In der DDR lebten zum Zeitpunkt der sogenannten Wiedervereinigung ca. 60.000 Vietnames_innen, mit Abstand die größte Gruppe Migrant_innen. Die Geschichte vietnamesicher Migration in den sozialistischen Bruderstaat DDR geht bis in die 1950er Jahre zurück, als erstmals Vietnames_innen in offiziellen Solidaritätsprogrammen aufgenommen wurden. In den 70er und 80er Jahren migrierten dann Zehntausende sogenannte Vertragsarbeiter_innen in die DDR, wo sie vor allem in der Industrie als günstige Arbeitskräfte gebraucht wurden. Entgegen der offiziell gepredigten internationalen Solidarität wurden sie auf vielen Ebenen schlechter gestellt als ihre "sozialistischen Brüder und Schwestern" und wurden rassistisch diskriminiert. Vietnames_innen und andere Vertragsarbeiter_innen erlebten zum Teil Ausgrenzungen im Alltag bis hin zu schwerer Gewalt, die auch Todesopfer forderte.
Am 24. April 2017 jährt sich zum 25. Mal der Todestag von Nguyễn Văn Tú , der am 24. April 1992 in Berlin-Marzahn von einem Neonazi erstochen wurde. 25 Jahre danach ist seine Geschichte in der Öffentlichkeit weitgehend in Vergessenheit geraten. Über seine Geschichte, seine Familie, Freunde und Lebenssituation ist heute leider kaum etwas bekannt.
Nguyễn Văn Tú war 1987 als als 24-Jähriger Vertragsarbeiter aus Vietnam in die DDR gekommen. Er war Arbeiter im Walterhausener Gummikombinat bei Gotha und wurde im November 1990 entlassen. Nach dem Zusammenbruch der DDR lebt er sehr prekär von Arbeitslosenhilfe, mit der er weiter versucht seine Angehörigen in Vietnam zu unterstützen. Am Ende des Jahres 1992 wäre seine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland ausgelaufen. Er plante danach nach Vietnam zurück zukehren, wo seine über 70-jährigen Eltern und fünf Geschwister ihn erwarteten und dort zu heiraten.
17:00 Uhr - Kundgebung im Gedenken an Nguyễn Văn Tú
Marzahn, Brodowiner Ring 8 (Öffis: Tram M6 bis Brodowiner Ring)
Am 24. April 2017 jährt sich zum 25. Mal der Todestag von Nguyễn Văn Tú , der am 24. April 1992 in Berlin-Marzahn von einem Neonazi erstochen wurde. 25 Jahre danach ist seine Geschichte in der Öffentlichkeit weitgehend in Vergessenheit geraten. Über seine Geschichte, seine Familie, Freunde und Lebenssituation ist heute leider kaum etwas bekannt.
Nguyễn Văn Tú war 1987 als als 24-Jähriger Vertragsarbeiter aus Vietnam in die DDR gekommen. Er war Arbeiter im Walterhausener Gummikombinat bei Gotha und wurde im November 1990 entlassen. Nach dem Zusammenbruch der DDR lebt er sehr prekär von Arbeitslosenhilfe, mit der er weiter versucht seine Angehörigen in Vietnam zu unterstützen. Am Ende des Jahres 1992 wäre seine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland ausgelaufen. Er plante danach nach Vietnam zurück zukehren, wo seine über 70-jährigen Eltern und fünf Geschwister ihn erwarteten und dort zu heiraten.
Am 24. April 1992 besuchte er mehrere Freunde in Marzahn und hielt sich vor der Tat am Brodowiner Ring auf. Der Tat gingen rassistisch motivierte Pöbeleien und Belästigungen gegen mehrere vietnamesische Männer voraus. Der Täter Mike Lillge und seine Freunde belästigten am Brodowiner Ring aus rassistischen Motiven Vietnames_innen, die Textilien und Zigaretten verkaufen, und beschädigten deren Waren.
Vor Gericht konnte rekonstruiert werden, dass der Täter es klar auf einen Angriff angelegt hatte, so schickte er kurz vor der Tat zwei seiner Freunde los, um weitere Männer und Schlagstöcke zur Verstärkung heran zu holen. Als die Angegriffenen sich dies nicht gefallen ließen und die Neonazis aufforderten, ihre Anfeindungen zu unterlassen, stach Mike Lillge Nguyễn Văn Tú mit einem Messer in die Brust. Er verstarb mehrere Stunden später im Krankenhaus. Der Täter floh nach dem tödlichen Stich in eine nahegelegene Wohnung, aber nur um sich dort mit einem Schlagstock zu bewaffnen und die Auseinandersetzung weiterzuführen.
Im Prozess wird Lillge ein klarer Angriffswillen nachgewiesen und er wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Seine rechte Gesinnung und die rassistische Haltung gegen Vietnames_innen findet im Prozess keine große Beachtung. Lillge war kein unpolitischer Einzeltäter. Er gab seine neonazistische Gesinnung und Verbindung mit der Nazipartei DVU offen zu.
Von staatlicher Seite wurde der rechten Gewalt kaum Einhalt geboten. Die ehemaligen vietnamesischen Vetragsarbeiter_innen wurden durch Abschiebungen und restriktive Ausländergesetze und rassistische Polizeikontrollen tagtäglich schikaniert und ausgegrenzt. Das Wohnheim in der Glückaufstraße (heute Havemannstraße) in Marzahn-Nord, in dem hauptsächlich vietnamesische Vetragsarbeiter_innen wohnten, wurde immer öfter Ziel von Attacken. Es flogen Brandsätze und Gruppen von bis zu 40 Nazis rotteten sich vor dem Heim zusammen. Eine Naziclique, die ihre Angriffe auf die Unterkunft anfänglich von ihrem Stammimbiss aus vornahm, bekam von der Stadt 1991 einen eigenen Jugendclub spendiert. Dank staatlicher Förderung durch »Akzeptierende Jugendarbeit« entwickelte sich das Jugendfreizeitheim »Wurzel« zu einem beliebten Treffpunkt der Neonazis. Am 20. April 1992, vier Tage vor der Tat, konnten knapp 200 Neonazis im Jugendclub »Wurzel« eine »Hitler Geburtstagsfeier« veranstalten - die Reichskriegsflagge war über dem Eingang gehisst.
Am Sonntagabend nach der Tat demonstrierten rund 300 Antifaschist*innen in Marzahn. Einem weiteren Aufruf von Nguyễn Văn Tús Freund_innen und der »Vereinigung der Vietnamesen in Berlin« folgten am Donnerstag der Folgewoche 150 Menschen. Für den 3. Mai rief der Verein zu einer weiteren Demo auf, der sich 2000 Menschen anschlossen. Kurz nach der Tat brachten Antifaschist_innen aus dem Bezirk eine Gedenktafel in der Marzahner Promenade an, die an den Mord erinnern sollte. Die Tafel wurde gestohlen und zuvor mehrmals beschädigt.
Im August 2008, knapp 16 Jahre nach dem Mord an Nguyễn Văn Tú, kam es in Marzahn zu einem weiteren gewaltsamen Tod eines jungen Mannes aus der vietnamesischen Community. Der Täter sah sich durch rassistische Vorurteile bestätigt in einem Akt brutaler Selbstjustiz Nguyễn Tan Dung zu erstechen. Seit Jahren nehmen Übergriffe auf Geflüchtete und Migrant*innen zu, 2015 stand der Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit der höchsten Zahl rassistischer Angriffe berlinweit an trauriger Spitze. Auch 2016 war das rassistische Gewaltniveau in den Ostberliner Bezirken weiter extrem hoch. Dabei kommt es immer wieder zu Akten rassistisch motivierter Selbstjustiz, so wurde im September 2016 am S-Bahnhof Lichtenberg ein Mann in einem Supermarkt so schwer zusammengeschlagen, dass er an den Verletzungen wenige Tage danach verstarb [1].
Am 25. Todestag wollen wir an Nguyễn Văn Tú erinnern und auf die bis heute anhaltende rassistische Gewalt aufmerksam machen. Nguyễn Văn Tú war eines von vielen Opfern des rassistischen Terrors, den Migrant_innen und Geflüchtete bis heute erleben. Wir wollen an ihn und all die Anderen gedenken, denn ihre Geschichten mahnen uns weiter gegen Rassismus, rechte Gewalt und Hetze aufzustehen.
[1] Mehr Infos zum rassistisch motivierten Angriff mit Todesfolge http://berliner-register.de/artikel/lichtenberg-hohensch%C3%B6nhausen/27-m%C3%A4rz-2017-urteil-im-prozess-um-einen-angriff-mit-todesfolge
Direkt nach der Kundgebung gehen wir gemeinsam zur Podiumsveranstaltung, (10 Minuten laufen)
18:00 Uhr - Veranstaltung: die 90er Jahre - Rassismus und Widerstand
in Jugendfreizeiteinrichtung Anna Landsberger, Prötzeler Ring 13, 12685 Berlin (Öffis: Tram M6 bis Brodowiner Ring)
IMit dem Ende der DDR verloren auch die sogenannten Vertragsarbeiter_innen plötzlich ihren Aufenthaltsstatus, darunter viele Vietnames_innen. Dagegen formierte sich ein Widerstand, in dem für ihr Bleiberecht und Arbeit gekämpft wurde. Neben der Bedrohung durch staatliche Abschiebepolitk waren sie Ziel von massiver rassistischer Gewalt: von Seiten der Polizei als auch durch Rassist_innen und Neonazis. In Marzahn forderte der rassistische Hass am 1992 ein Todesopfer. Der 29-jährige Nguyễn Văn Tú wurde von einem Neonazi am Brodowiner Ring erstochen.
Wie verbreitet die rassistischen Bilder über Menschen aus der vietnamesichen Community ist, zeigte eine weitere erschreckende Gewalttat im August 2008. In der Marchwitza Straße in Marzahn wurde der illegalisierte Nguyễn Tấn Dũng vor einem Supermarkt erstochen. Der Täter handelte in rassistisch motivierter Selbstjustiz. Anders als 1992 war der Täter kein überzeugter Rechter oder Neonazi, jedoch sprechen seine Aussagen vor der Tat für eine rassistische Haltung gegenüber Vietnames_innen.
Wir wollen in dieser Veranstaltung mit mehreren Zeitzeug_innen über die Geschichte der vietnamesichen Community und die Widerstände gegen Rassismus sprechen und die Situation heute, 25 Jahre später, sprechen.
Auf dem Podium:
- Hung
- Tamara Hentschel von Reistrommel e.V.
- Dan Thy Nguyễn, Theaterregisseur, Schauspieler, Sänger aus Hamburg
- Tuan von Vereinigung der Vietnamesen
- Mai Phương Kollath (Sozialarbeiterin)
Kundgebung: Marzahn, Brodowiner Ring 8 (Öffis: Tram M6 bis Brodowiner Ring)