Der Streit ums Westwerk scheint ein klassischer Gentrifizierungsfall – aber so einfach ist es nicht
Die Initiative »Westwerk retten« hat am Donnerstag angekündigt, an einem tragfähigen Nutzungskonzept für einen Teil des Westwerks zu arbeiten. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir an dieser Stelle den Text aus der März-Ausgabe zu den Veränderungen und Protesten um das Gelände (Stand: Mitte Februar 2017).
»Der Aufstand wird vorbereitet.« Ja, so ging sie los, die Geschichte um das Westwerk: Böse Vermieter, arme Künstler und Kultur, die dem Kommerz geopfert wird. Am Ende standen 1.000 Leute vorm Westwerk an der Karl-Heine-Straße, bunt kostümiert, Revoluzzer mit Bommelmützen, hielten lustige Schilder hoch und tanzten zu Techno. Sie alle waren gekommen, um das Westwerk zu retten, und der Witz an der Sache war, dass im Grunde fast keiner der Westwerk-Mieter dabei war, bei der Demo oder überhaupt beim Protest, der ja nun ihre Arbeitsstätte und ihre Existenzen retten sollte. Was war da nur passiert?
Der Satz mit dem Aufstand leitete ein Flugblatt ein, dessen Inhalte sowohl digital als auch an Pfähle und Häuserwände geklebt unter die Leute gebracht wurden. Von wem es eigentlich kam, weiß man nicht, die Urheber blieben anonym. Auf jeden Fall hieß die Forderung »Westwerk retten« – und zwar vor einem »nicht ortsansässigen Eigentümer«, der »nun wohl die Möglichkeit wittert, das große Geld zu machen«. Fortan tauchten bei den Mieterversammlungen im Westwerk Aktivisten auf, die kaum jemand kannte, die ein Mieter als »lautstarke Horde« bezeichnet, die zumindest in einem Fall eine Mieterin aus dem Raum vertrieben.
»Situation ist nicht so dramatisch«
»Die Art und Weise des Protests ist unangebracht«, meint eine andere Mieterin, die namentlich nicht genannt werden will. »Da hängen sich Leute rein, die nichts damit zu tun haben.« Kay Schwarz, Maler und auch Mieter, findet die Proteste nur teilweise berechtigt. »Die Situation ist nicht so dramatisch, wie getan wird. Dass das Westpol draußen ist, ist schade, aber man muss es in den Jahren auch mal hinkriegen, Miete zu zahlen.« Brillendesigner Enzo Forciniti meint, es wäre wichtig, darauf aufmerksam zu machen, was passiert, wenn die Mieten steigen. »Außerdem müssen die Mieten auch dem teilweise schlechten Zustand der Räume angemessen sein, die ohne das Engagement der Mieter oft nicht nutzbar wären.
Fürs Westpol war es super, dass sie die Räume so lange mietfrei nutzen konnten. Ich würde da einfach Danke sagen.« Wieder ein anderer Mieter, auch er möchte namenlos bleiben, sieht durchaus »Ablenkungsmanöver und Fehler bei der Verwaltung. Die Mieterrunde hatte ursprünglich die Absicht, gemeinsam das Gespräch mit der Verwaltung zu suchen. Doch die Truppe, die dann von außen die Treffen geentert hat, schadet.« Im Grunde äußern sich alle vom kreuzer befragten Mieter ähnlich, sie scheinen hin- und hergerissen zwischen einem Protest, den sie nicht voll mittragen können, teilweise sogar als schädlich empfinden, und dem Druck, der von den Plänen der Verwaltung ausgeht. Wem kann man trauen, wer ist eigentlich auf ihrer Seite? Es ist »vermintes Gelände«, sagt einer. Die Aktivisten haben das Problem der fehlenden Einbeziehung der Mieter inzwischen offenbar erkannt und eine Woche nach der Demo eine »AG Statistik und Mieterinnenmeinung« gegründet, die nun erstmals Westwerk-Mieter nach deren Meinung fragt.
Ursprung des Ärgers sind vier Änderungen beziehungsweise Änderungspläne, mit denen das Westwerk weiterentwickelt werden soll, wie Peter Sterzing, Geschäftsführer der Westwerk GmbH und Verwalter des Geländes, das dem bayrischen Unternehmer Christian Voigt gehört, das nennt. Erstens: Die Renovierung der zweiten Etage des sogenannten »Pferdestalls« im Zentrum des Fabrikgebäudes. Zweitens: Eine alle Mieter, die vor 2016 eingezogen waren, betreffende Umstrukturierung der Nebenkostenabrechnungen und eine Angleichung der Betriebskosten, die für fast alle eine Erhöhung des Gesamtmietbetrages bedeuteten. Drittens: Die Kündigung der Räume des Computervereins Sublab, der über einen speziellen Mietvertrag, abgeschlossen mit Sterzings Vorgänger, verfügte – und viertens Pläne für den Einzug eines Supermarktes, den Bau eines Parkhauses und die Vermietung von Räumen an ein Billard-Center.
Kündigung fürs Westpol
Besondere Aufmerksamkeit erregte der Fall der Galerie Westpol, die eine Kündigung erhalten hatte und an der hauptsächlich die Story »Kommerz frisst Kunst« festgemacht wurde. Westpol beackerte eine etwa 500 Quadratmeter große Halle mit kleinem Büro und quasi ohne Heizung, ganzjährig kalt. Dort bauten die Macherinnen um Sebastian Denda Trockenbauwände auf, um Ausstellungsfläche zu haben, später kamen ein Podest und eine Bar dazu. Mehr als vier Jahre lang zahlte Westpol keine Miete und auch Nebenkosten, Strom und Wasser nur sporadisch. »Das gehörte zum Deal«, sagt Verwalter Sterzing: Ihr bespielt den Raum, zahlt erst mal keine Miete und wir gucken, wie sich das entwickelt. Anfang 2016 wurde ein Vertrag gemacht – mit einem eher symbolischen Euro Miete pro Monat, und erst im Dezember 2016, etwa fünf Jahre nach Aufnahme des Betriebs in der Galerie Westpol, gab sie sich eine juristische Form, nämlich die des Vereins. Erst mit dem Verein war es überhaupt möglich, Fördergelder einzuwerben.
Doch da war es schon zu spät. Sterzing und die Westwerk-Verwaltung hatten entschieden, die 2. Etage des Gebäudeteils zu sanieren, das sei »dringend notwendig«, sagt er. Westpol und den anderen Mietern der Etage wurde im Herbst 2016 gekündigt, wegen der Sanierung, bei der die Räume leer sein müssen. Sterzing bot Ausweichflächen an. Ein Angebot, das eine Mieterin annahm, Westpol lehnte ab, unter anderem, weil die angebotenen Flächen zum Teil schon genutzt wurden und man keine anderen Mieter verdrängen wollte. Stattdessen sprach man darüber, die Fläche nach der Sanierung wieder zu nutzen, nun allerdings für etwa 5 Euro Miete pro Quadratmeter. Das Westpol hätte also bleiben können – parallel gab es aber auch die Info, dass Sterzing über die Nutzung der sanierten Räume als Billard-Center verhandelte. Ein paar Wochen später erfuhr Sterzing bei Facebook, so sagt er, dass Westpol nun ausziehen müsse, und noch ein paar Wochen später eskalierte die Situation mit der Lancierung des Flugblattes über den »nicht ortsansässigen Eigentümer«, dessen Inhalte es sogar überregional in die Medien schafften.
Ehemaliger Betrieb für Industriearmaturen und Apparatebau
Christian Voigt, der Eigentümer, lebt in Bayern, Geld scheint im Hause Voigt nicht das größte Problem zu sein, Genaues weiß man nicht. Fakt ist aber, dass Voigt das Gelände nicht als klassischer Durchsanierer erworben hat, sondern es im Zuge des Ausgleichs für Enteignungen aus DDR-Zeiten erhielt – besser gesagt: sein Vater, Eberhardt Voigt. Der betrieb bis in die siebziger Jahre in Leipzig eine Fabrik, hauptsächlich Armaturenfertigung, die in eins der großen Kombinate eingegliedert, also enteignet wurde. Voigt senior ging in den Westen und baute sein Geschäft dort wieder auf. Nach der Wende hätte er Anspruch auf Ausgleichszahlungen gehabt, stattdessen bekam er infolge eines Deals einen ähnlichen Betrieb, nämlich den VEB Industriearmaturen und Apparatebau Leipzig – das heutige Westwerk. Bis 1996 versuchte er den Neustart mit der Industriearmaturen Leipzig GmbH, dann ging er pleite.
Das Gelände stand nun leer, nur eine Schweißerwerkstatt wurde noch genutzt. Weiter ging es erst zehn Jahre später – und da spielte ein gewisser Falk Röhner die entscheidende Rolle, heute Betreiber der Alten Handelsschule in der Gießerstraße. Röhner wollte aus dem Westwerk einen Kunst-Offspace machen, das hatte er sich so in den Kopf gesetzt. Galerien sollte es geben und Ateliers, so ähnlich wie auf dem Gelände der Baumwollspinnerei. Zusammen mit Voigt junior gründete er 2007 eine Firma, um das Areal zu bewirtschaften. Auch der heutige Verwalter Peter Sterzing war damals schon dabei, er war Röhners Anwalt. Sterzing erzählt vom Ende des Experiments: Das kam 2009, als die Verwaltungs-Firma kurz vor der Pleite stand, damals gab es etwa 40 Mieter. Es habe nicht viel gefehlt und sie hätten den Laden dichtmachen müssen, also kein Offspace mehr.
Voigt habe dann die Reißleine gezogen und Sterzing als Verwalter eingesetzt, Röhner widmete sich einem neuen Projekt. In der Folge stieg die Mieterzahl auf über 100. Sterzing sagt, sein Auftrag sei, »das Gelände lebendig und aufrechtzuerhalten und nutzbar zu machen für die Leute in der Nachbarschaft. Aber nicht, um hier eine Insel der Glückseligen aufzubauen, wo die mit 60 noch ihre Partys feiern können.« Und bekennt ganz klar, dass es hier auch ums Geldverdienen geht, »natürlich müssen wir wirtschaftlich arbeiten. Aber wenn Voigt wirklich Geld machen will, dann verkauft er das Gelände einfach.« Einen zweistelligen Millionenbetrag soll es wert sein, man munkelt von einem Interesse der CG-Gruppe – ein Gerücht, das von Sterzing stammt und durchaus Wirkung entfaltet. So äußert eine Mieterin gegenüber dem kreuzer die Befürchtung, »dass der Eigentümer verkauft, dann wirklich eine Heuschrecke kommt und alles schlimmer wird«.
Wie partizipieren?
»Partizipative Stadtentwicklung« lautete eine der ganz wenigen klar identifizierbaren Forderungen während der Westwerk-Demo Anfang Februar – doch wie soll die gelingen bei einem Gelände, das sich in Privatbesitz befindet? Voigt noch mal enteignen? Die Ein-Euro-Höchstmiete, verfügt vom Rat der Stadt?
Bleibt also nur der Ruf nach mehr Staatskohle für Künstler und solche, die sich dafür halten – und tatsächlich war genau dies die zweite, schon schwerer zu erkennende Forderung.
Eins ist klar: Das Westwerk ist ein Symbol. Es ist prägend für seinen Stadtteil, ähnlich wie eine Kirche oder ein großer Platz. Und es beschleunigt den Urbanisierungsprozess, wirkt wie ein Katalysator. Der Unterschied zu einem öffentlichen Platz ist aber: Dieses Objekt ist in privater Hand und kein öffentlicher Raum. Darin liegt der Widerspruch begründet, der die Leute auf die Straße treibt, der den Protest aber auch schwierig macht. Das nun könnte man ändern oder ändern wollen.
So würden richtige Linke das machen: Besetzen und enteignen, irgendwie vergesellschaften, die Bude, ist doch klar. Dazu braucht es aber Einigkeit, Entschlossenheit – keine Bommelmützen und auch keine Staatskohle. Und man muss sich mit der Frage auseinandersetzen: Will ich kriminell werden, um für meine Freiräume zu kämpfen? Und was mache ich, wenn es reinregnet? Es gibt Modelle, auch diese Probleme zu lösen – sogar ohne kriminell zu werden: Genossenschaften, Pachtmodelle und so weiter. Vielleicht ist das Westwerk nicht der richtige Ort dafür und bestimmt ist es hart heutzutage, so einen Platz zu finden. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Das wäre auf jeden Fall sinnvoller, als anonym im Internet irgendwelche Flugblätter zu posten.
Geschenkt wird es diese Freiräume in Zukunft nicht mehr geben, das war lange absehbar. Verantwortlich für die Entwicklung sind nicht Voigt oder Sterzing, sondern viel eher die politischen Entscheider, die seit den neunziger Jahren dafür gesorgt haben, dass nun der Druck so schnell steigt – man denke nur an den bis in die 2000er Jahre betriebenen »Rückbau«, die politisch gewollte Vernichtung von Wohnraum oder die vertanen Chancen des Areals am Brühl.
Mehr Mieteranfragen seit dem Protest
Die Demo vorm Westwerk hat Sterzing sich angeguckt, er stand unten am Torpfosten, als sie vorbeizog. An seinen Modernisierungs-Plänen ändert sie nichts, er sieht sich von Notwendigkeiten getrieben. Sterzing sitzt jetzt wieder in seinem Büro, wartet, dass mal einer mit ihm redet statt nur über ihn, und überlegt, wie er das alles von vornherein besser hätte kommunizieren können.
Die Demonstranten draußen sind zufrieden, auch wenn sie gar nichts erreicht haben – aber am Ende ist ja auch wenig einzuwenden gegen einen schönen Nachmittag bei Tanz und Liebe, selbst im kalten Februar. Man braucht nicht viel davon, um glücklich zu sein. Das Problem an der ganzen Sache ist nur, dass ja nun wieder die Gentrifizierung angetrieben wurde: Seit das Westwerk nämlich überall in der Zeitung steht, wegen der Proteste und der Demo – so erzählt es Verwalter Sterzing –, kann er sich vor neuen Mieteranfragen kaum noch retten.
Dieser Text erschien in der März-Ausgabe des kreuzer.
ANDREAS RAABE, MITARBEIT: JULIANE STREICH, ROBERT METSCHIES