NPD sieht Verfassungsfeindlichkeit als gutes Recht

Erstveröffentlicht: 
23.03.2017
Vor Gericht kämpft die Partei gegen kritische Äußerungen eines Politikwissenschaftlers. In der Verhandlung zeigt sich, wie das Urteil ausfallen könnte.
Von Tilman Steffen, Dresden

 

Darf man sagen, dass die NPD "Staatsverbrechen" plant und Millionen von Menschen aus Deutschland vertreiben will? "Eine nicht ganz einfache Frage", sagt der Vorsitzende Richter am Landgericht Dresden. Die erste Kammer hat darüber zu entscheiden, ob der Dresdner Politikwissenschaftler Steffen Kailitz diese Äußerung wiederholen darf oder nicht. Ob sie eine Tatsachenbehauptung ist, die widerlegbar sein könnte oder durch die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gedeckt. Denn die NPD hat gegen Kailitz geklagt.

 

Die Partei plane "rassistisch motivierte Staatsverbrechen", hatte der Wissenschaftler in einem Aufsatz in der ZEIT geschrieben, den auch ZEIT ONLINE veröffentlichte. Sie wolle acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben, unter ihnen "mehrere Millionen deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund". Zu diesem Schluss war er in seiner Arbeit als Forscher beim Hannah-Arendt-Zentrum für Totalitarismusforschung der TU Dresden gekommen. Er bezog sich dabei auf das Grundsatzprogramm der Partei, auf ein Aktionsprogramm und weitere öffentlich nachlesbare Positionen der NPD. Kailitz publiziert diese Einschätzung seit Jahren. Zuletzt vertrat er sie im NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, wo er als Sachverständiger geladen war.

 

Für die NPD ist die Verhandlung in Dresden die erste nach dem Scheitern des Parteiverbots vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Gerichtssaal A 0.78 des Landgerichts Dresden zeigte sich, dass die NPD vor allem für sich in Anspruch nimmt, nicht als verfassungswidrig verboten worden zu sein. Die Karlsruher Richter hatten ihr zwar verfassungsfeindliche Ziele attestiert, sahen aber keine Gefahr, dass die geschwächte Partei diese auf absehbare Zeit durchsetzen könnte. Die NPD sieht sich als legale, gewaltlos auftretende Partei. Jetzt versucht sie, die Grenzen der Meinungsfreiheit neu zu verhandeln.

 

Vor dem Landgericht war neben Kailitz und dessen Rechtsbeistand auch NPD-Chef Frank Franz erschienen, begleitet vom Parteianwalt Peter Richter. Auf der Richterbank saß diesmal nicht Jens Maier, Mitglied der AfD und Bundestagskandidat. Der hatte Kailitz seine Äußerungen im Mai 2016 in einer umstrittenen Eilentscheidung untersagt, Kailitz widersprach. Seit Maier in einer Rede in Dresden einen angeblich in Deutschland gepflegten "Schuldkult für beendet" erklärt hatte, ist er am Landgericht nicht mehr für Presseverfahren zuständig.

 

Flankiert von zwei Beisitzern ließ der Vorsitzende Richter gleich zu Beginn der Verhandlung durchblicken, dass er die Sache anders sieht als der Richter, der die Eilentscheidung fällte. Unter "Gesamtwürdigung der Äußerung" von Kailitz sei seine Kammer zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt, um eine wissenschaftliche Schlussfolgerung. Er versuche, das Verfahren kurz zu halten, alles Wesentliche sei angesprochen worden, sagte der Vorsitzende und bezog sich damit auf die Schriftsätze zu diesem Rechtsstreit, die mittlerweile mehrere Hundert Seiten umfassen. 

 

"Verfassungsfeindlichkeit ist kein Verbrechen", sagt der NPD-Anwalt


Im Wesentlichen tauschten beide Seiten in der Verhandlung die bereits niedergeschriebenen Argumente aus. Auf der rechten Seite im Saal die Partei, die das Abstammungsprinzip vertritt, die als Deutsche nur jene ansieht, die deutsche Vorfahren haben, und damit Millionen deutsche Staatsbürger ausgrenzt. Die eine "Rückkehrpflicht" für Nichtdeutsche durchsetzen will. Auf der anderen Seite der Wissenschaftler, der die Programmatik der Partei analysierte und zu dem Schluss kam, dass eine Umsetzung ihrer Ziel nicht nur internationale Verträge verletzen würde, sondern auch Menschenrechte und -würde. "Wenn Sie das umsetzen wollen, obwohl Sie verfassungsfeindlich sind, dann sind das Staatsverbrechen", hält Kailitz' Rechtsbeistand dem NPD-Anwalt entgegen. Doch der sieht sich durch Karlsruhe bestätigt: "Verfassungsfeindlichkeit ist kein Verbrechen", erwidert er. "Das ist ein gutes Recht." Einige Besucher lachen entrüstet auf.

 

NPD-Anwalt Richter moniert, Kailitz stelle seine Schlussfolgerungen als Tatsachen dar. Im Programm der NPD stehe aber gar nichts von Vertreibung und Staatsverbrechen. Kailitz könne sich nicht auf die Wissenschaftsfreiheit berufen. 

 

Der Richter wünscht "gute Heimreise"


Kailitz' Rechtsbeistand erinnert an die Briefe, die die NPD im Wahlkampf 2013 an Bundestagskandidaten nicht deutscher Herkunft schickte: in denen sie ihnen für ihre Arbeit dankte und "einen guten Heimflug" wünschte. Das verängstige doch Betroffene. Anwalt Richter behauptet in dem darauffolgenden Wortgefecht, die Briefe an die Kandidaten seien "Satire" gewesen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die NPD wolle auch keinen Ausländer gewaltsam zurückführen, man könne dafür etwa Rückkehrprämien zahlen. Die Gegenseite reagiert empört: "Das ist Zynismus."

 

Nach etwa 50 Minuten beendet der Vorsitzende Richter den Streit. Ende April will er ein Urteil verkünden. Er ließ bereits durchblicken, wie es ausfallen könnte. Das Verfahren dürfte damit aber nicht beendet sein. Die NPD sei im Falle einer Niederlage entschlossen, das Verfahren über das Bundesverfassungsgericht bis vor den europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu treiben, sagt ihr Anwalt.

 

Als die Beteiligten aufbrechen, wünscht ihnen der Vorsitzende Richter eine "gute Heimreise" – was auch die NPD den Bundestagsabgeordneten geschrieben hatte. Gelächter kommt auf, er bemerkt seinen Fauxpas und korrigiert sich schnell: Das sei ein "herzlich gemeinter Wunsch" gewesen.