 Uhr eingesperrt, Sportmöglichkeiten fielen über die Feiertage komplett weg.

 

Tegel sei dabei kein Einzelfall. Jürgen Rößner, der lange wegen eines Banküberfalls in der JVA Butzbach eingesessen hatte, ist wegen der Kundgebung aus Hessen angereist und brachte Rast einen typischen hessischen „Bembel“ mit. Vor einem Jahr kam Rößner frei, er muss aber alle zwei Wochen bei seinem Bewährungshelfer vorstellig werden. „Allein die Schlosserei in der JVA Butzbach hat im ersten Halbjahr 2015 einen Umsatz von 1,3 Millionen Euro gemacht, aber die Gefangenen, die hauptsächlich dafür gesorgt haben, sehen davon nicht viel“, sagt Rößner, der demnächst sukzessive drei Bücher über Missstände im deutschen Justizsystem und in deutschen Haftanstalten veröffentlichen will. Mehrere Zeitungen und Spiegel Online berichteten, dass Firmen aus Kosteneinspargründen in Haftanstalten produzieren ließen und Häftlinge mit einem Stundenlohn von rund drei Euro abgespeist würden – übrigens auch in unserem Nachbarland Österreich. Und eine Kranken- und Rentenversicherung gibt es nicht. Der Weg in die Altersarmut ist also vorgezeichnet, besonders bei langer Haftzeit.

 

Hauptziel der Gefangenen-Gewerkschaft ist es, volle Gewerkschaftsfreiheit für die Menschen in Haft zu erreichen – und den sogenannten „Angleichungsgrundsatz“ durchzusetzen. Der besagt, dass das Leben im Gefängnis dem Leben in Freiheit so gut wie möglich angepasst werden soll. Denn die eigentliche Strafe besteht im Freiheitsentzug. Dazu gehört unter anderem ein geregelter Tagesablauf, der Arbeits- und Ruhezeiten enthält.

 

Eine Schließung der TA II der JVA Tegel läge ganz auf der Linie des von der grünen Abgeordnetenhausfraktion initiierten „Aufrufs für ein liberales und progressives Strafvollzugsgesetz in Berlin“, den die GG/BO, die Humanistische Union und der Arbeitskreis Strafvollzug unterzeichnet haben. „Vor diesem Hintergrund appellieren wir als GG/BO an den grünen Berliner Justizsenator Dirk Behrendt, eine Schließung des Hafthauses in die Wege zu leiten. Es besteht akuter Handlungsbedarf. Es geht um 300 inhaftierte Menschen, die regelrecht vegetieren“, sagt Oliver Rast.