Ein Zeuge berichtet von der Teilnahme des Ministerpräsidenten in einem ominösen CDU-Arbeitskreis im Verfassungsschutz.
Der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) soll mindestens einmal an einem „CDU-Arbeitskreis im Verfassungsschutz“ teilgenommen haben, den auch der umstrittene ehemalige Verfassungsschützer Andreas Temme zeitweise aufsuchte. Das hat der pensionierte Verfassungsschützer Frank-Ulrich Fehling am Freitagabend im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss berichtet, wie die Linke und die unabhängige Beobachtungsstelle NSU Watch übereinstimmend mitteilten.
In der Sitzung, die zu dieser Zeit bereits länger als zehn Stunden dauerte, berichtete Fehling nach Angaben von NSU Watch „vom Ausflug mit Temme zum Grillfest des ,Arbeitskreises CDU im LfV‘ bei der Wasserschutzpolizei, wo er auch Bouffier traf“. Die Abkürzung „LfV“ steht für Landesamt für Verfassungsschutz.
Fehling war seinerzeit Leiter der Verfassungsschutz-Außenstelle in Kassel, wo Temme als V-Mann-Führer arbeitete. Nach Fehlings Angaben habe man ein Dienstfahrzeug genutzt, um mindestens zweimal gemeinsam von Kassel zur Feier des „CDU-Arbeitskreises“ zu fahren, teilte Linken-Obmann Hermann Schaus am Samstag mit. Diese Feiern hätten jährlich stattgefunden. Bouffier habe zumindest einmal daran teilgenommen.
Nach Temmes eigenen Tagebuchaufzeichnungen habe der Teilnehmerkreis im September 2000 lediglich zwölf bis 15 Personen umfasst, fügte der Linken-Politiker hinzu. „Die neue Aussage ist brisant, denn Sie wirft nun die Frage auf, ob Bouffier und Temme sich persönlich kannten“, kommentierte Schaus. Fehlings Aussagen hält er für glaubhaft. Sie deckten sich mit den Aufzeichnungen, die der Ausschuss in den Tagebüchern von Andreas Temme gefunden habe.
Vorwurf der Verdunkelungstaktik
Schaus wirft der Landesregierung „Verdunkelungstaktik“ vor, weil sie auf Fragen zu dem CDU-Arbeitskreis bisher ausweichend geantwortet habe. Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte im Oktober mitgeteilt, der Regierung sei „kein aktiver Arbeitskreis der CDU oder anderer Parteien im LfV bekannt“. Über die Grillfeier des CDU-Arbeitskreises im Jahr 2000 bei der Wasserschutzpolizei Wiesbaden bestünden „keinerlei Aufzeichnungen“. Beuth verwies darauf, „dass eine Inanspruchnahme der mit der Dienststelle verbundenen Möglichkeiten zum Zwecke einer (privaten) parteipolitischen Tätigkeit nicht erlaubt“ sei. Es dürften etwa „keinerlei Arbeitsmittel der Dienststelle verwendet werden“.
Temme hatte bis 2006 für die Kasseler Außenstelle des hessischen Verfassungsschutzes gearbeitet. Dort führte er Informanten des Geheimdienstes aus dem rechtsextremen und dem islamistischen Spektrum, um deren Angaben an die Behörde weiterzugeben. Bei dem Mord an Halit Yozgat in Kassel am 6. April 2006 – oder wenige Sekunden davor – war Temme am Tatort gewesen. Der Mord wird inzwischen der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zugerechnet.
Eine Kasseler Initiative, die sich mit der Aufarbeitung der NSU-Mord befasst, fordert die „Entfernung von Andreas Temme aus der Personalabteilung des Regierungspräsidiums“. Die Gruppierung „Kasseler Initiative Nachgefragt“ sieht mit Sorge, dass der ehemalige Verfassungsschützer in der Abteilung für die Regelung von Pensionen zuständig sei.
Andreas Temme war zeitweise unter Tatverdacht geraten, bis im Januar 2007 die Ermittlungen gegen ihn eingestellt wurden. Er kehrte nicht zum Verfassungsschutz zurück, sondern wurde zum Regierungspräsidium Kassel versetzt und „zum Amtmann befördert“, wie die Initiative schreibt. „Wie weit die zustimmungspflichtigen Personalräte über die Hintergründe dieser Versetzung ausreichend informiert waren, ist unklar“, heißt es weiter in der Erklärung der „Initiative Nachgefragt“.
Sie führt die Ungereimtheiten auf, die mit Andreas Temme verbunden sind. So habe es nach den Erkenntnissen des NSU-Untersuchungsausschusses „kein echtes dienstrechtliches Disziplinarverfahren gegen ihn“ gegeben.