Leipziger Polizei prüft Reichsbürger-Verdacht

In Holzhausen ist dieses Schild „Deutsche Reichsgrenze“ an einem Hoftor zu sehen.
Erstveröffentlicht: 
06.06.2017

Nach Hinweisen von Anwohnern prüft die Polizei einen Reichsbürger-Verdacht in Holzhausen und Liebertwolkwitz. Unterdessen wird im Innenministerium ein Lagebild über die dubiose Szene erarbeitet.

 

Leipzig. „Deutsche Reichsgrenze“ steht auf dem Schild an einer Hofeinfahrt in Holzhausen. Ebenso wie an einem Grundstückszaun in Liebertwolkwitz, wo zudem eine Kaiserstandarte mit Eisernem Kreuz zu sehen ist. Anwohner wie Harald R. sind wegen der mutmaßlichen Reichsbürger in Sorge und wundern sich, warum die Behörden nicht einschreiten. „Ich habe deshalb bei der Polizei angerufen, aber da hieß es, man könne nichts machen.“ Tatsächlich zeigen diese Beispiele, dass den Behörden in solchen Fällen die Hände gebunden sind – und dass nicht jeder, der ein solches Schild besitzt, gleich ein Reichsbürger sein muss.

„Nur weil jemand an seinem Gartenzaun, also auf privatem Grund und Boden, ein Schild mit der Aufschrift ,Deutsche Reichsgrenze’ anbringt oder eine Flagge hisst, haben wir noch keinen Anlass, dagegen einzuschreiten“, erklärt der Leiter des Rechtsamtes, Dirk Müller, auf LVZ-Anfrage. „Etwas anderes würde gelten, wenn diese Person – auch auf privatem Grund – verfassungsfeindliche Symbole wie ein Hakenkreuz verwenden oder die Reichskriegsflagge hissen würde. Bis dahin aber ist der Meinungsfreiheit ein sehr weiter Spielraum eingeräumt.“ Erst bei einem Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen droht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.

Auch die Polizei ist in den konkreten Fällen aktiv geworden, sagt Kathleen Doetsch vom Operativen Abwehrzentrum (OAZ), das auf extremistische Straftaten spezialisiert ist. Bürger sollten ihre Hinweise zunächst an das Ordnungsamt der Stadt als originär zuständige Polizeibehörde richten, so die OAZ-Sprecherin. „Aber natürlich reagieren auch wir bei entsprechenden Hinweisen und prüfen die Sachlage auf strafbares Handeln.“ Gerade bei Reichsbürgern bestehe häufig die Besorgnis, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen, so Doetsch. „Daher können wir die Anfragen von Bürgern sehr gut verstehen.“ So war im Oktober 2016 ein Polizist in Franken von einem Reichsbürger erschossen worden, als diesem seine Waffen abgenommen werden sollten. In Sachsen-Anhalt hatte sich ein Reichsbürger im August 2016 bei einer Zwangsräumung ebenfalls einen Schusswechsel mit der Polizei geliefert, ein Beamter war verletzt worden. In den aktuellen Fällen in Holzhausen und Liebertwolkwitz liegen der Polizei laut Doetsch zumindest bislang „keine Informationen vor, dass hier bekennende Reichsbürger wohnhaft sind“.

Allerdings sind die Sicherheitsbehörden aktuell erst dabei, sich einen konkreten Überblick über die Bewegung in Sachsen zu verschaffen. In seinem aktuellen Bericht beziffert der sächsische Verfassungsschutz die Zahl der Reichsbürger und sogenannten Selbstverwalter auf 500, von denen 25 als Rechtsextremisten gelten. Die Szene sei sehr heterogen, so die OAZ-Sprecherin. Aus unterschiedlichen Motiven würden Gruppierungen und Einzelpersonen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren. Dabei berufen sie sich auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht, so die Expertin. „Die gemeinsame Basis der Szene ist die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung“, so der Verfassungsschutz. „Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein, zum Beispiel mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber Gerichten und Behörden. So wird versucht, diese in ihrer Arbeit zu behindern oder es werden deren Mitarbeiter bedroht. In weiten Teilen stellen die Reichsbürger ein polizei- und ordnungsrechtliches Problem dar, da sie Behörden und Gerichte mit umfangreichen Anträgen und Beschwerden belasten.“

Das Leipziger Rechtsamt bekommt es mit Reichsbürgern dann zu tun, „wenn diese Personen einen Verwaltungsvorgang auslösen, der im Regelungsbereich der Stadt liegt und auf den uns Fachämter aufmerksam machen“, so Behördenchef Müller. „Zum Beispiel, wenn ein Gebührenbescheid nicht bezahlt wird, weil angeblich Gesetze für diese Person nicht gelten, wenn ein Auto mit Leipziger Zulassung ein Fantasiekennzeichen trägt oder wenn jemand bei der Meldebehörde seinen Pass abgibt.“

Erkenntnisse darüber, wie groß die Szene in Leipzig ist, soll ein neues Lagebild zum Thema Reichsbürger liefern. „Gegenwärtig läuft dazu die Erfassung“, berichtet Patricia Vernhold, Sprecherin des sächsischen Innenministeriums. Ende Juni/Anfang Juli werde das Dokument fertig sein und erstmals auch Zahlen über die Reichsbürgerbewegung in jeder einzelnen Stadt enthalten.

Von Frank Döring