Am 27. April 2017 fand ein Prozess gegen drei Mitglieder der inzwischen verbotenen Kameradschaft „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT) am Amtsgericht Pinneberg (Schleswig-Holstein) statt. Verhandelt wurde ein rassistisch motivierter Übergriff, der vier Jahren zuvor verübt wurde.
Am 16. Februar 2013 zogen gegen 24 Uhr die Mitglieder der WWT Stefan Lüskow, Lennart Große-Siebenbürgen, Mario Zitzlaff, Martin Sebastian Reisdorf, Nando Grosch, Tim Müller und Carsten Papenfuß mit Begleitung zu einer am Pinneberger Bahnhof nahe gelegene Kneipe. Auf dem Weg beschimpfte der heutige Hauptangeklagte Martin Sebastian Reisdorf einen Mann, der mit seiner Familie an der Gruppe vorbei ging mit den Worten: „Du scheiß N****“. Als der Mann umdrehte, um Reisdorf zur Rede zu stellen, schlug dieser ihn mit der Faust ins Gesicht. Es kam zu einem Handgemenge, an dem sich ebenso der zweite Angeklagte Stefan Lüskow und der dritte Angeklagte Tim Müller beteiligten, die auf den gestürzten Mann eintraten und einschlugen. Während des Angriffs wurde der Kinderwagen der Familie umgestoßen (https://linksunten.indymedia.org/de/node/173317).
Die später eintreffende Polizei nahm die Personalien der zwischenzeitlich in die S-Bahn geflüchteten Neonazis auf und nahm Tim Müller und Carsten Papenfuß vorläufig fest.Tim Müller hatte ein Messer dabei, eine weitere Person einen Totschläger. Bei der Festnahme leistete Müller Widerstand, ein Tatbestand, der ebenso mit verhandelt wurde. Der von Gewalt Betroffene musste im Anschluss im nahe gelegenen Krankenhaus behandelt werden. Unter anderem wurde eine Platzwunde an der Lippe und eine Schädelprellung festgestellt.
Prozessverlauf
Dass der Hauptangeklagte Reisdorf und der Mitangeklagte Lüskow zum Tatzeitpunkt 19 und 20 Jahre alt waren, gab anscheinend Anlass genug, den Prozess vor dem Jugendschöffengericht zu führen. Zu Prozessbeginn wurde die Anklageschrift verlesen, wonach die Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung, sowie anteilig der Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte beschuldigt werden. Die Verteidigung beantragte im Anschluss ein Rechtsgespräch mit der Richterin und dem Staatsanwalt im Nebenzimmer über mögliche Auflagen zur Einstellung des Verfahrens. Es wurde offensichtlich eine Einigung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung gefunden, die aber erst am Ende des Verfahrens offen gelegt wurde.
Nach kurzer Zeit wurde die öffentliche Verhandlung wieder aufgenommen und die Verteidiger erklärten, dass die Angeklagten die Vorwürfe einräumen und bereit wären sich bei dem Geschädigten zu entschuldigen. Auf Bitten des Rechtsanwalts von Müller wurde zudem eine schriftliche Entschuldigung an den Geschädigten von der Richterin verlesen, welche er Mitte des Jahres 2015 verschickte. In diesem erzählt Müller, dass er aus der rechten Szene ausgestiegen sei und damals mit der Kameradschaft häufig rassistische Angriffe begangen hätte, was er heute bereuen würde.
Im Anschluss wurde der Betroffene, der nicht als Nebenkläger im Prozess auftrat, in den Gerichtsaal gerufen und die Drei entschuldigten sich persönlich bei ihm. Die Richterin erklärt dem Geschädigten, dass er Schmerzensgeld in Höhe von 2500€ erhalten würde und bat seine Frau, die als Zeugin geladen wurde in den Gerichtsaal. Ihr wurde erklärt, dass sie keine Aussage mehr tätigen müsse.
Die Staatsanwaltschaft erklärte sich bereit, der Einstellung des Verfahrens unter den zuvor abgemachten Bedingungen zuzustimmen. Müller soll 1000€, Reisdorf und Lüskow jeweils 750€ an den Betroffenen zahlen. Begünstigend für die Angeklagten wurde gewertet, dass nach der Tat im Februar 2013 keiner der Drei mehr strafrechtlich aufgefallen sei und zwei der Angeklagten nach Jugendstrafrecht verhandelt werden. Ebenso sei zu berücksichtigen, dass alle Drei nicht mehr der rechten Szene zugehörig seien. Die Richterin stimmte den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft zu und stellte das Verfahren gegen die Auflage der Schmerzensgeldzahlung bis zum Zahlungseingang vorläufig ein.
Außer Spesen nix gewesen...
In dem heutigen Prozess wurde nicht erwähnt, dass die Drei zum Tatzeitpunkt Mitglieder der mittlerweile verbotenen Kameradschaft „Weisse Wölfe Terrorcrew“ waren, die zahlreiche militante Angriffe verübten. Nur beiläufig wurde die Zugehörigkeit zur rechten Szene thematisiert, allerdings lediglich im Zusammenhang mit einem angeblichen Ausstieg aus dieser. Ebenso wenig wurde auf das rassistische Tatmotiv der Angeklagten eingegangen und die Tat der Neonazis somit entpolitisiert. Auch die am Tattag mitgeführten Waffen wurden nicht Gegenstand des Prozesses und damit der Angriff verharmlost.
Vier Jahre lang wurde der Prozess offensichtlich verschleppt, nur um heute ein schnelles Ende des Verfahrens anzustreben. Bezeichnend war ebenso der Umgang mit der Frau des Geschädigten, die am Tatabend anwesend und daher als Zeugin geladen wurde. Weder die Angeklagten noch ihre Verteidiger hielten es für angebracht, sich auch bei ihr zu entschuldigen.
Fraglich bleibt warum von der angreifenden Gruppe nur drei angeklagt sind und andere, zum Teil bewaffnete Beteiligte keinerlei Erwähnung finden. Neutrale Zeug_innen wurden zwar geladen, aber nicht angehört. Der Tatbeteiligte Neonazi Mario Zitzlaff war ebenso lediglich als Zeuge in dem Prozess geladen.
Der strafmildernd wirkende Umstand, dass alle drei Beschuldigten aus der rechten Szene ausgestiegen seien ist zumindest in Bezug auf Reisdorf mehr als zweifelhaft. Betonten alle Beschuldigten im Prozess noch, dass sie seit dem verhandelten Vorfall nicht mehr in der rechten Szene aktiv seien, belegen Bilder die Teilnahme von Reisdorf an einer Kundgebung von "HoGeSa" im Jahr 2015 in Hannover, wo er inzwischen auch wohnt.
Dem Verbot der "Weisse Wölfe Terrorcrew" ging eine Reihe eingestellter Verfahren voran, wie beispielsweise der Prozess um gemeinschaftlich begangene, gefährliche Körperverletzung von WWT Mitgliedern im September 2012 in Berlin (https://linksunten.indymedia.org/de/node/99428) oder ein Prozess von Tim Müller, der sich im Juni 2013 in einem Prozess wegen gemeinschaftlicher, schwerer Körperverletzung verantworten musste (https://linksunten.indymedia.org/de/node/90947).
So führt auch dieser Prozess die Kontinuität von Einstellungen vor Gericht für die WWT weiter fort. Nach dem Verbot der Kameradschaft wird es zumindest in Norddeutschland der letzte Prozess für Neonazis unter dem Label "WWT" gewesen sein