Bizarre Jagd nach Linksextremisten - Knapp daneben ist auch vorbei

Erstveröffentlicht: 
07.04.2017

Das Leben im Untergrund begann auf dem Parkplatz eines romantischen Ausfluglokals. Hanff's Ruh liegt mitten im Wald, das Strandbad an der Dahme ist nur wenige Hundert Meter entfernt. Eine Oase im Berliner Stadtteil Grünau, schon zu Kaisers Zeiten machten hier die Wanderer gern Pause.

 

Die Polizeistreife kam zufällig vorbei, es war gegen 0.50 Uhr, die Täter verließen panisch ihre Autos. Als die Polizisten sich näherten, stand beim roten Ford Transit noch die Beifahrertür offen. Im Laderaum fanden die Beamten vier Propangasflaschen samt Zündvorrichtung. 120,7 Kilogramm "hochbrisanter Sprengstoff" waren darin abgefüllt, hieß es im Polizeibericht. Neben den Flaschen lagen neun Zettel, in großen Buchstaben stand geschrieben: "Achtung Lebensgefahr! Sprengung des Knastgebäudes! Das K.o.m.i.t.e.e." Die Polizisten hatten offenbar die Vorbereitung eines politischen Anschlags gestört.

 

Wer die mutmaßlichen Täter waren, fanden sie schnell heraus. In einem blauen VW Passat neben dem Kastenwagen entdeckten sie Personalausweise, einen Führerschein und einen Fahrzeugschein. Sie waren auf Bernhard Heidbreder, Peter Krauth und Thomas Walter ausgestellt.


Es war der 11. April 1995, die drei Männer sollten mehr als 20 Jahre lang verschwunden bleiben. Erst vor wenigen Wochen tauchten zwei von ihnen wieder auf, in Caracas, der Hauptstadt Venezuelas. Dort beantragten die Linksextremisten Asyl. Der Dritte lebte schon länger dort.

Mit dem vorläufigen Showdown in Südamerika geht eine bizarre Verbrecherjagd zu Ende. Immer wieder gelang es dem Trio, seine Verfolger abzuschütteln.

 

Die Geschichte des "Komitees" aber ist keine Gaunerkomödie. Sie ist ein Lehrstück darüber, wie dilettantisch die militante Linke in den Neunzigerjahren bisweilen versuchte, Zeichen zu setzen. Vor allem aber zeigt sie, wo die Staatsmacht in dieser Zeit hinsah und wo eher nicht.

 

Während der spätere Nationalsozialistische Untergrund (NSU) abtauchte und ab 2000 nahezu unbehelligt morden konnte, verfolgten die Behörden das linksextreme Trio, das ein leeres Gebäude sprengen wollte, mit aberwitzigem Aufwand.

 

Sie ließen Büros von Zeitungsredaktionen durchsuchen, zeichneten Gespräche von Beschuldigten mit ihren Anwälten auf und machten gemeinsame Sache mit Polizeistaaten. Dass sie trotzdem erstaunlich ahnungslos blieben, ist auch dem Fintenreichtum ihrer Gegner geschuldet. Bernhard Heidbreder, ein ehemaliger Polizist, wusste, wie er seine einstigen Kollegen austricksen konnte.

 

Ein Finale der Geschichte ist nicht abzusehen. Zwar ist ein zentraler Vorwurf des Generalbundesanwalts, die Bildung einer terroristischen Vereinigung, längst verjährt. Durch eine juristische Besonderheit halten die Ankläger die Ermittlungen trotzdem am Köcheln. Mit gutem Grund, sagt eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft: "Wir reden hier von einem Verbrechen und können nicht sagen, wir sehen von einer weiteren Verfolgung ab - sonst könnte sich der betreffende Kollege unter Umständen selbst strafbar machen."

 

Es war im Herbst 1994, als die Öffentlichkeit das erste Mal vom "Komitee" erfuhr. Aktivisten waren in der Nacht zum 27. Oktober über den Zaun eines Kreiswehrersatzamts im brandenburgischen Bad Freienwalde geklettert. Sie bohrten ein Loch in ein Holzfenster, leiteten über einen Schlauch ein Benzin-Diesel-Gemisch ein und entzündeten es. Der Speiseraum des Gebäudes brannte aus. In der Nähe fanden die Ermittler ein Bekennerschreiben des "Komitees".

 

"Deutschland ist Kriegspartei im Völkermord in Kurdistan - militärisch, ökonomisch, politisch!" hieß die Überschrift.

 

Die Polizei fahndete daraufhin nach einer "terroristischen Organisation", die "wahrscheinlich" mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK befreundet sei. Die Suche blieb erfolglos, bis zu jener Nacht vor dem Ausflugslokal. Nun kannten die Polizisten die Namen der Gesuchten, die Menschen dahinter aber blieben Phantome. "Sie haben weder ihre Konten bewegt, noch haben sie Sozialhilfe abgeholt", hieß es 1995 fast ungläubig im Haftbefehl.

 

Anhand der Zettel im Kastenwagen leiteten die Ermittler den Plan der Terroristen ab: Das nächste Anschlagsziel war wohl das Gefängnis Berlin-Grünau gewesen, das nur drei Kilometer von dem einsamen Waldparkplatz entfernt lag. Es stand leer, da es zu einem Abschiebegefängnis für abgelehnte Asylbewerber umgebaut wurde.

 

Fünf Monate nach dem Abtauchen meldete sich das "Komitee" aus dem Untergrund, mit einer zerknirschten Botschaft. "Knapp daneben ist auch vorbei", überschrieben die Verfasser ein Pamphlet, in dem sie ihr Motiv erklärten und ihr Scheitern.

 

Sie hätten gehofft, dass eine "konsequente militante Praxis" den "Glaubwürdigkeitsverlust" und die "Mutlosigkeit" der Linken durchbrechen würde. Sie hätten mit dem Anschlag ein "Verbrechen" verhindern wollen: den Bau eines Abschiebegefängnisses. Dabei hätten sie allerdings "schwerwiegende Fehler" gemacht, deshalb würden sie ihre politische Arbeit beenden. Ein Jahr nach seiner Gründung war das "Komitee" schon wieder aufgelöst.

 

Sollten die Gejagten gehofft haben, ihre Jäger würden nun ebenfalls die Arbeit einstellen, sahen sie sich getäuscht: Die Bundesanwaltschaft suchte emsig weiter. Auch mit zweifelhaften Methoden.

 

Ihre Erklärung hatte das "Komitee" an die "taz" und die "Junge Welt" in Berlin geschickt, beide Blätter veröffentlichten im September 1995 Auszüge daraus. Wenige Tage später standen Polizisten und Staatsanwälte in den Redaktionen und verlangten die Herausgabe des Schreibens. Die "taz"-Redakteure händigten lediglich Kopien aus, die Beamten durchsuchten vergebens die Räume der Redaktion.

 

Jahre später offenbarte sich die "taz"-Redakteurin Barbara Bollwahn in einer Kolumne mit der Überschrift "Mein subversives Sitzkissen": Sie hatte das Originaldokument mit nach Hause genommen. "Weil ich mich nicht zum Handlanger der Staatsanwaltschaft machen wollte, stopfte ich das sechsseitige Schreiben in ein Ledersitzkissen in meinem Wohnzimmer, das mit Zeitungspapier gefüllt ist." Polizisten filzten daraufhin auch Bollwahns Wohnung. Dass Journalisten als sogenannte Berufsgeheimnisträger vor Eingriffen des Staates besonders geschützt sind, interessierte die Ermittler nicht.

 

Das BKA setzte die drei Männer auf seine internationale Fahndungsliste. Akribisch listeten die Fahnder besondere Merkmale der Gesuchten auf: Krauth spreche Hessisch, Badisch, Berlinerisch, Italienisch, Französisch und Holländisch. Heidbreder bevorzuge asiatische Küche und spiele Schach. Walter habe eine "starke Brustbehaarung" und möge Katzen.

 

Als die zehnjährige Verjährungsfrist für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nahte, erhöhte die Polizei den Druck. Bei "Aktenzeichen XY" und anderen Sendungen lief 2003 ein Fahndungsaufruf, den die Beamten den Redaktionen haarklein diktierten. Brauchbare Hinweise blieben aus, das Trio war nun schon seit acht Jahren unsichtbar.

 

Erst als sich am 3. Dezember 2004 ein Mann aus Köln meldete, waren die Ermittler elektrisiert. Er habe Heidbreder mit zwei anderen Männern gesehen, erzählte der Mann, 20 Gehminuten von jenem Restaurant entfernt, das Heidbreder in den Achtzigerjahren von ihm gepachtet habe. Auch sein damaliger Mitpächter sei dabei gewesen, Carsten S.

 

Die Fahnder beantragten eine Telefonüberwachung für sieben Nummern von Carsten S. und hörten fortan mit, wie er zum Beispiel mit seiner Frau eine Grillparty plante. Kontakte zu Terroristen stellten sie nach drei Monaten keine fest. Da Carsten S. wie Heidbreder ein ehemaliger Polizist sei, müsse man aber mit "erhöhter professioneller Konspiration" rechnen, raunten sie und beantragten eine Ausweitung der Überwachung. Fortan lasen sie auch seine E-Mails mit.

 

Im Mai 2005 machte sich der Mann in den Augen der Ermittler besonders verdächtig: Er flog ohne seine Frau nach Ägypten, ließ sein Handy zu Hause und nutzte stattdessen das eines Mitreisenden. Nun wurden auch Verbindungsdaten vom Telefon des Mitreisenden erhoben.

 

Während Carsten S. verreist war, meldete sich ein Ermittler unter einer Legende bei dessen Frau: Er sei auf der Suche nach einem gemeinsamen Freund namens Bernd, vielleicht sehe "der Carsten" eine Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu treten? Die hörbar irritierte Frau reagierte schmallippig, auch bei weiteren Anrufen des Mannes. In den Augen des Polizisten machte sie sich damit noch verdächtiger. In den Augen einer Ermittlungsrichterin wendeten die Polizisten fragwürdige Methoden an: Sich als Freund eines Bekannten auszugeben könne "der Garantie des fairen Verfahrens" widersprechen.

 

Am 20. Mai 2005 ergriffen kurzerhand zwei BKA-Leute die Gelegenheit, auch nach Ägypten zu reisen, um S. zu observieren. Sie hatten den Verdacht, S. könne mit weiteren Handys heimlich telefonieren. Die ägyptische Polizei aber stellte "verdeckt fest", wie es in einem Bericht der Fahnder heißt, "dass sich im Hotelzimmer des S. lediglich ein Mobiltelefon befand". Der Trip blieb erfolglos. Die Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Polizeistaat sei aber "problemlos und offen" gewesen, lobten die Beamten nach ihrer Rückkehr.

 

Im August 2005 wurde Carsten S. endlich vernommen. Für den Tag, an dem ihn der Restaurantbesitzer mit Heidbreder gesehen haben will, hatte er ein Alibi.

 

Die Episode wirft Licht auf den grenzenlosen Aufwand der Fahnder. Zahlreiche Freunde der Gesuchten wurden abgehört. Selbst Gespräche von Anwälten nahmen die Ermittler auf. Rechtswidrig protokollierten sie, dass es im Fernsehen nichts gebe und man sich nun Essen mache.

 

Im Jahr 2015, zwanzig Jahre nach der Flucht vom Waldparkplatz, verjährte für die drei Männer ein wesentlicher Straftatbestand: die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zum Glück der Bundesanwälte aber gibt es Paragraf 30 des Strafgesetzbuchs: die Verabredung zu einem Verbrechen, die in diesem Fall erst nach 20 Jahren verjährt. Und weil die Haftbefehle zwischenzeitlich neu geschrieben wurden, bleibt das "Komitee" laut Bundesanwaltschaft bis 2036 ein Fahndungsziel. Verfassungsbeschwerden der drei nahm das Bundesverfassungsgericht nicht an.

 

Mit einem Trick versuchte das BKA, den Männern doch noch auf die Schliche zu kommen: Als die Ermittler das Trio in Südamerika vermuteten, stellten sie 2006 einen neuen Fahndungsaufruf auf ihre Website. Mit Hinweisen rechneten sie kaum noch. Vielmehr wollten sie herausfinden, wer sich für den Aufruf interessiert.

 

Wieder gerieten so Anwälte von Beschuldigten aus dem "Komitee"-Umfeld ins Visier. Ein Beamter notierte, aus einer Berliner Kanzlei erfolgten "quasi arbeitstäglich" Zugriffe auf die Fahndungsseite. Aber nicht nur von dort. Am 12. Februar 2006 setzte sich ein Besucher im Historischen Museum Berlin an einen öffentlich zugänglichen Rechner und befasste sich sieben Minuten lang mit dem BKA-Aufruf. Die Ermittler schlossen messerscharf: Der Besucher stehe mit den Beschuldigten in Kontakt und rufe sie womöglich an, während er auf den Seiten surfe.

 

Ein vager Verdacht. Gleichwohl stimmten ein Ermittlungsrichter und die Museumsleitung zu, den benutzten Rechner anzuzapfen und per Video überwachen zu lassen. Tagelang lauerten BKA-Beamte im Museum auf den mutmaßlichen Mittelsmann. Vergebens. Danach dauerte es noch einmal acht Jahre, bis sie endlich Vollzug melden konnten.

 

Er habe nie einen Menschen getötet, schrieb Heidbreder 2014, nachdem ihn venezolanische Behörden auf Bitten der Deutschen festgenommen hatten. Unter dem Namen John Jairo Londoño Smith, angeblich geboren in Kolumbien, hatte er sich einen venezolanischen Ausweis erschlichen und in einer Druckerei gearbeitet. Das BKA war ihm angeblich auf die Spur gekommen, nachdem er Einträge bei Facebook veröffentlicht hatte.

 

Er habe versucht, im Untergrund seinen Idealen treu zu bleiben, schrieb Heidbreder. "Mein Kampf steht unter der Fahne des Antifaschismus, des Antiimperialismus, des Antisexismus, des Antikapitalismus."

 

Venezuela lehnte es ab, Heidbreder auszuliefern. Nach mehr als zwei Jahren in Haft kam er frei. Jetzt tauchten auch Krauth und Walter in Caracas auf. Am 8. März beantragten sie, als Flüchtlinge anerkannt zu werden.

 

Bislang lebte Heidbreder weitgehend unbehelligt in dem südamerikanischen Land. Ob als Deutscher oder als Venezolaner, ist in der Schwebe: Die Behörden in Caracas machen keine Anstalten, ihm die erschlichene Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen. Währenddessen soll das Bundesverwaltungsamt feststellen, dass der Mann Deutscher ist. Sollte er Venezuela verlassen, könnte ein neuer Auslieferungsantrag gestellt werden.

 

Einstweilen lebt Heidbreder zwischen den Welten. Als jemand, "der jeden Tag sein Sandkörnchen beiträgt für eine bessere Welt", wie er den deutschen Genossen versichert.