Nazi-Eklat: Spielabbruch in Sachsen »Eine unglaubliche Provokation«

Erstveröffentlicht: 
25.04.2017

Weil sich eine Mannschaft mit ihren Nazi-Kollegen solidarisierte, musste ein Spiel in Sachsen abgebrochen werden – Conrad Lippert, Pressesprecher von Roter Stern Leipzig, über den Skandal von Borna.

 

Conrad Lippert, am Wochenende kam es in der Landesklasse Nord zum Spielabbruch während der Partie Bornaer SV gegen Roter Stern Leipzig. Was ist da passiert?


Die Antwort macht keinen Sinn, wenn man die Vorgeschichte nicht kennt.

 

Die beginnt wann?

 
Am 12. Dezember 2015. Damals hatte die Partei »Die Rechte« um den bekannten Neonazi Christian Worch eine Demonstration im Leipziger Stadtteil Connewitz geplant, jenem Stadtteil, der seit jeher als Hochburg der links-alternativen Leipziger Szene gilt und auch unseren Verein beheimatet. Die Polizei entschied jedoch, dass die Demonstration stattdessen in der Südvorstadt stattfinden müsse. Es kam zu heftigen Straßenschlachten, wo sich auch viele aus der linken Szene unrühmlich hervortaten. Die Nazis drohten daraufhin mit einem Marsch durch Connewitz, den gab es schließlich am 11. Januar 2016.

 

In welchem Zusammenhang?

 
Die Verantwortlichen von Legida hatten sich zum Geburtstag ihres Bündnisses die bekannte Nazi-Hool-Band Kategorie C geladen. Viele aus der linken Szene kamen nach Leipzig, um gegen Legida zu demonstrieren, natürlich auch viele aus dem Umfeld von Roter Stern. Die Rechten wiederum hatten sich vorab verabredet und auch Drohungen via Facebook verbreitet, geplant war ein Angriff auf Connewitz. Wir haben damals auch die Polizei informiert, aber die war offenbar völlig überfordert. Etwa 250 Nazis zogen unbehelligt durch Connewitz und nahmen in der Wolfgang-Heinze-Straße, im Kern des Viertels, alles auseinander. Beispielhaft für die Gewalt steht der Angriff auf einen Dönerladen, dem die Nazis erst die Scheiben einschmissen, die Kasse klauten und dort schließlich einen selbst gebastelten Sprengsatz hochgehen ließen, während die Besitzer sich in den Hinterzimmern verbarrikadiert hatten. Eine Hundertschaft aus Thüringen griff letztlich ein und nahm von 215 Leuten die Personalien auf.

 

Was hat das mit Fußball zu tun?


Viele, die an diesem Tag in Connewitz wüteten, gehören zu Hooliganszenen aus Leipzig oder Dresden. Viele von denen spielen selbst Fußball im Amateurbereich oder lassen sich bei gewissen Vereinen blicken und machen da keinen Hehl aus ihrer rechten Gesinnung.

 

Was passierte mit den Tätern?


Die sind bis heute nicht dafür belangt worden. Es gab nicht mal eine Ordnungsstrafe. Und so wie es aussieht, wird da auch nichts passieren. Das ist für uns und viele andere, die sich seit vielen Jahren mit der nazistischen Gewalt auseinander setzen oder Opfer wurden, sehr frustrierend. Und ein weiteres Zeichen dafür, wie unfähig die sächsische Justiz ist, wenn es darum geht, rechte Gewalt zu erkennen und zu bestrafen. Das Vertrauen in die hiesige Justiz ist dadurch noch weiter beschädigt worden.

 

Wie ging es weiter?

 
Ende 2016 wurde eine Liste mit den 215 Namen des Überfalls veröffentlicht, die Leipziger Antifa erstellte daraus Dossiers von jeder Person. So konnte jeder sehen, wer damals in Connewitz mit dabei war – und bei welchem Vereinen diese Personen aktiv waren. Für uns als Verein stellte sich anschließend die Frage: wie gehen wir mit gegnerischen Mannschaften um, die Spieler im Kader haben, die unser Viertel verwüstet haben?

 

Wie viele Spieler aus dem Kader vom Bornaer SV waren beim Angriff in Connewitz beteiligt?

 
Drei. Unter anderem der Kapitän. Wir nahmen Kontakt zum Verein und zum Verband auf und den Verantwortlichen aus Borna war die Angelegenheit auch höchst peinlich. Seit Jahren kommt eine bekannte Nazi-Gruppierung aus einem Vorort von Borna zu den Spielen des SV. Bei einem früheren Spiel wurden antisemitische Gesängen geschmettert, ein Typ zeigte beständig den Hitlergruß.

 

Zog der Verein nach der Kontaktaufnahme Konsequenzen?

 
Es gab eine Ausstellung zum Thema Diskriminierung, auch unserer Minimalforderung, dass die besagten Spieler gegen uns nicht auflaufen würden, wurde nachgegeben. Das sind keine großen und entscheidenden Schritte. Aber im Kampf gegen rechts in Sachsen ist jeder noch so kleine Schritt in die richtige Richtung schon ein Erfolg.

 

Was passierte dann beim Spiel am Wochenende?

 
Bis zur 83. Minute muss man die Partie als Erfolg werten. Der Verein hatte sich darum gekümmert, keine bekannten Nazis auf den Sportplatz zu lassen, unsere Fans hatten die Namen besagter Spieler auf Banner geschrieben, die Gesänge und Sprüche hatten selbstverständlich die ganze Vorgeschichte als Thema, aber es blieb friedlich. Dann schoss Borna das 1:0, ein Spieler rannte anschließend zur Bank, gemeinsam mit zwei Ersatzleuten holte er Trikots seiner drei Kollegen hervor und jubelte damit vor der Tribüne und vor einem Zaun – hinter dem einer der Nazis stand und das Spiel verfolgte. Eine unglaubliche Provokation. Einer unserer Akteure wäre fast durchgedreht, aber den konnten wir glücklicherweise einfangen. Das war einfach nur eine Schande: die Zuschauer beklatschten die Aktion und wir fühlten uns verarscht. Die Mannschaft entschied sich schließlich, gemeinsam den Platz verlassen. Das Spiel wurde abgebrochen.

 

Wie reagierten die Verantwortlichen aus Borna?

 
Der Trainer sprach nach dem Spiel von einer »dämlichen« Aktion seiner Leute, ich selbst habe gesehen, wie einige Männer aus dem Vorstand die Spieler wütend von der Seitenlinie aus anbrüllten. Für alle Beteiligten ist die ganze Aktion einfach nur sehr frustrierend. Weil damit auch eine wochenlange gemeinsame Zusammenarbeit in wenigen Sekunden zunichte gemacht wurde.

 

Auch zwei weitere Mannschaften von Roter Stern spielten am Wochenende gegen Teams, die Beteiligte des Überfalls in ihren Reihen haben. Wie verliefen diese Begegnungen?

 
Weitestgehend friedlich. Unsere Dritte verteilte vor dem Match Broschüren gegen rechte Gewalt statt Handschläge, zwei gegnerische Spieler verweigerten die Hefte. Das muss man schon als Erfolg werten.

 

Roter Stern Leipzig muss seit Jahren diese oder ähnliche Erfahrungen machen – warum tut sich der Freistaat Sachsen so schwer im Umgang mit Nazismus und Rassismus?


Wir werden hier seit 27 Jahren von der CDU regiert. Konservativ bleibt konservativ und das hat sich inzwischen in sämtlichen Behörden durchgesetzt. Rechte Gesinnung und Gewalt wurde hier viele Jahre totgeschwiegen bzw. einfach nicht als Problem erkannt. Auch deshalb gibt es in Sachsen nach Nordrhein-Westfalen die meisten Nazis. Und während wir hier sprechen, gibt das Fanprojekt Leipzig eine Pressemitteilung, in der veröffentlicht wird, dass der sächsische Verfassungsschutz seit Jahren systematisch antirassistische Fußball-Fan-Gruppierungen überwachen lässt. Inklusive deren Umfeld, dazu gehören Journalisten, Sozialarbeiter und sehr wahrscheinlich auch Angehörige aus dem Umfeld von Roter Stern. Es wäre doch schön, wenn das Bundesland mal so viel Einsatz im Kampf gegen rechts zeigen würde.