Rechtspopulismus: Die Wut der Frauen

Erstveröffentlicht: 
23.03.2017
Viel ist von empörten weißen Männern die Rede, die fremdenfeindliche und autoritäre Parteien wählen. Dabei sind gerade in Ostdeutschland auch viele Frauen für solche Positionen empfänglich – obwohl es dafür wirtschaftlich keine Gründe gibt.

 

Wenn man Marion Held in ihrem Haus auf einem Hang der erzgebirgischen Kleinstadt Aue besucht, dann ist es wahrscheinlich, dass einem zuerst der "Asylant" begegnet, so jedenfalls nennt ihn Marion Held. Der "Asylant" hört eigentlich auf den Namen Momo und ist ein schwarzer Kater. "Er ist mir vor sechs Jahren einfach zugelaufen", sagt Held. Sie hat ihn aufgenommen aus Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.

 

Die Sache ist nur, dass Marion Held nicht immer hilfsbereit und freundlich sein möchte. Sie kann auch richtig zornig werden und den politischen Widerstand proben. Die 71-Jährige ist schon strammen Rechten hinterhergelaufen, als die im Erzgebirge Sternmärsche anführten. Sie hat dem Bürgermeister ihrer Stadt wutschnaubend erklärt, dass sie sich in ihrem Land vorkomme wie auf einem "orientalischen Basar". Sie läuft auch regelmäßig den Auer Postplatz ab und fotografiert dort als eine Art Eine-Frau-Bürgerwehr junge Flüchtlinge. "Ich kontrolliere die Jugendlichen", sagt Marion Held, "damit die sich richtig benehmen." Diese jungen Leute, davon ist sie überzeugt, handelten nämlich mit Drogen und belästigten Mädchen.

 

Vor einigen Wochen schließlich ist Marion Held ins Bürgerbüro der AfD gegangen und hat ihre Unterstützung angeboten. Sie werde der Partei viel nützen, sagt sie, "denn in Aue kenne ich sehr, sehr viele Leute".

 

Es wird oft über die wütenden ostdeutschen Männer gesprochen, ganz so, als sei Wut ein reines Männerphänomen. Als gäbe es ausschließlich die "zornigen weißen Männer", von denen oft die Rede ist. Dabei spielen Frauen im Milieu der Rechtspopulisten dieses Landes eine zentrale Rolle, insbesondere in den neuen Bundesländern. Doch nur selten geraten diese zornigen Frauen auf eine Weise in den Blick der Öffentlichkeit wie bei jenem Auftritt Angela Merkels im sächsischen Heidenau, den Fernsehübertragungen als Symbol der Wut ins ganze Land sendeten. Die wüsteste Beschimpfung an diesem August-Tag im Jahr 2015 erfuhr die Kanzlerin durch eine Frau, die sie kreischend als "Du dumme Fotze!" beschimpfte.

 

Es sind auch häufig Frauen aus den neuen Bundesländern, die im öffentlichen und politischen Raum den Zorn in rechtsautoritären Bewegungen organisieren. Kathrin Oertel aus der Dresdner Gegend war in den Anfangszeiten das Gesicht von Pegida. Die Bundesvorsitzende der AfD, Frauke Petry, ist eine Leipzigerin. Selbst die rechte Rebellion des Ostens innerhalb der CDU wird maßgeblich von Vera Lengsfeld betrieben, einer ehemaligen Bürgerrechtlerin aus dem Osten.

 

Nun sind die zornigen Frauen kein reines Ost-Phänomen. Die Themen der rechten Autoritären sprechen Frauen in ganz Deutschland und ganz Europa an. Das legen Studien der Universität Bielefeld nahe, die auf Befragungen von Tausenden Menschen aus mehreren europäischen Staaten basieren. Sie ergeben, dass Frauen rechtspopulistischen Aussagen sogar häufiger zustimmen als Männer und dass sie tendenziell islamfeindlicher und sexistischer denken. Das passt zur jüngsten Präsidentenwahl in Amerika. Dort stimmten mehr als 50 Prozent der weißen Wählerinnen für Donald Trump, trotz seiner sexistischen Einlassungen. "All das Reden über die wütenden weißen Männer hat uns übersehen lassen, dass diese Männer mit wütenden weißen Frauen verheiratet sind", schrieb die New York Times.


Die Frage ist, was Frauen empfänglich macht für die Angebote der Rechtsautoritären.

 

Bei Männern in der sogenannten Provinz gilt als ein Grund für ihre Unterstützung autoritärer Parteien, dass sie für sich keine Perspektive und keine Teilhabemöglichkeiten sehen. Doch zu Hause bei Marion Held, der Frau aus Aue, stellt sich auf keinen Fall das Gefühl ein, eine sogenannte Abgehängte dieser Gesellschaft zu besuchen. Marion Held ist mittendrin. Sie engagiert sich in sechs Vereinen, organisiert alle zwei Wochen ehrenamtlich Wanderungen für eine Gruppe von gut 50 Rentnern. Sie besucht Stadtratssitzungen, wenn dort Themen verhandelt werden, die sie interessieren. Sie spendet an einen christlichen Hilfsverein. Kurzum: Sie ist eine Bürgerin wie erdacht für eine lebendige Demokratie. Eigentlich. Die Flüchtlingspolitik Angela Merkels macht sie nämlich so rasend, dass sie das ganze politische System Deutschlands in Zweifel zieht. Diese Politik ist in ihren Augen das Schlimmste, was dem Land widerfahren konnte. 

 

Frauen stehen im Osten beruflich nicht schlecht da


"Sie werden denken, ich bin rechts", sagt sie, "aber ich stehe für meine Heimat ein, für unsere Leute, die nach der Wende viel einstecken mussten." In ihrer Wandergruppe gebe es Rentner, die ihr ganzes Leben gearbeitet hätten – und sich nicht einmal eine kleine Suppe in der Gaststätte leisten könnten. Marion Held sagt: "Jahrelang hieß es, dem Staat fehle das Geld. Ich sehe nicht ein, dass nun fremde Leute Geld bekommen, das unseren eigenen Leuten zustünde."

 

Frau Held und ihr Mann arbeiteten nach der Wende im Auer Halbzeugwerk. Sie stellten zum Beispiel Metalle für die Musikindustrie her. Als der Betrieb nach 1989 dichtmachte, begann Marion Held eine Ausbildung. Sie, die Maschinenbau studiert hatte, machte eine Lehre zur Steuerfachangestellten und dann noch eine zur Bilanzbuchhalterin. Ihr Mann wollte nicht noch einmal von vorn anfangen. "Ihm hat die Wende so zugesetzt, der ist richtig zerbrochen daran", sagt sie.

Weil es für viele Ostdeutsche schwer war, will Marion Held nicht, dass es anderen leicht gemacht wird. Sie findet das ungerecht, daher ihre Wut.

 

Die Politikwissenschaftlerin Rebecca Pates hat zu Ostdeutschland, Rechtspopulismus und Gender-Fragen geforscht. Sie sagt: "Das eigentliche Anliegen der Rechts-Wähler ist ein ökonomisches, der eigentliche Antrieb ist das Gefühl der ökonomischen Ungerechtigkeit." Dabei seien die Wähler der AfD nicht weniger wohlhabend als der Durchschnitt. Sie seien aber getrieben von enttäuschten Erwartungen. "Es handelt sich nicht um eine Bewegung der Armen, sondern derjenigen, die nicht so weit aufgestiegen sind, wie sie es sich gewünscht hätten", so Pates. Diese Leute hätten den Eindruck, nicht die ihnen gebührende Anerkennung zu erlangen. Frauen steckten das oft besser weg als Männer, weil sie mehr Anerkennung über das Familienleben erführen. In Ostdeutschland wirke diese Entlastung für die Frauen aber weniger als bei Frauen im Westen. In der DDR hätten sich Frauen nämlich genauso wie Männer den Respekt über das Berufsleben erarbeitet.

 

Dabei stehen die Frauen im Osten beruflich gar nicht schlecht da. Zwar sah es noch bis vor wenigen Jahren so aus, als wären sie die Verlierer der deutschen Einheit. Sie wurden nach dem Mauerfall schneller arbeitslos als die Männer, sie galten als stärker armutsgefährdet.

 

Aber heute ist das anders. Die Arbeitslosenquote der Frauen in Ostdeutschland ist geringer als die der Männer. Mehr als 17 Prozent aller weiblichen ostdeutschen Angestellten haben einen Hochschulabschluss – das sind mehr als unter Ost-Männern und mehr als unter West-Frauen. Und offenbar sind sie auch flexibler und ehrgeiziger als die Männer aus den neuen Bundesländern. Als das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung vor einigen Jahren seine Ost-West-Studie vorstellte, klang eines der Ergebnisse wie ein Witz, aber es war ernst gemeint: In Ostdeutschland sei das Frauendefizit größer als in Polarkreisregionen. Junge Ost-Frauen sind nämlich viel häufiger als Männer bereit gewesen, der Arbeit wegen wegzuziehen. In den strukturschwachen Gegenden des Ostens blieben die Männer zurück.

 

Sind es ebendiese daheimgebliebenen Frauen, die nun ihre Wut gegen Flüchtlinge richten? Weil sie enttäuscht darüber sind, dass für sie durch die Einheit nicht mehr heraussprang? Einen Teil des Phänomens mag das erklären. Aber nicht alles. Man muss kein ökonomisch Leidtragender sein, um wütend zu werden. Man kann auch Feministin sein, gut ausgebildet, mit tollem Job und regelmäßigem Einkommen. So wie Angelika Barbe.

 

Barbe saß nach dem Mauerfall für die SPD im Deutschen Bundestag, später wechselte sie in die CDU, deren Mitglied sie noch immer ist. Barbe machte früher Werbung für die Einführung des Euro. Einmal wurde sie als aussichtsreiche Kandidatin für den Posten der sächsischen Stasi-Unterlagen-Beauftragten gehandelt.

Aber nun wirkt sie eher wie eine AfD-Politikerin. In den vergangenen Jahren konnte man sie oft bei Diskussionsabenden der Landeszentrale für politische Bildung erleben, zu denen Pegidisten eingeladen waren. Frau Barbe ist eine von ihnen. Oft zappelte sie an solchen Abenden auf ihrem Stuhl, meldete sich energisch, wollte unbedingt erklären, was Leute zu Pegida treibt. 

 

"Ich nehme in Kauf, allein zu stehen, das habe ich zu DDR-Zeiten schon getan"


Die Pegidistin Angelika Barbe ist nicht nur Gast in der Landeszentrale für politische Bildung. Sie ist dort auch Mitarbeiterin, Referentin für das Thema "Aufarbeitung SED-Diktatur". Dort, im prächtigen Gebäude der Landeszentrale, hoch oben im vorzeigbaren Stadtteil Wilder Mann in Dresden, empfängt sie, 64 Jahre alt, zum Gespräch. Ihr kleines Büro ist mit Grünpflanzen vollgestellt.

 

Auf einem Zeitungsschnipsel an ihrer Pinnwand ist ein Bild des ehemaligen iranischen Präsidenten neben einer voll verschleierten Frau zu sehen. "Herr Ahmadinedschad zeigt seine Frau", steht darüber. Die Redaktion hat das wohl ironisch gemeint. Frau Barbe wurde sehr wütend, als sie das Bild sah. "Ich finde das unglaublich", sagt sie. "Hier steht, Frau Ahmadinedschad habe sich in einen traditionellen Tschador eingehüllt. Wenn das unsere Zukunft ist, dann habe ich etwas dagegen."

 

In der DDR hat Angelika Barbe diverse Protestgruppen mitgegründet, einen Frauenkreis in Berlin-Johannisthal zum Beispiel. Sie hat gemeinsam mit anderen Frauen gegen die SED-Führung gekämpft, etwa mit Marianne Birthler, der späteren Stasi-Unterlagen-Beauftragten. Als Angelika Barbe in den Bundestag einzog, da kämpfte sie auch für feministische Anliegen.

 

Seitdem hat sich etwas verändert in der deutschen Gesellschaft: Es gibt weniger Hausfrauen – und eine flächendeckende Krippenbetreuung nicht mehr nur in Potsdam, Rostock oder Dresden, sondern eben auch in Stuttgart, Bielefeld oder Lüneburg. Ost-Frauen haben ihr Lebensmodell in die Bundesrepublik exportiert. Für Frauen wie Angelika Barbe ist daraus ein Gefühl erwachsen: Avantgarde zu sein. Auf der richtigen Seite zu stehen – auch wenn das der Rest der Republik noch nicht begriffen zu haben scheint.

 

So ist das offenbar auch jetzt, nachdem Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Angelika Barbe sagt: "Ich fürchte, dass die mühsam erkämpfte Gleichberechtigung der Frauen wieder aufgegeben wird." Sie selbst höre von Freunden und Bekannten Geschichten über muslimische Jungen in deutschen Kitas, die sich weigerten, die Tische abzuwischen, schließlich sei das Frauenarbeit. Oder über muslimische Jungen in Berliner Schulen, die sagten, sie nähmen von Lehrerinnen keine Weisungen an. Mit jeder weiteren solcher Anekdoten, die Angelika Barbe hört, wächst für sie eine Gewissheit: mit ihrer Meinung vielleicht nicht in der Mehrheit zu sein, aber trotzdem recht zu haben. "Ich nehme in Kauf, allein zu stehen, das habe ich zu DDR-Zeiten schon getan", sagt sie.

 

Sie steht nicht allein da, sondern montags neben einigen Hunderten anderen in Dresden auf der Straße. Angelika Barbe läuft immer noch bei Pegida mit, obwohl der Anführer der Truppe, Lutz Bachmann, inzwischen wegen Volksverhetzung verurteilt wurde.

 

Einmal sprach Angelika Barbe in der Landeszentrale mit einer Besuchergruppe über Pegida, sie weigerte sich, Pegidisten per se als Rechtsextreme zu bezeichnen – so jedenfalls erzählt sie es heute. Dieser Vorfall habe Folgen für sie persönlich gehabt: Öffentliche Veranstaltungen dürfe sie in der Landeszentrale nun nicht mehr moderieren. "Ich habe einen Maulkorb bekommen", sagt sie – und es scheint, als sei sie ein bisschen stolz darauf. "Ich habe in der DDR Berufsverbot bekommen, weil ich nicht zu den SED-Verbrechen schweigen wollte", sagt sie. "Ich habe einen zu hohen Preis dafür bezahlt, meine Meinung zu sagen, als dass ich jetzt darauf verzichten würde."

 

Schon mehrere Male ist Barbe auch Frauke Petry, der Parteichefin der AfD, begegnet. Einmal drückte sie ihr eine Thesensammlung in die Hand. Beim nächsten Treffen habe Petry sie wiedererkannt und gesagt, dass sie das Papier immer in ihrer Tasche trage. "Das hat mir natürlich gefallen", sagt Barbe.

 

Rechtspopulisten haben früh erkannt, welche Sprengkraft in feministischen Themen steckt. Lutz Bachmann kritisierte Muslime auf der Pegida-Bühne anfangs vor allem dafür, dass sie Frauen herabwürdigten. Und was Bielefelder Sozialpsychologen im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mittels Befragungen herausgefunden haben, dürfte Rechtspopulisten bestärken. "Frauen sind im Durchschnitt signifikant fremdenfeindlicher, rassistischer, islamfeindlicher und sexistischer als Männer", heißt es in einer Studie von 2011. Eine Befragung aus dem Jahr 2005 kam zu dem Schluss, diejenigen Deutschen, die Zuwanderer am häufigsten abwerteten, seien ältere Frauen aus Ostdeutschland. Andreas Zick, Leiter der Studien und des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, erklärt das so: "Wenn Frauen sich als emanzipiert wahrnehmen – wie das häufiger in Ostdeutschland der Fall ist –, dann neigen einige von ihnen dazu, ihre Macht und ihre Dominanz herauszustellen, auch gegenüber Zuwanderern." Unabhängig davon gilt laut den Bielefelder Studien: Je geringer das Einkommen, je niedriger der Bildungsgrad und je älter die Befragten, desto häufiger neigen sie dazu, sich feindselig gegenüber schwächeren Gruppen zu äußern. 

 

"Die AfD setzt Hoffnungen frei"


Auffällig ist, dass Frauen zum Beispiel im Führungszirkel von Pegida eine Minderheit waren – und dennoch mit die wichtigsten Rollen einnahmen. Zur Dresdner Oberbürgermeisterwahl nominierte Pegida eine Frau als Kandidatin: Tatjana Festerling.

 

Die AfD konnte das Potenzial von mit ihren Themen sympathisierenden Frauen bei der vergangenen Bundestagswahl aber nicht ganz heben. Sie war damals eine überdurchschnittlich von Männern gewählte Partei. Hätten nur deren Stimmen gegolten, wäre sie schon 2013 in den Bundestag eingezogen. Nun versucht die Partei vereinzelt, gezielt die wütenden Frauen zu umwerben.

 

Ein Mittwochabend im Dezember, in einer sächsischen Kleinstadt. Draußen nieselt es, drinnen wummert How Deep is Your Love aus den Lautsprechern. Der örtliche AfD-Kreisverband bietet hier einen "Selbstverteidigungskurs" an, den der stellvertretende Kreisratsvorsitzende als Angebot gerade auch für weibliche Mitglieder verstanden wissen will. An diesem Tag ist aber nur eine Frau gekommen, 18 Jahre alt, sie hat ihre langen schwarzen Haare zum Pferdeschwanz gebunden und trägt eng anliegende Trainings- klamotten. Außer ihr sind nur Männer in der Runde. Vor einigen Monaten, sagt sie, sei einer ihrer Freunde – ein AfD-Mitglied – von Flüchtlingen überfallen worden. Bei der Polizei wurde damals Anzeige erstattet, diese bestätigt das auch, zu einem Prozess kam es bislang nicht. Deswegen jedenfalls, sagt die junge Frau, komme sie zu diesem Kurs, und deswegen sei sie ein bisschen ängstlich und wolle nicht, dass ihr Name in der Zeitung stehe. Sandra sollen wir sie nennen.

 

"Wenn dir jemand an den Hintern gehen will, dann kannst du dich dagegen wehren", sagt der Trainer. Blitzschnell drehen, den Unterarm des Mannes packen und auf die Gelenke drücken. Danach wird geübt, anderthalb Stunden lang. Sandra greift dem Trainer mit beiden Händen an den Hals, als würde sie ihn würgen. Sie lernt an diesem Abend, wie man einen Mann in die Knie zwingt.

 

Später zündet sich Sandra vor dem Fitnessstudio eine Zigarette an und erklärt, wie unglaublich sie es selbst findet, plötzlich – sozusagen – politisch aktiv zu sein. "Hätte mir jemand vor einem Jahr erzählt, dass ich heute Mitglied einer Partei sein würde, ich hätte ihn ausgelacht", sagt sie. Sie habe sich nie für Politik interessiert, lese kaum Zeitung, gucke kaum Fernsehen, den Politikunterricht in der Schule habe sie ausgesessen: "Ich war froh, wenn die Stunde rum war." Sandra ist im Januar 19 Jahre alt geworden, mit 16 hat sie ein Kind bekommen, ungeplant. Sie hat keinen Schulabschluss, vom Vater ihres Kindes lebt sie getrennt. Sie bekommt Hartz IV und wohnt in einem Plattenbau einer sächsischen Kleinstadt. Sandra war nie auch nur Mitglied in einem Verein. Wieso wird eine wie sie Mitglied der AfD?

 

"Man kann auch mal was gut finden, was die Masse blöd findet", sagt Sandra. Und: "Die AfD setzt Hoffnungen frei." Sandra sagt, ein Freund von ihr sei schon länger in der AfD, der habe nur Gutes erzählt. Irgendwann sei sie zu einer Parteiveranstaltung mitgekommen. "Sobald man dabei ist, lernt man total nette Leute kennen." Plötzlich interessiere sie sich für Sozialpolitik, für den Ausgleich zwischen Arm und Reich, für Energiepolitik. Nun verteile sie regelmäßig AfD-Flyer, das sei eine "total schöne Freizeitbeschäftigung, wenn man einfach mal rausgeht, eine Runde läuft".

 

Die AfD, das ist für Sandra eine Art Familie, die die Langeweile vertreibt. Man freue sich im Kreisverband darüber, dass die anderen da seien, sagt sie, man müsse gar nicht jedes Mal über Politik reden.

 

Ist sie eine der sogenannten Abgehängten, vergessen von Staat und Gesellschaft? Sandra bekommt Geld vom Staat. Sie lebt seit Jahren davon. "Ich fühle mich nicht vergessen", sagt sie. "Aber ich fühle mich auch nicht voll wahrgenommen." Es ist keine Enttäuschung, die sie empfindet. Sondern Freude darüber, umworben worden zu sein.