Verfassungsschutz beobachtet mehr Rechtsextreme "Es gibt keinen weißen Fleck in Sachsen"

Erstveröffentlicht: 
08.04.2017

Verfassungsschützer beobachten in Sachsen "überdurchschnittlich" viele Rechtsextreme. Dass sich die Lage in den nächsten Jahren entspannt, glauben sie nicht. Doch auch linke Gewalt zeigt eine neue Qualität.

 

Von Katrin Tominski

 

Hat Sachsen ein spezifisches Problem mit Rechtsextremismus oder nicht? Diese Frage beschäftigt die Deutschen mindestens seit dem Aufkommen von Pegida. Der Sächsische Verfassungsschutz gibt hier jetzt eine klare Antwort. "Ja, Sachsen hat ein spezielles Problem mit Rechtsextremismus", erklärte der Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz, Martin Döring, im Gespräch mit MDR SACHSEN. "Wir verzeichnen hier eine überdurchschnittliche Belastung. 13 Prozent aller Rechtsextremen in Deutschland sind aus Sachsen." 

 

Sachsen in absoluten Zahlen bundesweit an zweiter Stelle


Wie ein Vergleich der Verfassungsschutzberichte aller Länder aus dem Jahr 2015 zeigt, rechnen Sachsens Verfassungsschützer insgesamt etwa 2.700 Menschen dem sogenannten "rechtsextremen Personenpotenzial" zu. Damit liegt Sachsen, in absoluten Zahlen, in Ostdeutschland an erster Stelle und bundesweit auf Platz zwei. Nur in Nordrhein-Westfalen gibt es mit 3.470 Personen mehr Rechtsextreme als in Sachsen.

 

In Bayern werden 2.200 Menschen diesem Personenkreis zugeordnet. In Mecklenburg-Vorpommern zählen die Verfassungsschützer 1.450 Rechtsextreme, in Sachsen-Anhalt 1.400 sowie in Thüringen 1.110.

 

Ein etwas anderes Bild ergibt sich bei der Zahl der Rechtsextremen in Bezug zur Bevölkerung. Hier liegt Mecklenburg-Vorpommern mit einem Anteil von 0,9 Prozent Rechtsextremen an der Bevölkerung bundesweit an erster Stelle. Sachsen folgt mit einem rechtsextremen Bevölkerungsanteil von 0,7 Prozent und Sachsen-Anhalt mit 0,6 Prozent. (siehe Tabelle unten)

 

Hochburgen des Rechtsextremismus sind nach Angaben des Sprechers unter anderem der Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, der Landkreis Bautzen und Dresden. Über ein Viertel aller rechtsextremistischen Gewalttaten sind 2015 in der Landeshauptstadt verübt worden. "Es gibt keinen weißen Fleck in Sachsen", erklärt Döring.

 

Gesellschaftliche Entwicklung hat Extremismus gefördert

 

Für die Zukunft sieht der Verfassungsschützer keine Entspannung: "Die gesellschaftliche Entwicklung hat dazu beigetragen, dass sich die Fallzahlen im Rechtsextremismus erhöht haben", sagte Döring. "Ich glaube, dass sich dieses Phänomen auf mittlere Sicht in den nächsten drei Jahren so halten wird."

Potenzial in der Jugendorganisation der NPD

Gefährliches Potenzial sieht Döring in Sachsen vor allem bei den Jungen Nationalen (JN)  – der Jugendorganisation der NPD – sowie den Parteien "Der III. Weg" und "Die Rechte". Nach dem Verbot der "Nationalen Sozialisten Chemnitz" im Jahr 2014 und der "Nationalen Sozialisten Döbeln" 2013 habe sich die JN zu einem "nicht unerheblichen Auffangbecken" entwickelt. Die Freie Kameradschaft Dresden hantiere weiter im Legalen. "Wir sind jedoch sehr sensibel, was diese Aspekte betrifft", sagte Döring.

 

Schnelle Radikalisierung

Ein neues Phänomen in Sachsen ist nach Sicht des Verfassungsschützers eine sehr schnelle Radikalisierung von bislang nicht auffälligen Personen. "Wir registrieren, dass sich viele Personen im Kontext mit Flüchtlingen radikalisiert haben, ohne je vorher in Erscheinung getreten zu sein", sagte Döring. Das sei auch am Beispiel der Freitaler Terrorgruppe deutlich geworden. Der Sprecher schließt neue Angriffe radikaler Terror-Gruppen für die Zukunft nicht aus. "Wir müssen damit rechnen, dass es zu weiteren Vorfällen wie in Freital kommen wird."

 

Linksextremismus: Neue Qualität der Gewalt


Die Zahl des vom Verfassungsschutz eingeschätzten "linksextremen Personenpotenzials" ist mit 800 Menschen um mehr als zwei Drittel geringer als die Zahl der Rechtsextremen. "Hier müssen wir differenzieren", sagte Döring. "Zahlenmäßig ist die Belastung bei den Linksextremen geringer, doch wir erfahren hier eine neue Dimension von Gewalt." Etwa die Hälfte dieser Linksextremen würde als gewaltbereit eingeschätzt. Hochburg sei Leipzig. "Vor allem in den vergangenen zwei Jahren haben die Autonomen in Leipzig überregional für Aufsehen gesorgt", erklärte Döring.

Polizisten als Angriffsobjekt

Als bedenklich erachtet der Verfassungsschützer vor allem die "moralische Enthemmung" und die "rechtliche Arroganz", mit der die Linksextremen agieren. In einem Theorie- und Aktionspapier sei beispielsweise konstatiert worden, "das Schwein Polizist bleibt das Angriffsziel". "Damit werden Polizisten als vogelfrei erklärt", warnte Verfassungsschützer Döring. "Das bedeutet auch die Entmenschlichung des Angriffsobjektes Polizist."

 

Die Linksextremen nähmen Personenschaden mittlerweile billigend in Kauf. "Es wird sehenden Auges akzeptiert, das Unbeteiligte zu Schaden kommen", sagte Döring. "Entscheidend ist immer, wer bereit ist, Gewalt an Menschen auszuüben. Ob links oder rechts – da machen wir keinen Unterschied."

 

Rechte und linke Gewaltdelikte gesunken


Aus der neuen Kriminalitätsstatistik geht hervor, dass Linksextreme im Jahr 2016 insgesamt 104 politisch motivierte Gewaltdelikte verübt haben - im Vorjahr waren es noch 292 Fälle gewesen. Im rechtsextremen Spektrum sank die Zahl der Gewaltdelikte von 213 auf 161 Fälle. Ausländer verübten mit 15 politischen Gewaltdelikten mehr Straftaten als im Vorjahr (8). Die Zahl aller politischen Gewaltdelikte – inklusive sonstiger Gruppen – verringerte sich von 559 auf 300 Fälle. Ob auch das "rechts- und linksextreme Personenpotenzial" abgenommen hat, wird der neue Verfassungsschutzbericht 2016 zeigen, der in Kürze heruasgegeben wird.

 

Die in der Kriminalitätsstatistik ausgewiesenen Gewaltdelikte umfassen nur gravierende Gewaltstraftaten wie unter anderem Mord, Totschlag, gefährliche und schwere Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub oder Beteiligung an einer Schlägerei. "Einfache" Körperverletzungen sind nicht in der Statistik ausgewiesen.

 

Das rechtsextreme Personenpotenzial (RPP) * im bundesdeutschen Vergleich**
Bundesland absolute Zahl Einwohner (EW) Verhältnis RPP/EW in Prozent
    ***  
Nordrhein-Westfalen 3.470 17,9 0,02
Sachsen 2.700 4,1 0,07
Bayern 2.200 12,8 0,02
Baden-Württemberg 1.800 10,9 0,02
Mecklenburg-Vorpommern 1.450 1,6 0,09
Berlin 1.450 3,5 0,04
Sachsen-Anhalt 1.400 2,3 0,06
Niedersachsen 1.325 7,9 0,02
Brandenburg 1.320 2,5 0,05
Schleswig-Holstein 1300 2,9 0,04
Thüringen 1110 2,2 0,05
Bremen 120 0,7 0,02
Rheinland-Pfalz 650 4,01 0,02
Hessen 400 6,1 0,01
Hamburg 330 1,8 0,02
Saarland 290 1,0 0,03

 

* Zum rechtsextremen Personenpotenzial gehören Menschen, die rechtsextremistischen Organisationen und Gruppen zugeordnet werden. Zu ihnen gehören unter anderem die subkulturell geprägten Rechtsextremisten, die sich keiner festen Struktur angehören, sich aber rechtsextremistisch betätigen. Weiterhin zählen die Verfassungsschützer dazu die Neonationalsozialisten sowie Anhänger der Parteien "Die Rechte" oder "Der Dritte Weg".
** Grundlage sind die Verfassungschutzberichte der Länder aus dem Jahr 2015
*** Grundlage sind die Einwohnerzahlen 2015, gerundet in Millionen