Kriminelles Netzwerk von Neonazis bei Energie Cottbus

Erstveröffentlicht: 
10.05.2017

Neonazi-Hooligans von Energie Cottbus gehen mit Gewalt gegen Fans im eigenen Block vor. Niemand traut sich, darüber offen zu reden. Recherchen von PNN und rbb zeigen nun: In der Stadt herrscht ein Klima der Angst. Es geht um die Macht im Stadion und darüber hinaus. 

Von René Garzke, Potsdamer Neueste Nachrichten

 

Bei kaum einem Spiel hängt noch ein Banner, nur selten wird noch ein Fangesang angestimmt: Große Teile der Fanszene von Energie Cottbus leben in Angst. Beobachter sprechen von einem Schweigekartell. Darüber reden will niemand. Zu groß ist die Furcht vor eindeutigen Bedrohungen, vor Angriffen, vor Gewalt.

 

Gemeinsame Recherchen der Potsdamer Neuesten Nachrichten und dem rbb zeigen nun das gesamte Ausmaß der Lage in Cottbus, das Klima der Angst: Unter den Augen der Sicherheitsbehörden haben die beiden Gruppen Inferno Cottbus und Unbequeme Jugend Cottbus ein kriminelles Netzwerk aufgebaut. Seit Jahren haben der Verfassungsschutz und die Polizei die beiden Gruppen auf dem Radar, von einem Geflecht aus Neonazis, Kampfsportlern, Rockern und Hooligans ist die Rede. Ungefähr 50 bis 60 Personen sollen es sein. Im Stadion dürfen sie ihre Gruppensymbole schon länger nicht mehr offen zeigen. Inferno Cottbus hatte antisemitische Symbole präsentiert, der Verein verhängte vor vier Jahren ein Auftrittsverbot. Dennoch besuchen ihre Mitglieder regelmäßig Spiele von Energie Cottbus, immer wieder kommt es dabei zu Ausschreitungen und rechtsextremistischen Vorfällen.

 

Bananenwürfe und Affenlaute

In Sicherheitskreisen heißt es nun, Inferno versuche zu seiner alten Stärke zurückzufinden, um die Jahrtausendwende prägte die Truppe das Image von Energie Cottbus. Der Fußballspieler Gerald Asamoah wurde in Cottbus mit Bananen beworfen und Affenlauten empfangen. 2005 entrollten Cottbuser Chaoten bei einem Spiel in Dresden ein Banner mit „Juden“, um Dresdner Fans zu beleidigen. Oder sie zeigten die Buchstaben „Sieg Heil“ im Stadion.

 

Auch zu dem 2012 verbotenen Neonazi-Netzwerk „Widerstand Südbrandenburg“ gibt es Verbindungen. Etwa 25 Mitglieder der Gruppe rechnen die Sicherheitsbehörden der rechtsextremistischen Szene zu. Im Januar marschierten 120 Neonazis – darunter nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden Inferno-Anhänger – unbehelligt mit Fackeln durch Cottbus. Alles war streng konspirativ organisiert. Die Polizei hatte keine Chance, war nicht gewarnt worden und kam zu spät. Nur drei Neonazis wurden geschnappt.

 

Hitlergrüße beim Spiel in Babelsberg


Besonders offen zeigen einige Energie-Fans ihre rechte Gesinnung, wenn es gegen den SV Babelsberg 03 und seine linke Anhängerschaft geht. Im November des vorigen Jahres sprühten Energie-Anhänger antisemitische Parolen – darunter „Babelsberg vergasen“ – in Cottbus. Beim Rückspiel Ende April versuchten die rechtsextremen Randale-Fans in Potsdam einen Platzsturm, warfen Kanonenschläge in den Heimblock. Außerdem zeigten mehrere von ihnen den Hitlergruß, riefen: „Arbeit macht frei – Babelsberg 03“.

 

Das Fanal innerhalb der Cottbuser Fanszene reicht nun schon einige Wochen zurück. Eskaliert ist die Situation Ende März, bei einem Auswärtsspiel von Energie in Bautzen. Vermummte von Inferno Cottbus und der Unbequemen Jugend zünden Pyrotechnik und Kanonenschläge. Einen Ordner, der eine Brandfackel löschen will, bewerfen sie mit einem weiteren Brandsatz. Das Spiel muss für eine Viertelstunde unterbrochen werden. Bemerkenswert ist die Reaktion des Großteils der mehr als 900 Energie-Anhänger: Sie gehen gegen die Störer in den eigenen Reihen vor. Eine Blockfahne über den Köpfen der Randalierer – hochgezogen, damit sich die rechten Gewalttäter ohne Beobachtung der Polizei umziehen und die Vermummung ablegen können – ziehen die übrigen Fans herunter. Mit Sprechchören distanzieren sie sich von den rechtsextremen Randale-Fans. Auch Fäuste fliegen, wie die „Lausitzer Rundschau“ später berichtet.

 

Verein spricht von „kriminellen Machenschaften“


Diese Gegenreaktion, sagen Szenebeobachter, wertet Inferno Cottbus als Verrat, dazu noch unter den eigenen Fans. Der Verein reagiert, spricht von „kriminellen Machenschaften“ und erweitert das Auftrittsverbot von Inferno auf die Nachwuchstruppe Unbequeme Jugend. Beide würden dem Klub wirtschaftlich absichtlich schaden wollen, heißt es später in einer Erklärung der Vereinsführung. Sie erhöht für die letzten Heimspiele der Saison den Eintritt um einen Euro – um die Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen und wegen der zu erwartenden Strafzahlungen an den NOFV, den Nordostdeutschen Fußballverband. Eine Maßnahme, die alle Fans und nicht nur die Randalierer trifft.

 

Inferno lässt sich davon nicht beeindrucken – sondern macht einfach weiter. Zehn Tage nach der Partie in Bautzen spielt Energie erneut, auswärts bei Viktoria Berlin. Noch vor dem Stadion passt Inferno Mitglieder anderer Fan-Gruppen ab, droht mit Übergriffen im Alltag. „Cottbus ist überschaubar, eine Bedrohungslage in dieser Stadt deutlich zu spüren“, sagt einer, der das Schweigen brechen möchte. Seit mehr als 15 Jahren ist er in der Fanszene von Energie Cottbus aktiv. Die Umstände der Kontaktaufnahme zeigen, wie ernst die Lage ist: Der Anruf erfolgt mit unterdrückter Nummer. Zu welcher Gruppe er gehört, möchte er nicht sagen – auch sein Name soll nicht gedruckt werden. Die Drohungen zeigen offenbar sofort Wirkung: Die gemäßigteren Ultra-Gruppen hängen beim Auswärtsspiel in Berlin keine Banner auf, nach der ersten Viertelstunde ertönen kaum noch Fangesänge. Dafür hängen Inferno Cottbus und die Unbequeme Jugend zwei T-Shirts mit ihren Gruppenemblemen an den Zaun.

 

Das Stadion als Bühne und Rekrutierungsfeld


Seitdem, seit mehr als einem Monat, geht das schon so: Es kommt zu weiteren Bedrohungen, Inferno und Unbequeme Jugend versuchen, die anderen Fangruppen einzuhegen, mit Gewalt zu dominieren. Ein Szenebeobachter sagt: „Hier geht es eigentlich nicht mehr um Fußball, sondern um eine sich etablierende rechte Mafiastruktur, die sich das Stadion als Bühne und Rekrutierungsfeld gekapert hat.“ Ein Sprecher des Brandenburger Innenministeriums nennt es „das aktuell schwerwiegendste Problem im Brandenburger Fußball“. Inferno habe in den letzten Wochen mehrere Mitglieder der Fanszene zum Gespräch gebeten, „aber statt mit ihnen zu sprechen, wurden diese Leute dann zusammengeschlagen“, sagt der anonyme Beobachter. „Den Leuten wurde angedroht, sie zu Hause zu besuchen.“

 

Dass Inferno und seine Nachwuchstruppe den Fanblock beherrschen wollen, beobachtet auch die Polizei. „Wir haben die beiden Gruppen im Fokus“, sagt eine Sprecherin. Für eine effektive Strafverfolgung aber, klagt sie, fehlten der Polizei bislang die Zeugen – die sich aus Angst vor weiteren, härteren Attacken nicht melden. Des Problems sei man sich bewusst, sagt die Polizeisprecherin. Aber ohne Hinweise kommen auch die Ermittler nicht weiter. Diese Botschaft ist ihr wichtig. Deshalb versucht die Sprecherin, Zeugen und Opfern die Angst zu nehmen: „Nach einer Anzeige führen wir Gefährderansprachen mit den Verdächtigen durch, sagen ihnen: Wenn ihr die Zeugen einschüchtert, gibt es einen Haftbefehl.“ Dass das gut gemeinte Vorgehen der Polizei wirkt, bezweifelt indes das anonyme Mitglied der Fanszene: „Dann übernehmen halt andere als der Angezeigte die Angriffe.“

 

Kontrolle von Drogenhandel und Prostitution


Sicherheitskreise vermuten eine konkrete Person hinter dem aggressiven Auftreten von Inferno, nachweisen können sie bisher nichts. Es geht um Martin W. (Name geändert). 2014 wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er einen Rocker der Hells Angels gemeinsam mit anderen in der Cottbuser Innenstadt mit Schlägen, Tritten und einem Dutzend Messerstichen lebensgefährlich verletzt hatte. W. ist Kickboxer, war Spitzensportler, deutscher Meister und damals für den Verfassungsschutz ein gefährlicher Neonazi. Und er war eng verbandelt in der Türsteher- und Rockerszene, in der es um die Kontrolle von Drogenhandel und Prostitution geht. Niemand legt sich freiwillig mit so einem an.

 

W. hatte alles, sagen Ermittler: Einfluss, Frauen, Geld. Dann der Absturz in den Knast. Nun ist er wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden. Und seither, so sagen es Szenekenner in Cottbus, ist alles anders in der Stadt. Die Sicherheitsbehörden vermuten, es könnte um Rache gehen – und ums Geschäft. Inferno als schlagkräftige Truppe, das ist eine Kampfansage über das Stadion hinaus. Und es ist eine Kampfansage an den Verein Energie Cottbus.

 

Dem Klub ist die Lage offenbar bekannt. In einem internen Fanforum spricht der offizielle Fanbetreuer Jens Petereins Klartext: „Eine Gruppe verbietet allen anderen, ihr Fandasein auszuleben und droht mit Konsequenzen. Die Drohungen sind derartig kriminell und ernst zu nehmen, dass es kein Wunder ist, dass es keine Fahnen und keinen organisierten Support gibt.“ Die Fans aber fühlen sich in dem Konflikt mit Inferno Cottbus und seiner Nachwuchstruppe von dem Lausitzer Fußballklub allein gelassen.

 

Duckt sich Energie Cottbus vor dem Problem weg?


„Wann immer jemand im Internet auf die Vorfälle aufmerksam macht, macht er sich persönlich zur Zielscheibe“, warnt der Fan, der aus Angst anonym bleiben möchte. „Der Verein ist die einzige Stelle, die das Problem objektiv an die Fans herantragen kann.“ Der Großteil der normalen Fans wisse immer noch nicht, „was da vor sich geht“. Bisher habe sich Energie Cottbus vor dem Problem mit Inferno weggeduckt, lautet die Anschuldigung.

 

Gleichwohl geht Energie Cottbus das Problem jetzt offensiver an. In Pressemitteilungen versucht der Verein, sich von Inferno und der Unbequemen Jugend zu distanzieren. „Das sind keine Anhänger unseres Vereins und wir haben keinen von ihnen darum gebeten, unsere Spiele zu besuchen. Im Gegenteil, wir wollen sie nicht“, machte das Vereinspräsidium nach den Vorfällen in Babelsberg vor wenigen Wochen klar. Gleichzeitig drohte der Lausitzer Fußballklub den Randale-Fans mit lebenslangen Hausverboten für alle Liegenschaften des Vereins. Dass Energie wie angekündigt durchgreift, das bezweifelt Sven Graupner, Mitarbeiter des Cottbuser Fanprojekts. Eine Anfrage von PNN und rbb an den Verein, wie viele Hausverbote tatsächlich inzwischen ausgesprochen wurden, ließ Energie Cottbus bis zum gestrigen Montag unbeantwortet.

 

Graupner fordert, der Verein müsse einen Weg finden, die nicht gewalttätigen Anhänger in der Fanszene zu unterstützen. Strafverfolgung allein genüge nicht. „Wenn ich Zivilcourage fordere, dann muss ich Zivilcourage leben“, sagt er. (mit Alexander Fröhlich)