Enormes Risiko: Neun von zehn Gefängnissen in Sachsen sind überbelegt

Erstveröffentlicht: 
06.06.2017

Wegen Überbelegung droht den Gefängnissen in Sachsen der Kollaps. Das Risiko ist enorm - für Mitarbeiter und die Häftlinge selbst. Wärter würden "auf Verschleiß gefahren", wirft die Opposition der Landesregierung vor. Die schiebt den schwarzen Peter den Häftlingen zu.

 

Dresden/Leipzig. Wegen Überbelegung droht den Gefängnissen in Sachsen der Kollaps. Die Hälfte der zehn Justizvollzugsanstalten sind mit mehr als 100 Prozent ihrer Kapazität besetzt, Chemnitz als negativer Spitzenreiter liegt bei einer Auslastung von unglaublichen 117 Prozent. Die Quote im Freistaat beträgt im Schnitt satte 97 Prozent, in Fachkreisen gelten Werte über 90 Prozent als Symptom akuter Überlastung – mit enormem Risikopotenzial für Justizvollzugsbedienstete sowie die Häftlinge selbst. Immer wieder kam es in der jüngeren Vergangenheit zu Vorfällen in sächsischen Gefängnissen, die auch Besucher in Mitleidenschaft zogen. Das geht aus der Antwort von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf eine Kleine Anfrage von André Schollbach (Linke) hervor.

 

Von den zehn Haftanstalten im Freistaat liegt derzeit nur eine einzige unter der magischen Belegungsgrenze von 90 Prozent. Dabei handelt es sich um Regis-Breitingen, wo von 297 Plätzen nur 202 mit Gefangenen besetzt sind. Dagegen gilt die Lage in den anderen Haftanstalten als nicht akzeptabel. Besonders trifft dies – neben Chemnitz als Negativ-Spitzenreiter – auf Zwickau (109,6 Prozent), Görlitz (101,9), Dresden (101,7) sowie Zeithain (101,4) zu. Die Quoten in den anderen Anstalten liegen zwischen 90 und 100 Prozent, von Waldheim (90 Prozent) über Leipzig (94) und Torgau (95,5) bis hin zu Bautzen (97,6).

 

Insgesamt sind im Freistaat Plätze für 3510 Gefangene vorhanden, 3404 davon sind belegt. Eine Auslastung über die Kapazitätsgrenze hinaus ist nur möglich, indem als Einzelzellen vorgesehene Räume mit Doppelstockbetten aufgerüstet werden. Die damit entstehende räumliche Enge gilt allgemein als problematisch. Als aggressiv eingestufte Häftlinge können schlechter separiert, verfeindete Gruppen nicht mehr wirksam voneinander getrennt werden. Verschärft wird das Ganze durch die gestiegene Anzahl ausländischer Gefangener, wodurch zum Teil höchst unterschiedliche Sitten und Religionen aufeinandertreffen.

 

Nach Auskunft aus dem Justizministerium ist im Zuge der Asylkrise seit Anfang 2016 die Zahl der Ausländer in sächsischen Knästen von ehemals rund 550 auf jetzt 950 angewachsen – ein Plus von rund 400. Für Schollbach ist diese Gesamtlage nicht hinnehmbar. „Übervolle Gefängnisse mit zu wenig und ständig überlastetem Personal stellen einen untragbaren Zustand dar“, meint der Linke. Das führe nicht nur dazu, dass Vollzugsbedienstete „auf Verschleiß gefahren“ würden. Es stelle sich auch die Frage, ob Resozialisierung so überhaupt machbar sei. Fazit laut Schollbach: „Die gegenwärtige Lage ist das Resultat jahrelanger verfehlter Politik der CDU-geführten Staatsregierung.“

 

Gemkow ist die Problemlage durchaus bewusst. „Die Belegungssituation in unseren Anstalten ist weiterhin angespannt“, sagt der Justizminister. Ein Grund dafür sei allerdings auch die gestiegene Zahl von Ausländern. „Haftstrafen ausländischer Gefangener müssen daher verstärkt in deren Heimatländern vollstreckt werden“, fordert Gemkow. Besonderer Augenmerk liege dabei auf polnischen und tschechischen Gefangenen, doch auch die gewachsene Zahl Gefangener aus dem nordafrikanischen Raum stelle „die Bediensteten vor besondere Herausforderungen“.

 

Zeitnahe Entspannung ist nicht in Sicht. Zwar soll in Zwickau für mehr als 170 Millionen Euro ein Gefängnisneubau mit 820 Haftplätzen entstehen. Diese Justizvollzugsanstalt dürfte aber nicht vor 2020 fertiggestellt werden. Darüber hinaus soll sie von Sachsen und Thüringen gemeinsam betrieben werden. Damit stehen selbst nach Fertigstellung für Sachsen nur 450 Haftplätze zur Verfügung, für das kleinere Thüringen sind es 370.