Gift und Gegengift

Erstveröffentlicht: 
26.03.2017

Pegida und die Neue Rechte in Deutschland, die Lage in der Türkei und die Zukunft Europas: Auf der Leipziger Buchmesse waren in diesem Jahr die aktuellen politischen Themen allgegenwärtig.

 

    Von Alex Rühle

     

     

    Trends? Resümee? Schwer zu sagen. Aber eines war doch auffällig: Trump, der Brexit, die 60-Jahr-Feier der römischen Verträge. Putin, Polen, Ungarn und die anstehende Frankreichwahl. Die Verhaftung von Deniz Yücel und Erdogans Attacken gegen Europa. Die Politik dräute immer wieder am Horizont dieser Messe, dunkler, heftiger als sonst. Und da das Ganze ja mitten in Sachsen stattfand, im Pegida-Stammland, waren auch die AfD, das Erstarken der Rechten und die schleichende Vergiftung des politischen Grundwassers auffällig häufig Thema.

     

    Am Freitagabend beispielsweise stellte der Berliner Links-Verlag seinen Sammelband "Unter Sachsen" vor, mit Beiträgen von 16 Autoren. Die Reportagen, Analysen, Essays kreisen um die Frage, warum gerade in diesem Teil Deutschlands Rechtspopulismus und -extremismus so verbreitet sind. Der dunkelhäutige Blogger Ali Schwarzer erzählte von seinem Leben in Leipzig, von Pöbeleien aus dem Auto, brennenden Zigaretten, die auf ihn herabgeworfen wurden, von Feindseligkeiten, die ab dem Jahr 2012 so sehr alltäglich wurden, "dass ich 2014 aus Leipzig geflohen bin. Es fühlte sich wirklich an wie eine Flucht. Und ich werd auch ganz bestimmt nicht wiederkommen."

     

    Iris Gleicke, die Bundesbeauftragte für die neuen Bundesländer, machte bei der Präsentation wenig Hoffnung, dass das Problem politisch wirklich angegangen wird. Als sie vor einigen Monaten die belegbare Tatsache veröffentlichte, dass, proportional zur Bevölkerung gesehen, fünfmal so viele Straftaten in Ost- wie in Westdeutschland begangen werden, wurde sie von den Ministerpräsidenten aller fünf ostdeutschen Länder so scharf angegriffen, als hätte sie ein propagandistisch verzerrtes Feindbild an die Wand gemalt. Zu dieser Politik der Verleugnung passt, dass kein Vertreter der CDU-Landesregierung zur Vorstellung des Buches kommen wollte und der Links-Verlag das Buch "Unter Sachsen" leider auch nicht in der Berliner Landesvertretung des Freistaates Sachsen vorstellen darf.

     

    Während es hier um Analyse "von unten" ging, sprach im Anschluss Volker Weiß aus der Vogelperspektive des Historikers über den Rechtsextremismus und seine geistigen Paten. Weiß stand mit seinem Buch "Die autoritäre Revolte" (Klett-Cotta), in dem er sehr genau die politischen Programme der Neuen Rechten beschreibt, auf der Shortlist zum Sachbuchpreis der Messe. Er betonte, es gehe den Rechtspopulisten nur vorderhand um den Islam. Ihr eigentlicher Feind sei jedwedes liberales Denken und die Demokratie an sich. Die Ironie daran ist, dass sie sich als Verteidiger der Abendlandes aufführen. Abendland ist ihnen aber nur ein "Kampfbegriff", ein verkapptes Synonym für Abgrenzung von allem Fremdem, am Ende von allem Nichtvölkischen.

     

    Dass die Literatur Kulturen verbindet, Vorurteile abbaut, Verständnis für den anderen und das Fremde fördert, all das klingt nach wohlfeiler Sonntagsrede. Im UT Connewitz, dem umgebauten Jugendstilkino, der vielleicht schönsten Veranstaltungsbühne in Leipzig, war aber am Donnerstagabend zu bewundern, wie vier Autoren sprach- und grenzübergreifend über fremde Bücher schwärmten und damit ein Antidot gegen all das kleingeistige Gift anboten, von dem hier bislang die Rede war.

     

    Es gibt da nämlich dieses fabelhafte, bislang viel zu wenig bekannte EU-Programm "Finnegans List". Alljährlich werden zehn europäische Autoren gebeten, Bücher vorzuschlagen, die sie gerne übersetzt sähen. Die Autoren werden so zu Paten und Vermittlern vergessener oder unbekannter Werke. In Connewitz sprachen Mathias Énard, der in diesem Jahr den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhielt, seine Laudatorin, die tunesisch-französische Historikerin Leyla Dakhli, der britische Historiker David Abulafia und der syrische Journalist und Autor Yassin al-Haj Saleh zwei Stunden lang über Autoren rund ums Mittelmeer.

     

    Wie Énard für den "ersten arabischsprachigen Roman" schwärmte, "Leg over Leg" von Ahmad Faris Shidyaq, eine überschäumend fantastische, witzige, respektlose und obszöne Don Quijoterie aus dem Jahr 1855, das zeigte noch einmal, warum er ein so würdiger Preisträger ist. Es gibt, so schilderte er, in dem Roman seitenweise hymnisch-synonymische Beschreibungen der Geschlechtsorgane. "Das wird knifflig für die Übersetzer", so Enard, "dermaßen viele Synonyme haben wir in den europäischen Sprachen gar nicht." Jetzt braucht es eigentlich nur noch einen Verlag, der sich an Shidyaqs Buch herantraut.