„Sprachrohr der Unzufriedenen“

Erstveröffentlicht: 
16.03.2017
Sven Petry, Pfarrer und Ex-Mann von AfD-Chefin Frauke Petry, warnt mit einem Buch vor Populismus

 

Von Andreas Debski

 

Tautenhain. Eigentlich hatte Sven Petry keine Zeit. Vier Kinder, fast 1100 Seelen in seinen vier Pfarrgemeinden, eine neue Partnerin, die auch noch im fernen Kanada wohnt. Das reicht. Eigentlich. Doch jetzt sitzt Sven Petry im Tautenhainer Pfarrhaus im Landkreis Leipzig und wiegt ein 12 mal 16,5 Zentimeter kleines, in mintgrün gehaltenes Buch zwischen den Händen. Das Buch, für das er keine Zeit hatte.

 

„Es ist kein Anti-AfD-Buch. Die Partei können andere besser als ich erklären. Und ich habe auch nicht mit meiner Ex-Frau abgerechnet“, stellt jener Mann, der zwei Jahrzehnte mit der AfD-Chefin Frauke Petry ein Paar bildete, schon kurz nach der Begrüßung klar. Er wehrt sich nicht dagegen, ihr Ehemann gewesen zu sein, und als solcher wahrgenommen zu werden. Der 41-jährige Pfarrer möchte nur nicht darauf reduziert werden. Auch wenn er sehr genau weiß, dass es dieses Buch, das heute erscheint, ohne die vergangenen fünf Jahre nicht gegeben hätte – ohne jene Zeit des steilen Aufstiegs von Frauke Petry. Erst zur Unternehmerin des Jahres und dann innerhalb der AfD, inklusive der öffentlichkeitswirksamen Trennung und ihrer Hochzeit mit Marcus Pretzell, einem der neuen AfD-Wortführer.

 

Tatsächlich hat das Buch mit dem der Weihnachtsbotschaft entlehnten Titel „Fürchtet euch nicht“ aber sehr viel mit der Alternative für Deutschland zu tun, aber fast genau so viel auch mit Bewegungen wie Pegida und Legida. Mindestens auf den zweiten Blick. Weil Sven Petry weitaus häufiger zuhört, als dass er redet. Auf den 128 Seiten beschreibt und analysiert der promovierte Theologe jene Grundstimmung, die er im Leipziger Umland kennengelernt hat, und die letztlich zum Erstarken der AfD und auch von Pegida führten. Denn die Erfahrungen und die Beobachtungen lassen sich durchaus verallgemeinern. Die Schlagworte lauten Angst, Sorge, Wut – und Misstrauen. Es geht um die Angst vor Veränderungen, weil diese häufig nichts Gutes bedeuteten. Er beschreibt die Sorgen, die Verluste einschließen und über viele Jahre gewachsen sind. Auch die Wut, die sich gegen „die da oben“ richtet, wird von ihm erklärt. Genauso das grassierende Misstrauen, ob nun gegen das Establishment oder die Lückenpresse.

 

Seine Erfahrungen münden in Sätzen wie diesem: „Wer über ein Vierteljahrhundert Kinder und Enkel abwandern gesehen hat, weil der heimische Arbeitsmarkt nicht in der Lage war, sie aufzunehmen, für den klingt der Hinweis, man müsse wegen der demografischen Entwicklung doch über die vielen Menschen froh sein, die nach Deutschland kommen, beinahe höhnisch.“ Wenn in dieser Situation eine Partei kommt, sagt Sven Petry, die den Anspruch hat, dass endlich alles gesagt werden muss und kann – „dann wird diese zwangsläufig zum Sprachrohr der Unzufriedenen“. Und das, obwohl innerhalb der Partei Kritiker mundtot gemacht werden. Denn der von der AfD propagierte Slogan „Mut zur Wahrheit“ gilt ausschließlich für die eigene Wahrheit, nicht für Andersdenkende, wie unter anderem jüngste Äußerungen von Frauke Petrys zweiten Ehemann, dem nordrhein-westfälischen AfD-Chef Marcus Pretzell, unterstreichen.

 

Sven Petry hat das Erstarken der AfD aus nächster Nähe miterlebt. Am Küchentisch, bei Ausflügen, auf dem Sofa. Heute lässt sich nicht mehr sagen, was zuerst eingesetzt hat: Die persönliche, zwischenmenschliche oder die weltanschauliche Entfremdung zu seiner Ex-Frau. Vielleicht verlief beides parallel. „Ich denke aber, dass man in einer funktionierenden Partnerschaft durchaus auch unterschiedlicher politischer Meinung sein kann.“ Es ist abermals einer dieser Sätze, die sowohl Distanz als auch Nähe widerspiegeln, doch kein Verständnis.

 

Das spätere Ehepaar lernt sich sehr jung kennen, mit 16 Jahren, als Frauke, damals Marquardt, kurz nach der Wiedervereinigung mit ihrer Mutter aus Schwarzheide (Niederlausitz) ins nordrhein-westfälische Bergkamen zieht. Es ist zunächst, ab der zehnten Klasse, eine Schulfreundschaft. Knapp zwei Jahre vergehen, bis daraus mehr wird. Frauke Petry studiert Chemie, er Theologie. Gemeinsam gehen beide nach Sachsen, wo sie 1975 in Dresden geboren wurde und Sven Petry Mitte der 2000er-Jahre in Leipzig-Großzschocher sein Vikariat beginnt. Beide wollen Kinder. Politik spielt in jenen Jahren keine dominierende Rolle. Auch nicht, als er 2009 seine erste Pfarrstelle in Tautenhain antritt. Die kleine Familie zieht in das alte Pfarrhaus, drei Katzen machen das Wohlgefühl komplett. Bis irgendwann ein feiner Riss die Idylle befällt. Für Frauke Petry, die als zielstrebig und machtbewusst gilt, gibt es ab diesem Moment kein Zurück mehr. Und für die Familie offenbar kein Halten.

 

Es tauchen die ersten Fragen auf, für die die Bundesregierung keine Antworten gibt, erinnert sich Sven Petry. Das ist der Beginn der AfD: Es wurde immer behauptet, der Euro sei alternativlos – deshalb erschien es verständlich, eine Alternative für Deutschland anzubieten. „Es war auch Alternative für Deutschland und Europa als Name im Gespräch“, erzählt jener Mann, der die Geburt des Volkstribuns aus nächster Nähe miterlebt hat. Doch die anfangs wirtschaftlich geprägte Partei wandelt sich bald, rückt immer weiter nach rechts, wird zusehends radikal. Aus der ersten Führungsriege ist nach einem Machtkampf neben Frauke Petry nur noch Alexander Gauland geblieben – und der nächste Machtkampf innerhalb der Partei tobt bereits. „Die Themen haben sich rasch geändert“, sagt Sven Petry. In jener Zeit, zwischen 2014 und 2015, reißt der Graben in der Familie auf, wird die Politik alltagsbestimmend. Mehr möchte der Pfarrer nicht preisgeben über diese Zeit, die sein Leben und das seiner Kinder auf den Kopf stellt. Mit dem Buch verankert sich der Mann mit den kurzen, längst grauen Haaren, der so verschlossen wirkt und dann wie ein Junge lachen kann, nun auch wieder im öffentlichen Leben.

 

Inzwischen teilen sich die Eltern die Zeit mit den Kindern, die wechselnd bei ihnen leben. Die jeweils zwei Töchter und Söhne sollen zwei Zuhause haben. Und inzwischen ist auch Sven Petry, für den sich seine Gemeindemitglieder nach der Trennung bei der sächsischen Landeskirche engagierten, um ihn in Tautenhain behalten zu können, seit Dezember 2016 wieder verheiratet. Im Sommer 2015 ist der Pfarrer in die CDU eingetreten – ebenfalls ein Zeichen, das er setzen wollte. Die Scheidung, vollzogen im vergangenen Sommer, bezeichnet der 41-Jährige heute als konsequent, als notwendigen Schritt. Zwischen den Zeilen mag auch hier eine gewisse Reinigung hindurch schimmern.

 

Genauso konsequent und stringent argumentiert Sven Petry in seinem sehr klugen Buch, das er in die weite Landschaft des Leipziger Südraums einbettet. „Wenn der kleinste gemeinsame Nenner ganz wesentlich die Unzufriedenheit auf ,die da oben’ ist, ergibt sich daraus noch kein kohärentes Programm“, seziert er die AfD – wie auch andere, rechtspopulistische Parteien in Europa –, ohne diese explizit zu nennen. Deren Kritikern gibt er mit auf den Weg: „Man kann die Nutzbarmachung der Wut beklagen. Man kann sie als verantwortungslose Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts brandmarken. Man kann das Schüren von Wut und Angst verurteilen. Aber davon verschwinden die Wut der Wütenden und der Zorn der Zornigen nicht – denn es ändert nichts an den Ursprüngen von Zorn und Wut. Deshalb würde auch nach einem Verschwinden der AfD diese Stimmung erhalten bleiben.“

 

Sven Petry ist am 25. März (15.30 bis 16 Uhr) zu Gast in der LVZ-Autorenarena auf der Leipziger Buchmesse (Halle 5, Stand C 100). Am gleichen Abend liest und diskutiert er


ab 19 Uhr in der Leipziger Propsteikirche (Nonnenmühlgasse 2).

 

Sven Petry: Fürchtet euch nicht. Warum nur Vertrauen unsere Gesellschaft retten kann, Eichborn Verlag, 128 Seiten, 10 Euro – es erscheint heute

Es ist kein Anti-AfD-Buch. Und ich habe auch nicht mit meiner Ex-Frau abgerechnet.

Deshalb bleibt auch nach Verschwinden der AfD diese Stimmung erhalten.