18. März in Leipzig? Dona Nobis Pacem

Erstveröffentlicht: 
14.03.2017

Michael Freitag: Liebe Juliane, liebe Irena (Ladies first), lieber Jürgen, lieber Alexander, lieber Christian, lieber Andreas und lieber Bernd. Und vor allem: liebe Alle, die Ihr am 18. März friedlich gegen Rassismus, nationale Beschränktheit und Hass auf die Straße gehen werdet, weil Ihr Euch von niemandem im Vorfeld habt Angst machen lassen. Doch beginnen möchte ich mit Euch, Alexander und Christian. Denn wenn das Beste immer am Schluss kommt, muss auch irgendwer den Anfang machen.

 

Am 18. März wollt Ihr mit Eurem doch recht kärglichen NPD-Rechtsaußen-Haufen namens „Die Rechte“ (sind das jetzt mehr als 11 Mitglieder in Sachsen geworden?) und der angeblichen Thüringer „Bürgerbewegung Thügida“ ganz nötig beweisen, dass die „Frontstadt Leipzig“ (so sagt Ihr doch untereinander?) komplett ausflippt und randaliert, nur weil Ihr eine „andere Meinung“ habt und Deutschland so unfassbar dolle liebt. Jedenfalls habe ich bislang noch nichts anderes gehört, das mit Eurer Panik vor Fremden halte ich für ein Gerücht (dazu später mehr).

 

Das ist bis hier ehrlich gestanden angesichts der Probleme unserer Zeit so derart unterkomplex (ja, das neue Modewort für etwas dämlich), dass ich mich mal auf den Boden gelegt hab beim Schreiben. Um auf Augenhöhe zu kommen. Und während ich so liege und schreibe, fällt mir auf, dass es schön, entlastend ist, so einfach zu denken. Ich liebe mein (sic!) Land auch, warum auch nicht? Im Sommer die weiten, gelben Getreidefelder, der dampfende Geruch von überhitztem Teer auf den Landstraßen, das dröhnende Rauschen, wenn ein Wind aufkommt und die Baumwipfel im dicht stehenden Wald schwanken macht.

 

Oder das Geklapper auf den Freisitzen in den Städten, was gerade langsam zurückkehrt, je schwächer der Winter wird und hier! – auch die unglaublich schlauen Krähen, wenn sie gegen Abend in den Auwald umziehen, nachdem sie den ganzen Tag eifrig die Mülleimer der Stadt geplündert und so manche andere „Untat“ vollbracht haben. Und vor allem liebe ich die vielen fröhlichen Menschen, die in meiner (sic!) Stadt Leipzig leben und in nicht geringer Anzahl Tagein Tagaus auch daran mitwirken, dass es ein lebenswerter Ort in diesem meinem (sic!) Land wird und bleibt. Ehrlicherweise mag ich auch die „Miesepeter“ am Morgen in der Bimmel. Wenn sie sich einmummeln, weil es draußen knackig kalt ist und ein langer, dunkler Winter-Arbeitstag ansteht.

 

Wenn ich es dann an meinen guten Tagen schaffe, dass jemand zurücklächelt, habe ich immer ein zärtliches Gefühl, dann weiß ich, dass alle Sorgen und zu tragenden Lasten eines Lebens die Fröhlichkeit niemals endgültig meucheln können.

 

Und dass ich nicht ganz unsympathisch zu sein scheine – das macht mir auch Freude. Denn wir haben noch so unfassbar viel zu schaffen, dass unsere Zeit dafür kaum reichen wird. Da ist jeder Moment der herzlichen Zuwendung, jede menschliche Regung wichtig und wertvoll. Und auch, dass man sich selbst für das, was man tut, leiden mag.

 

Ihr, lieber Christian und lieber Alexander, habt es vielleicht gemerkt – ich bin beim Schreiben wieder aufgestanden und sitze nun aufrecht vor meiner Tastatur. Denn ich verstehe etwas nicht. Wenn es Euch so geht wie mir und Ihr Euer (sic!) Deutschland so liebt, warum könnt Ihr die Menschen nicht einfach so sein lassen, wie sie sind? Und sie ab und an mal anlächeln – ja, auch Fremde, denn das sind sie letztlich ja alle für einen, wenn man den Menschen vorher noch nie gesehen hat.

 

Ist es wirklich wertvolle Zeit, die man schreiend, schimpfend, ja hetzend gegen diese und jene und solche auf der Straße steht und darauf hofft, dass andere Menschen darüber so richtig stinksauer werden? Ist es wirklich so, dass Ihr nicht wisst, was geschieht, wenn man einen Igel anfasst und am 18. März in Leipzig unbedingt versuchen wollt, es herauszubekommen?

 

Ist das wirklich alles? Ich vermute leider ja. Schade um die Zeit, auch Eure, die Ihr lächelnd (hier, nicht grinsend, das ist was anderes) in der Bahn verbringen könntet. 

 

Der Igel


Nun sind ja Menschen keine Igel. Die kleinen Kerlchen können nicht anders, müssen sich einrollen und die spitzen Stachel zeigen um nicht gefressen zu werden. Es hat sie zumindest so lang gut überleben lassen, bis der Mensch die Agrarmaschinen und Autos erfand.

 

Deshalb, liebe Irena, liebe Juliane, lieber Jürgen. Ihr habt schon vor Jahren Verantwortung übernommen, engagiert Euch neben Eurem sonstigen Tagwerk mit vielen, vielen anderen für und bei „Leipzig nimmt Platz“ und das schätze ich sehr an Euch.

 

Denn es ist richtig, sich einzurollen und die Stachel zu zeigen, wenn der Christian und der Alexander nur nach Leipzig reisen wollen, um anderen Menschen zu sagen, dass sie sie nicht leiden können, ja sie vielleicht sogar hassen. Und es ist auch richtig, zu widersprechen, wenn die Beiden versuchen, ihre Ängste vor der Zukunft, ihre mutmaßlich auch persönlich falschen Lebensentscheidungen in eine öffentliche Anklage gegen „die da (oben, links, von draußen)“ umzurubeln.

 

Ich weiß, dass der Christian und der Alexander nicht glücklich sein können, wenn sie so ihre Zeit verbringen. Und frage mich immer, wie die beiden und Ihre Kameraden von der „Brigade Halle“ (Freund scheint mir das falsche Wort, denn wie soll so Freundschaft entstehen?) an solche Tage zurückdenken? Was haben wir wieder schön den Hass über allem ausgegossen, was versucht, mit ein wenig Anstand und Würde durchs Leben zu kommen? 

 

Eingerollt


Ich hab nur auch überlegt, was wir da, eingerollt wie wir dann so sind, machen können. Gut ist schon mal, dass man in so einem eingerollten Zustand (ich probier es gerade aus) nicht in der Lage ist, jemandem ins Gesicht zu hüpfen. Es geht nicht, auch nicht beim vierten und fünften Versuch. Und man ist ganz bei und nicht außer sich. So ein „sich-auf-die-Straße-setzen“ ist ein bisschen wie sich einzurollen, passiv aber kraftvoll, klar aber nicht angriffslustig, ruhig und nicht aggressiv. Das geht natürlich auch stehend, auch am Rand, aber das hätte jetzt nicht zum Igel gepasst.

 

Und ich habe überlegt, was Ihr und die vielen friedlichen Demonstranten eigentlich dafür könnt, was da am 12. Dezember 2015 passierte und was nun irgendwie ganz viele, darunter auch der Bernd und der Andreas von der Polizei, auch für den 18. März vermuten. Ihr wisst ja, ich meine diese steinewerfenden und barrikadenanzündenden Ausflipper (also nicht bei sich, nicht eingerollt), die uns besucht haben, als der Alexander das erste Mal versuchte, uns etwas (ja, immer bisschen zu laut und leicht missverständlich) über seine eigenen Probleme zu erzählen.

 

Ich seh ihn ja eigentlich immer in dieser merkwürdigen Unterhosen-Pose auf dem einen Bild von seinem von der Antifa geklauten Handy vor mir. Kein angenehmes, inneres Bild, aber zum Schmunzeln ist es doch.

 

Aber ich schweife ab. Ihr wisst ja auch wie ich, was man seit dem 12. Dezember 2015 über „die Linken in Connewitz“ in der Alltagspresse schon so alles verzapft hat, als der übergroße Haufen aus Berlin, Hamburg und wasweißichwoher schon längst wieder Mamas Kühlschrank (oder den der Freundin, egal) ganz autonom am Leerfressen waren. Apropos fressen: Habt Ihr schon gehört, dass es jetzt jeden zweiten Mittwoch am Connewitzer Kreuz linksextreme Kinderschlachtungen unter Absingen der Internationale geben soll? Stand neulich in „der Presse“! (wo genau, hab ich vergessen, aber ich trau mich kaum noch ans Kreuz seither).

 

Und ich habe überlegt, was Ihr und die vielen friedlichen Demonstranten eigentlich dafür könnt, was da am 12. Dezember 2015 passierte und was nun irgendwie ganz viele, darunter auch der Bernd und der Andreas von der Polizei, auch für den 18. März vermuten. Ihr wisst ja, ich meine diese steinewerfenden und barrikadenanzündenden Ausflipper (also nicht bei sich, nicht eingerollt), die uns besucht haben, als der Alexander das erste Mal versuchte, uns etwas (ja, immer bisschen zu laut und leicht missverständlich) über seine eigenen Probleme zu erzählen.

 

Ich seh ihn ja eigentlich immer in dieser merkwürdigen Unterhosen-Pose auf dem einen Bild von seinem von der Antifa geklauten Handy vor mir. Kein angenehmes, inneres Bild, aber zum Schmunzeln ist es doch.

 

Aber ich schweife ab. Ihr wisst ja auch wie ich, was man seit dem 12. Dezember 2015 über „die Linken in Connewitz“ in der Alltagspresse schon so alles verzapft hat, als der übergroße Haufen aus Berlin, Hamburg und wasweißichwoher schon längst wieder Mamas Kühlschrank (oder den der Freundin, egal) ganz autonom am Leerfressen waren. Apropos fressen: Habt Ihr schon gehört, dass es jetzt jeden zweiten Mittwoch am Connewitzer Kreuz linksextreme Kinderschlachtungen unter Absingen der Internationale geben soll? Stand neulich in „der Presse“! (wo genau, hab ich vergessen, aber ich trau mich kaum noch ans Kreuz seither).

 

Aber ich verzettele mich. Ich weiß jedenfalls, dass Ihr und die Euren am 18. März friedlich sein werdet, weil Ihr das immer wart. Bei Jürgen hat das sogar schon ein Gericht festgestellt, ich mache mir da tatsächlich keinerlei Sorgen.

 

Die hab ich eher, wenn ich an diese Krawalltouristen denke, deren Motivation ich in all den Jahren nie so ganz verstanden hab. „Macht kaputt, was Euch kaputtmacht?“ Warum randalieren die nicht an den Bürotüren der Rüstungslobby? Oder klauen meinetwegen wieder dem Alexander noch mal das Handy? Nein, natürlich nicht. Aber lustig wars schon, was da so alles rauskam – auch über Alexanders Kamerad bei der Polizei und den Maik und Porky – gebe ich zu. 

 

Was mich doch noch zur Leipziger Polizei bringt


Denn was der Andreas vor dem 18. März sogar für Lesefaule in einem Video sagte, klang ein wenig nach „Rückspiel“ mit Gesetzbuch und Schlagstock in der Hand. Mir wären ja ein paar Ermittlungserfolge und Anklagen zum 15. Dezember aber und auch und überhaupt zum Überfall dieser … (nein, ich bleibe höflich) am 11. Januar 2016 in Connewitz lieber gewesen.

 

Das schafft dieses, na, wie hieß es noch gleich? Richtig: Vertrauen in die Polizei, die Gerichte, verkürzt, den Rechtsstaat.

 

Hand aufs Herz. 40, 50 Hundertschaften am 18. März? Der „größte Einsatz nach 1989“ – ernsthaft? Doch bestimmt nicht wegen der Igel oder? Andreas – sei ehrlich! Ihr wollt einfach einen frühen Feierabend (den ich Euch sehr gönne) und dann alle gemeinsam ab in die Arena, zum Hauptboxkampf des Abends zwischen Robert Stieglitz und Dominic Bösel (Start ca. 22 Uhr).

 

Und weil der Andreas nichts sagt, was nicht auch der Bernd so meint, möchte ich auch Euch beide neben der Verstärkung der Bemühungen in der Ermittlungsarbeit auch zur „2. Leipziger Kristallnacht“ auf der Wolfgang-Heinze-Straße um noch etwas bitten.

 

Könnt Ihr Euch darum kümmern, dass der Kollege von Euch – der, der lange vor den Ausschreitungen am 12. Dezember vor einer laufenden Kamera (in die er kurz, aber deutlich hineinblinzelt) eine Gasgranate auf eine bis dato friedliche Gruppe am Amtsgericht Leipzig abschoss – doch noch zur Rechenschaft gezogen wird? Ihr habt ja mitteilen lassen, Ihr konntet ihn nicht finden? Wenn ich Euch beim Videosuchen helfen kann, meldet Euch einfach.

 

Einfacher wäre es natürlich, wenn Ihr Euch im Interesse der vielen ehrlich und hart arbeitenden Beamten für eine Kennzeichnungspflicht für Einsatzpolizisten stark machen würdet. Dann findet man die schwarzen Schafe nämlich viel leichter und abermals stiege das Vertrauen in die Polizei.

 

Dass mit der Ermittlung müsst Ihr nun, wo Ihr den Kollegen im Video sicher erkannt habt und wisst, welche Einheit um die Zeit am Amtsgericht war, aber wieder selber machen. Ich bin zu alt, um trotz des aus Personalmangel angehobenen Aufnahmealters noch in Eure Truppe zu wechseln. Außerdem schreibe ich, wie meine Kollegen, gern – den einen zu wenig, den anderen zu viel. 

 

Schlussgedanken


Und in dieser Rolle in dieser kleinen Geschichte um Igel und Gewalt habe ich einfach von vielen – also sozusagen einem „Querschnitt der Gesellschaft“ – gehört, dass sie nicht verstehen können, wieso so manche Täter unter Euren Kollegen einfach machen, was sie eben so machen und weiter Eure Kollegen bleiben dürfen? Und wisst Ihr auch, warum das so viele so sehen? Weil sie Euch das Gewaltmonopol zur sorgsamen Nutzung nur geliehen haben.

 

Aber da ich auch Euch beide –wisst Ihr ja, denke ich – leiden kann, machen wir hier ein Ende und einen Punkt. Und hoffen, dass es alles friedlich bleibt. Eins noch, ein jeder Text braucht einen Schlussgedanken: Leipzig und „Keine Gewalt“ und so finde ich unter vielen Traditionen meiner (sic!) Stadt noch immer die schönste. Vielleicht singen wir auch einfach mal wieder alle zusammen „Dona Nobis Pacem“? Während dabei die Herausforderung ja eher in der sauberen Intonierung besteht, bin ich ganz sicher, dass Juliane, Irena, Jürgen und wir drei den Text können.

 

Etwas, wo ich mir bei Alexander und Christian ganz und gar nicht sicher bin.

 

Man sieht sich am 18. März. Auf der Straße.


Nachtrag: Alle im Text genutzten L-IZ – Verlinkungen sind nun frei verfügbar, also „freecontent“ und für jeden lesbar. Nicht dass noch jemand sagt, er hätte nichts gewusst …