Burschenschaften: Die Bundesbrüder

Erstveröffentlicht: 
09.03.2017

Burschenschaften wie die Berliner Gothia bilden das akademische Rückgrat der Neuen Rechten. Warum sie Zulauf haben

 

Die Kaderschmiede der rechten Konterrevolution hätte man sich mondäner vorgestellt. Berlin-Zehlendorf, Königsstraße 3, bürgerlichstes Westdeutschland. Altbauten mit Stuck, ein paar angeschlagene Betonbauten. Auch drinnen, in der "Gotenhaus" genannten Gründerzeitvilla der "Berliner Burschenschaft Gothia, gegründet 1877", ist die Zeit stehen geblieben. Der Barraum sieht aus wie ein etwas lustlos eingerichteter Partykeller. Auf der Theke ein Ritterhelm, um den eine orange-weiß-schwarze Federboa gewurstelt wurde. An der Wand ein Bild vom Alten Fritz. Auf einer Plakette der Spruch: "Vergiss nie deine Heimat, wo deine Wiege stand, denn in der Ferne findest du kein zweites Heimatland".

 

In der breiten Öffentlichkeit galten Burschenschaften bis vor einigen Jahren als ultrakonservative Vereinigungen, ohne politische Strahlkraft. Ein Sammelbecken für junge Männer, die auf Befehl ihr Bier austrinken. Seit einiger Zeit aber entwickeln sich die Verbindungen zum akademischen Rückgrat der Neuen Rechten und der AfD. Wer wissen will, was der Aufschwung der Rechten quer durch Europa und die Welt mit den Burschenschaften anstellt, ist hier richtig, bei der Gothia.

 

Am dunklen Holztisch unter dem Alten Fritz sitzen beim Bier: Martin mit dem knuddeligen, jungenhaften Gesicht, dessen iPhone-Hülle Caspar David Friedrichs Der Wanderer über dem Nebelmeer ziert und der seinen Nachnamen lieber nicht nennen mag. Er ist 19 Jahre alt und "Fux" in der Gothia, also Burschenschafter auf Probe. Joel Bußmann, 23, Jurastudent mit sehr akkuratem Scheitel, Leiter der aktiven Burschenschafter der Gothia. Und Jörg Sobolewski, 27, der ebenfalls Jura studiert. Kürzlich ist er aus dem Gotenhaus ausgezogen, aber die pflichtschlagende Burschenschaft bleibt eine Art Zuhause für ihn: Sobolewski ist weiterhin aktives Mitglied und Anführer der kleinen Truppe. Die drei sind nicht nur Bundesbrüder, sondern auch Mitglieder der Jungen Alternative und der AfD. Bußmann und Sobolewski haben im vergangenen Jahr für das Berliner Abgeordnetenhaus kandidiert, allerdings erfolglos.

 

Lange Jahre warben Burschenschaften mit einer gewissen Verzweiflung und dem Hinweis auf günstige Miete und schnelles WLAN um junge Studenten, um wenigstens ihre Zimmer zu füllen. Trotzdem wurden die einst stolzen Häuser immer leerer. Die Burschenschaften verkamen zu einer Organisation ohne Ziel. Jetzt erfüllt die Villen ein neuer Geist. "Früher war maximal ein Fux auf dem Haus", erklärt Martin. "Jetzt sind wir zu fünft." Gothia-Leiter Bußmann sagt, man habe im letzten Semester das erste Mal seit Langem Bewerber wegschicken müssen. Die Geschichte einer Auferstehung. "Hätten die Burschenschaften in den Neunzigern nicht so massiv an Bedeutung verloren und wären gezwungen gewesen, sich als akademische Opposition zum Zeitgeist neu zu erfinden", sagt Sobolewski, "wären wir heute nicht mehr als ein besserer Trachtenverein." Er macht eine wegwerfende Geste. Bloße Traditionspflege ist keine Option. Sobolewski will mit den Burschenschaften Politik machen: patriotische, deutsche Politik, die die Mehrheitsgesellschaft verschreckt. Den Ruf, stramm rechts zu sein, nimmt er dafür gerne in Kauf.

 

Der Gothia eilt ohnehin ein gewisser Ruf voraus. Hier im Haus gingen einst NSDAP-Funktionäre ein und aus. Der vom Verfassungsschutz beobachtete NS-Aktivist und Sänger der antisemitischen Nazirockband Hassgesang, Maik Bunzel, war Mitglied der Gothia. Und auch der NPD-Anwalt Horst Mahler war als Referent geladen. Und die Gothia gehört dem nationalkonservativen Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) an. Einst der Dachverband aller deutschen und österreichischen Burschenschaften, geriet die DB in den Neunzigern unter den Einfluss rechter Verbindungen vor allem aus Österreich. Es kam zu zwei Abspaltungen: der Gründung der liberalen NeuenDB Ende der Neunziger und der Neugründung der konservativen Allgemeinen Deutschen Burschenschaft (ADB) im vergangenen Jahr. Der Richtungsstreit entzündete sich vordergründig an formalen Dingen – ob Burschenschafter deutsche Vorfahren haben müssen, ob sie fechten müssen, ob die Österreicher dazugehören. Eigentlich geht es nur um eine Frage: Wo ist rechts die Grenze?

 

Sobolewski aber sagt: "Als Burschenschafter können wir niemanden ausschließen. Wir müssen erst einmal mit jedem reden." Eine schwammige Formulierung, die meint: Für Burschenschaften wie die Gothia gibt es keine klare Grenze nach rechts.

 

"Die Burschenschaften waren in ihrer Gründungszeit revolutionär", sagt Sobolewski. "Dieses revolutionäre Moment ist ähnlich wie bei den Grünen mit der Zeit aber verloren gegangen, weil man merkte: Man kann auch anders in die Gesellschaft hineinwirken. Spätestens seit 1900 waren die Burschenschaften eine Stütze der Gesellschaft, in den Achtzigern wurde ja sogar Helmut Kohl eingeladen. Spießiger und staatstragender kann man gar nicht werden." Genau das aber wollen die rechten Burschenschaften nicht: staatstragend sein, niemanden stören, wichtige Hände schütteln – irgendwie aber auch egal sein.

 

Jörg Sobolewski ist eine imposante Erscheinung. Groß, kahlköpfig, ein Mann, der gewohnt ist, dass man ihm zuhört, wenn er spricht. Ein Kind der Globalisierung zudem. Geboren in Leverkusen, wo sein Vater die örtlichen Grünen gründete, aufgewachsen in der Schweiz. Dann Bundeswehr, Station auf einer Farm in Südafrika, ehemaliges SPD-Mitglied. Er spricht Spanisch, Französisch und Afrikaans. Doch so bürgerlich, wie Sobolewski sich gibt, ist er nicht: Am 20. Januar 2016 sprach er bei einer fremdenfeindlichen Demonstration in Lübben und bezeichnete die Übergriffe der Kölner Silvesternacht als "deutliches Zeichen der Landnahme fremder, junger Männer". Wie viele AfD-Politiker lotete Sobolewski politische Gemeinsamkeiten mit einem von Russland unterstützten, Putin-nahen Thinktank namens Zentrum für Kontinentale Zusammenarbeit aus.

 

Sobolewski ist ein widersprüchlicher Typ. Er wäre gern ein rechter, vom linken Mainstream gefürchteter Revolutionär im Gotenhaus. Er hat aber auch für das Berliner Abgeordnetenhaus kandidiert, stellt sich selbst als "Politiker" vor. Er spricht klug und gewandt mit der Presse, weiß aber auch, wie Journalisten zu provozieren sind. Das Verhältnis des deutschen Staats zum Islam kommentiert er so: "Wenn ich das mal böse formulieren darf, würde ich sagen: Der Islam muss erst domestiziert und dann herausgezüchtet werden." 

 

"Niemand kann so gut organisieren wie Burschenschafter"


Es ist diese Rhetorik, die die Neue Rechte aufpeitscht. Aber die Burschenschafter, wie man sie im Gotenhaus trifft, sind keine Nazis. Keine plumpen Faschisten, die das "Dritte Reich" glorifizieren, und keine Jungs mit Baseballschlägern und Springerstiefeln. Sie bilden vielmehr eine eigentümliche Allianz aus sentimentalen Jungkonservativen, Berufsoppositionellen und Konvertiten aus dem grün-bürgerlichen Milieu. Es sind junge Männer auf der Suche nach Zusammenhalt und Zugehörigkeit, die in der alten Idee von Nation und Volk die beste Antwort auf die neuen Herausforderungen der Postmoderne zu finden glauben. Ihr Posterboy ist nicht Adolf Hitler – sondern es sind die Helden der Konservativen Revolution: Stefan George, Carl Schmitt.

 

Jetzt bekennen die Jungs Farbe, beim zweiten Bier. Wo stehen sie, politisch? "Rechtspopulistisch sind wir sicher nicht", meint Sobolewski. "Wir legen keinen Wert darauf, was die Mehrheit der Gesellschaft denkt. Konservativ sind wir auch nicht, denn das ist langweilig. Reaktionär aber auch nicht, weil Burschenschaften immer revolutionär waren." Was denn nun? "Ich verstehe mich als freiheitlich-national", sagt Martin. "Revolutionäre Rechte", bietet Sobolewski an.

 

Der Mann, von dem man sagt, er könne die Identitätsfrage der rechten Burschenschaften besser diskutieren als alle anderen, heißt Philip Stein. Stein, 25, hat Geschichtswissenschaft, Philosophie und Germanistik in Marburg studiert, war dort auch Burschenschafter, lebt aber seit Kurzem in Dresden und vertreibt Übersetzungen neurechter französischer Autoren. Pierre Drieu la Rochelle, Dominique Venner. Außerdem ist Stein der Pressesprecher der Deutschen Burschenschaft. Auch er hadert am Telefon, befragt nach seiner politischen Richtung. Dann sagt er: "Wenn der Begriff nicht so vorbelastet wäre und man nicht sofort an Skinheads denken würde, könnte man sagen: rechtsradikal. Denn faktisch sind das ja radikale rechte Positionen, die wir einnehmen."

 

Stein versteht sich als glühender Europäer, aber er bewegt sich als Leiter der Organisation "Ein Prozent" tief im rechtsradikalen Milieu. Ein Prozent ist ein Agitationsverein, der rechtsradikale Strukturen jenseits der Naziszene verknüpfen will. Gegründet und betrieben wird er von dem selbst ernannten Vordenker der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, und dem früher linksradikalen Journalisten Jürgen Elsässer, der heute das Magazin Compact betreibt. Ein Prozent ist der Ort, an dem die neuen Rechtsradikalen zusammenkommen: der oft sehr aufgebracht agitierende Elsässer, der sich eher intellektuell gebende Kubitschek – und rechte Burschenschaften wie die von Philip Stein und Jörg Sobolewski mit ihren Verbindungen zur AfD.

Dass die Burschenschaften die Rolle einer Nachwuchsakademie einnehmen, erklärt Philip Stein freimütig. Oder wie Jörg Sobolewski es formuliert: "Niemand kann so gut organisieren wie Burschenschafter. Parteitage, Bildungsseminare, Mehrheiten – geben Sie uns einen Tag Zeit, und das ist gemacht." So ein Satz belächelt sich leicht, hier im Partyraum der Gothia, mit dem ollen Fechtboden und den Weltkriegswimpeln. Doch Orte wie das Gotenhaus haben sich längst als Kaderschmieden neu erfunden, für gebildete, wortgewandte, organisationsmächtige und gleichzeitig radikal rechte Politiker. Sie sind wichtige Knotenpunkte im gerade entstehenden rechtsradikalen Netzwerk zwischen AfD und Identitärer Bewegung.

 

Sobolewski muss jetzt los, eilig werden im Hausflur noch die wichtigen Dinge besprochen: Ordnung, Homogenität, alte Werte, Kleinstaaterei in einem unbürokratischen Europa. Ist das nicht retromelancholische Fiktion? Sobolewski stutzt. "Aber ich bin Romantiker!", ruft er und zuckt entschuldigend mit den Achseln. Beim Abschied empfiehlt er noch die Dönerbude am S-Bahnhof Zehlendorf. Aus dem Radio im Barraum scheppert in diesem Moment lateinamerikanischer Dancepop: "Yo soy Americano."