Die AfD setzt auf Methoden der NS-Zeit und der DDR

Erstveröffentlicht: 
09.03.2017

Von Matthias Kamann Die Partei will kriminelle Migranten mit deutschem Pass ausbürgern und notfalls staatenlos machen. Sozialpolitisch rückt die AfD nach links. Zudem erfindet sie ein neues Wort: „Minuszuwanderung“.

 

Von der AfD sind im Bundestagswahlkampf keine neuen dramatischen Forderungen zu erwarten. Zwar gibt es zwei gewichtige Ausnahmen. Doch abgesehen von denen, wird die Partei bis September weitgehend das fordern, was sie schon vor einen Jahr in ihrem Grundsatzprogramm verankerte. Oder eben auch nicht verankerte.

Dies ergibt sich aus dem Wahlprogramm-Entwurf, der in Berlin von den beiden Parteichefs Jörg Meuthen und Frauke Petry sowie Vorstandsmitglied Albrecht Glaser als Vorsitzendem der Bundesprogrammkommission vorgestellt wurde. Er soll zum Leitantrag für den Parteitag Ende April werden.

Jene Ausnahmen haben es allerdings in sich. Zum einen will die AfD die Zuwanderung nicht etwa begrenzen oder stoppen, sondern gewissermaßen umkehren. „Über mehrere Jahre“ nämlich benötige Deutschland „eine Minuszuwanderung von mindestens 200.000 Personen“, heißt es in dem Programm. Pro Jahr also sollen 200.000 Menschen mehr gehen oder abgeschoben werden als kommen.

Erreichen will die Partei diese völlige Abkehr von der deutschen Zuwanderungspolitik mindestens des letzten Jahrzehnts durch umfängliche Abschiebungen, eine Grundgesetzänderung beim Asylrecht sowie abschreckende Maßnahmen. Zu diesen gehört, dass bei Asylsuchenden „Sozial- und Gesundheitsleistungen auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken“ seien.

Grundgesetzänderung, um Kriminelle auszubürgern

Die zweite Ausnahme von der Übernahme bisheriger AfD-Positionen besteht in der Forderung, dass in Deutschland erstmals seit der nationalsozialistischen Diktatur und der DDR die Möglichkeit geschaffen werden soll, Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit auch dann zu entziehen, wenn sie dadurch staatenlos würden.

Es müsse, so heißt es in dem Entwurf, „die Ausbürgerung krimineller Migranten möglich werden: Erstens bei erheblicher Kriminalität innerhalb von zehn Jahren nach erfolgter Einbürgerung; zweitens bei Migranten in Terrororganisationen (zum Beispiel IS); drittens bei Zugehörigkeit zu kriminellen Clans, und zwar auch dann, wenn die Ausgebürgerten dadurch staatenlos werden“. Hierfür sei das Grundgesetz „entsprechend zu ändern“.

Wie Petry auf Nachfrage betonte, soll dies nur Migranten der ersten Generation betreffen, die nach ihrer Ankunft in Deutschland die hiesige Staatsbürgerschaft erwarben. An die Kinder oder Enkel solcher Eingebürgerten wird bei der von der AfD geforderten Ausbürgerungsmöglichkeit offenbar nicht gedacht; auch nicht an alle anderen Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft.

Warum es nur Migranten betreffen soll, nicht aber andere deutsche Staatsbürger, die sich einer Terrororganisation wie dem IS anschließen, sagte Petry nicht. Ebenso wenig, was durch das Schaffen staatenloser Menschen gewonnen wäre. Eine konkrete Formulierung für die Grundgesetzänderung bietet die AfD auch nicht an.

Widerspruch beim Thema Islam

Ansonsten bewegt sich das Wahlprogramm im Rahmen der bisherigen AfD-Positionen. Dazu gehören das Verbot von Vollverschleierung, Minaretten und Muezzin-Rufen an Moscheen, ein Kopftuch-Verbot im öffentlichen Dienst sowie ein Stopp des bekenntnisorientierten Islam-Unterrichts an Schulen.

Was die grundsätzliche Position zum Islam betrifft, so ergab sich am Donnerstag ein gewisser Widerspruch. Einerseits wird im Programm der Islam nicht komplett verdammt. Denn als unvereinbar mit der deutschen Verfassungsordnung wird dort nur „ein“ Islam bezeichnet, „der unsere Rechtsordnung nicht respektiert und einen Herrschaftsanspruch als allein gültige Religion erhebt“.

Diese Formulierung lässt theoretisch Platz für „einen“ anderen Islam. Andererseits sagte Glaser bei der Vorstellung gemäß dem verteilten Redetext, dass „der Islam“ die Religionsfreiheit „nicht gewährt und respektiert“ und daher die Religionsfreiheit „auch nicht für sich beanspruchen“ könne. Das lässt sich nur so verstehen, dass die AfD „dem“ Islam als Ganzem die Religionsrechte des Grundgesetzes vorenthalten will. Ob und wie die Partei diesen Widerspruch auflösen will, wird sich im Bundestagswahlkampf zeigen.

Ganz oben im Programm steht wie bisher die Forderung nach einer sehr weitreichenden Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene. Solche Plebiszite einzuführen erklärt die AfD für „nicht verhandelbar“; alsbald abgehalten werden solle eine Volksabstimmung über den von der Partei geforderten Ausstieg aus dem Euro.

Bei der Frage, was an die Stelle der Währung treten soll, legt sich der Entwurf fest: „Die Wiedereinführung der Deutschen Mark.“ Bis auf Weiteres ad acta gelegt sind damit vorherige AfD-Überlegungen zu einem „Nord-Euro“, in dem sich Deutschland mit wirtschaftlich ähnlichen Staaten wie den Beneluxländern, Österreich und Finnland zusammenschließen könnte.

Auch über die Zugehörigkeit Deutschlands zur Europäischen Union soll das Volk abstimmen, aber nur „gegebenenfalls“. Nämlich analog zum Grundsatzprogramm dann, wenn die EU nicht stark verändert und in einen bloßen Zusammenschluss souveräner Nationalstaaten verwandelt wird. Dem Programmentwurf ist zu entnehmen, dass für eine solche Veränderung der EU nach Ansicht der AfD die Verträge von Lissabon, Schengen und Maastricht außer Kraft gesetzt werden müssten.

Eine Art „Zwei-Klassen-Hartz-IV“

Treu ist die AfD ihrer bisherigen Programmatik auch insofern geblieben, als sie in der Steuer- und Sozialpolitik die vorhandenen Unklarheiten weitgehend fortschreibt. Beim Steuersystem wird lediglich die Ersetzung der linearen Progression durch einen Stufentarif verlangt. Die Höhe dieser Stufen aber benennt die AfD nicht, zeigt sich jedoch „bereit, gemeinsam mit allen demokratischen Parteien, Tarifparteien, Verbänden und wissenschaftlichen Einrichtungen ein zukunftsorientiertes Steuersystem auf den Weg zu bringen“. Was bedeutet: Ein eigenes Konzept für ein solches System hat die AfD immer noch nicht.

Durchschlagende Änderungen fordert die Partei auch nicht im Gesundheits- und Rentensystem. Bei der Rente ist am konkretesten noch die Forderung, dass die volle Rentenzahlung nicht mehr vom Erreichen eines bestimmten Lebensalters abhängig sein soll, sondern davon, ob man eine Mindestzahl von Erwerbstätigkeitsjahren hinter sich hat. Meuthen nannte hier auf Nachfrage die Zahl von 40 Jahren, nach denen es die volle Rente geben solle.

Bei der Arbeitslosenversicherung geht die AfD einen Weg, der eher nach links zur SPD und Martin Schulz weist: Wer nämlich mindestens zehn Jahre lang beschäftigt war, soll laut Programmentwurf „eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I“ erhalten. Mehr noch: Für solche Menschen soll es im Bedarfsfall auch „höhere Arbeitslosengeld-II-Leistungen“ geben.

Dies ergäbe faktisch ein Zwei-Klassen-Hartz-IV: niedrigere Sätze für Menschen mit kurzer vorheriger Berufstätigkeit, höhere Sätze für Menschen, die vorher lange gearbeitet haben. Zur Gegenfinanzierung der vielen kostspieligen Leistungen und Staatsausgaben, zu denen auch ein Familiensplitting im Steuersystem gehört, macht das Programm keine Angaben. Es gibt lediglich Hinweise auf die gegenwärtigen Haushaltsüberschüsse und Einsparungen durch die „Minuszuwanderung“.

Hervorgegangen ist der Entwurf aus einer Mitgliederbefragung: Nachdem die Bundesprogrammkommission einen ersten Text erstellt hatte, wurden dessen Kernsätze den Mitgliedern zu einer Online-Abstimmung vorgelegt. Hieran beteiligten sich gut 6300 Personen, das entspricht 27,2 Prozent aller Parteimitglieder. Endgültig beschlossen wird das Programm auf dem Parteitag Ende April. Dann kann es durch Änderungsanträge noch abgewandelt werden.