Freistaat tut sich schwer mit „Unter Sachsen“ - Thüringer Landesvertretung gibt „Asyl“ für Sachsen-Buch

Erstveröffentlicht: 
17.02.2017

Pegida, brennende Asylbewerberheime, Fremdenfeindlichkeit haben Sachsens Ruf ramponiert. Warum sich rechte Gewalt gerade im wirtschaftlichen Vorzeigeland des Ostens entfaltet, analysieren renommierte Autoren in „Unter Sachsen“. Offenbar wenig zur Freude des Freistaats, der nun seine Landesvertretung für die Buchpremiere verweigert.

 

Dresden.  Eigentlich ist es nur ein Buch. Sicherlich auch eine unbequeme Veröffentlichung. Doch was bereits im Vorfeld des Erscheinens von „Unter Sachsen“ hinter den Kulissen daraus gemacht wurde, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie und erzählt wohl einiges über die sächsischen Verhältnisse. Die Geschichte dieser Verwerfung soll am 30. März in Berlin in der Thüringer Landesvertretung enden, die den Herausgebern für die Präsentation in der Bundeshauptstadt Asyl angeboten hat – weil der heimische Freistaat keinen Termin in der eigenen Landesvertretung finden konnte. Oder womöglich finden wollte. Denn diese Geschichte erzählt auch vom sogenannten Sachsen-Bashing und dem nicht immer souveränen Umgang damit.

 

Alles begann mit zwei Journalisten. Mit der Rechtsextremismus-Expertin Heike Kleffner und mit Matthias Meisner, ehemals Chef des Dresden-Büros der Deutschen Presse-Agentur und jetzt beim „Tagesspiegel“ für Sachsen zuständig. Nach den Ereignissen der jüngsten Jahre – die Stichworte lauten unter anderem Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Demonstrationen gegen Ausländer und Erstarken der AfD und von Pegida – baten die beiden diverse Autoren, sich mit dem Freistaat auseinanderzusetzen. „Es soll eine Bestandsaufnahme sein. Uns geht es nicht darum, das Sachsen-Bashing weiterzuführen, sondern um eine Draufsicht von außen und von innen“, erklärt Matthias Meisner.

 

Gesagt, getan: Heike Kleffner und Matthias Meisner holten sich kaum eine Abfuhr, im Gegenteil, es sagten 27 namhafte Autoren von Medien, aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu. Sie untersuchen in Vor-Ort-Reportagen und Analysen insbesondere die gesellschaftliche Spaltung und die Radikalisierungen, die nicht nur in Sachsen zutage treten, aber hier besonders ausgeprägt scheinen. Daneben äußern sich noch einmal drei Dutzend Prominente in sogenannten Zwischenrufen zur Frage „Warum Sachsen?“.

 

Darunter sind der Ur-Thüringer Michael Triegel und Frank Richter, der Ex-Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, die in Leipzig lebende Bloggerin Nhi Le und der aus Syrien stammende Journalist Tarek Khello, die von Heilbronn nach Dresden gezogene Opernsängerin Iris Stefanie Maier und der frühere CDU-Bürgermeister Carsten Michaelis aus Jahnsdorf im Erzgebirge. Das Buch, das vom LVZ-Karikaturisten Klaus Stuttmann mit illustriert wurde, vereinigt auf diese Weise nicht nur beeindruckende und teilweise bedrückende Innenansichten, sondern gibt auch eine Vielzahl von Perspektiven und Positionen wieder. Heike Kleffner sagt deshalb, der Band sei eine Einladung zum Gespräch und zur inhaltlichen Auseinandersetzung – über geteilte Werte und das Aushalten von Verschiedenheit.

 

Doch ausgerechnet in der Berliner Botschaft des Freistaates, die als Schaufenster die kulturelle und politische Vielfalt der Region repräsentieren soll, bissen Verlag und Herausgeber auf Granit. Während zur Leipziger Buchmesse im Zeitgeschichtlichen Forum, einem Haus des Bundes, die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), die Buchvorstellung übernimmt, lehnte Sachsens Landesvertretung in der Hauptstadt einen Termin ab. Das Pikante daran ist allerdings: Es gibt gleich drei unterschiedliche offizielle Versionen, weshalb die Räumlichkeiten nicht zur Verfügung gestellt werden konnten – und alle stammen von Vertretern des Freistaates.

 

Zum Ersten wurde dem Verlag, der vor geraumer Zeit um den Veranstaltungsort ersucht hatte, von der Landesvertretung mitgeteilt, es gebe weder freie Termine noch Interesse. Zum Zweiten erklärt die Landesvertretung ihrerseits auf Anfrage der „Freien Presse“, der Verlag habe nur den 30. März vorgeschlagen, den Tag vor der Bundesratssitzung – und da fänden nie Veranstaltungen in der Landesvertretung statt. Und zum Dritten macht die sächsische Staatskanzlei auf Anfrage klar: „Die Budget-Planung für Veranstaltungen in der Landesvertretung ist spätestens Anfang Dezember für das Folgejahr abgeschlossen. Dadurch gab es zum Zeitpunkt der Anfrage durch den Verlag keine Möglichkeit mehr, weitere Lesungen in den Veranstaltungskalender für das Jahr 2017 aufzunehmen.“

 

An dieser Stelle tritt das Thüringer Äquivalent der Sachsen-Botschaft auf den Plan: Die benachbarten Freistaatler boten den Herausgebern für den besagten 30. März Asyl an. Gleichzeitig auch dem sächsischen Vize-Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD), der das Buch gemeinsam mit der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping, einer Dresdnerin, in Berlin vorstellen wird. Auf Anfrage lässt Martin Dulig mitteilen, er finde das Buch „sehr differenziert“. Sachsen sei bisher häufig einseitig dargestellt worden, entweder Schwarz oder Weiß. „Dabei werden oft die vielen Grautöne und Schattierungen vergessen, denn Sachsen ist eben nicht nur Opfer oder Täter“, erklärt der stellvertretende Regierungschef. Ihm „war und ist es gleich, wo das Buch letztlich präsentiert wird“ – natürlich hätte er aber den Sammelband passenderweise „gern in der sächsischen Vertretung präsentiert“.

 

Dass es beim Koalitionspartner CDU offensichtlich Vorbehalte gegen das Buch gab oder noch gibt, auch wenn nach Aussage der Staatskanzlei vorab keine Kapitel bekannt gewesen seien, verdeutlicht eine weitere Aussage. „Trotz vieler Anfragen haben wir bis heute bei der CDU keinen Gesprächspartner für Veranstaltungen gefunden“, sagt Mit-Herausgeber Meisner, der die Geschichte keineswegs zu einem Politikum stilisieren möchte. Ein fader Beigeschmack bleibt dennoch. Aber die Thüringer gewähren den Sachsen, von höchster Freistaatsstelle abgesegnet, immerhin Asyl, so dass das Buch trotz aller Verwerfungen in der Hauptstadt prominent vorgestellt werden kann.

 

  Zur Buchmesse
  in Leipzig: 24. März, 11 Uhr, Forum „Die Unabhängigen“ (Halle 5, Stand H 309) und um 17.30 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum (Grimmaische Straße 6)

Von Andreas Debski