Dum Bum in Freital

Erstveröffentlicht: 
07.03.2017

In Dresden stehen seit heute acht Mitglieder der sogenannten „Gruppe Freital“ vor Gericht. Ihnen wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.

Von Karin Schlottmann, Andrea Schawe und Alexander Schneider

 

Von der Anspannung am Morgen ist wenige Stunden später nicht mehr viel zu sehen. Maria K. verbirgt ihr Gesicht hinter einem Aktenordner, als Justizbeamte sie gegen zehn Uhr in den Saal führen. Sie nehmen ihr die Handfesseln ab und es sieht so aus, als ob die 28-Jährige vor Aufregung zittert. Am frühen Nachmittag lächelt Maria K. in die Runde, als wäre nichts, so als ob ihr die Wortgefechte, die sich ihr Verteidiger Endrik Wilhelm mit Gericht und Nebenklägern liefert, große Freude bereiten. Wilhelm ist dafür bekannt, dass er die offene Konfrontation im Gerichtssaal schätzt und deshalb dauert es auch an diesem Tag nicht lange, bis er die drei Vertreter der Bundesanwaltschaft und das Gericht mit Vorwürfen überhäuft.

Gleich zu Beginn geht es um die Frage, ob die Anklage verlesen werden kann, obwohl die Verteidiger zunächst eine Reihe von Befangenheitsanträgen und eine Besetzungsrüge vorbringen wollen. Offener Gesetzesbruch, Unkenntnis, Prangerwirkung der Anklage, der Rechtsstaat versage, kritisiert Wilhelm. Bis auf den Jüngsten, den 19-jährigen Justin S, will keiner der Angeklagten seine Personalien nennen. Der Vorsitzende Richter Thomas Fresemann sagt, er finde das ungewöhnlich. Er nimmt die Weigerung aber hin. Es geht dann noch eine Weile hin und her, bis Fresemann Oberstaatsanwalt Jörn Hauschild das Wort erteilt.

 

Begonnen hatte der erste mit Spannung erwartete Prozesstag mit einer kleinen Panne. Aus Sicherheitsgründen findet das Strafverfahren nicht im Gebäude des Oberlandesgerichts in der Altstadt statt, sondern in einer provisorischen Unterkunft, die eigentlich für neu ankommende Flüchtlinge vorgesehen ist. Gegenüber befinden sich ein Wertstoffhof und eine Spezialfirma für Natur- und Spezialbaustoffe, nebenan das große Gefängnis. Noch riecht es im Gericht wie neu – auch auf den Toiletten. Das Gummipflegemittel versprüht einen so starken Geruch, dass zwei ausgebildete Sprengstoffhunde bei der Routinekontrolle um fünf Uhr früh anschlugen.

 

Die Polizei alarmierte Spezialkräfte des Landeskriminalamtes von der Abteilung für Unkonventionelle Brand- und Sprengvorrichtungen (USBV). Sie suchten einen Sprengsatz, bohrten Löcher in die neuen Trockenbauwände, um mit Endoskopen hinein zu schauen. Sie fanden nichts auffälliges. Auch der anschließende Einsatz mit einem Röntgen- und einem Analysegerät für chemische Substanzen förderte keine Hinweise auf Explosivstoffe zutage. Etwa eine Stunde später als vorgesehen öffneten sich die Türen für die Öffentlichkeit.

 

Nach dem ersten Disput im Saal verliest Oberstaatsanwalt Hauschild die Anklage. Wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung stehen die acht Mitbegründer der sogenannten Gruppe Freital vor Gericht. Vier Sprengstoffanschläge auf Wohnungen von Flüchtlingen und links-alternative Hausbewohner, ein Parteibüro sowie ein Fahrzeug sollen sie begangen haben. Ihre fremdenfeindliche und rechtsextremistische Gesinnung sei nicht nur während der Gruppentreffen an der Aral-Tankstelle in Freital Thema gewesen, sondern auch in verschlüsselten „schwarzen“ Internet-Chatgruppen, in denen die Anschläge geplant worden seien. Super Cobra 12, Super Cobra 6, La Bomba, Dum Bum und Crazy Robots hießen die illegalen Sprengkörper aus Tschechien.

 

Von außen an einem Fenster angebracht, wirkten sie wie Glassplitterbomben, sagte Hauschild. Die Hauptladung beim Typ Cobra 12 entspreche der 130-fachen Wirkung eines in Deutschland zugelassenen Silvesterböllers. Den Angeklagten sei die gefährliche Wirkung der Sprengkörper bewusst gewesen, sie hätten gewusst, was sie tun. Bei dem Überfall auf eine Wohnung für Asylbewerber in Freital hätten sie den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen. Ausführlich geht der Ankläger auf die Arbeitsteilung innerhalb der Gruppe ein. Zwei Anführer, Timo S. und Patrick F., hätten maßgeblichen Anteil. S. habe geplant, organisiert und die Gruppe mobilisiert, F. sei für die technischen Details verantwortlich gewesen. Die anderen machten bei den Anschlägen mit, erhielten Arbeitsaufträge wie Transport, Fahrdienste, Kauf der Böller, heißt es in der Anklage. Die Gruppe habe erwartet, dass alle mitmachten. Einer habe in den Vernehmungen sogar von Gruppenzwang gesprochen, sagt Hauschild. Für die Frage, ob der Terrorvorwurf zutrifft oder nicht, ist die Struktur der Gruppe ein wichtiges Indiz.

 

Nach Verlesung der Anklage rügen die Verteidiger die Besetzung des Gerichts. Der neugegründete 4. Senat des Oberlandesgerichts sei wenige Monate vor Beginn dieses Strafverfahrens nach einem Baukastensystem ad hoc zusammengesetzt worden, kritisierten die Anwälte von Patrick F., Andreas Schieder und Hansjörg Elbs. Der Geschäftsverteilungsplan sei verändert worden, um die Zuständigkeit auf den neuen Senat übertragen zu können. Das könne als Willkür angesehen werden.

 

Wilhelm spricht sogar von einem Ausnahmegericht, mit von der Justizverwaltung ausgesuchten, auf dem schwierigen Gebiet des Staatsschutzes unerfahrenen Richtern. Die Verlegung des Prozesses in die eigens für diesen Zweck für fünf Millionen Euro umgebaute Flüchtlingsunterkunft habe Symbolwirkung. Es sei zu befürchten, dass die Richter dem Druck und der Erwartungshaltung nicht gewachsen seien. Er habe Zweifel an ihrer Unabhängigkeit.

 

Plötzlich wechselt Wilhelm das Thema. Er spricht über seine Mandantin. Maria K. distanziere sich von den Straftaten, entschuldige sich für das, was geschehen ist und würde es am liebsten ungeschehen machen. Sie sei froh, dass die Verletzungen der Opfer sehr rasch geheilt seien. Ihre Verhaftung habe sie als heilsamem Schock empfunden, sagt Wilhelm. Sie habe zudem Mitangeklagte belastet und in den Monaten in Freiheit keine weiteren Aktivitäten unternommen. Das Strafbedürfnis der Gesellschaft sei damit nicht befriedigt, aber mit diesem Verfahren schieße die Justiz weit über das Ziel hinaus.

 

Das ist der Moment, in dem es den Nebenklägern endgültig reicht. Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, er vertritt einen der verletzten Flüchtlinge, wirft Wilhelm Selbstdarstellung vor. Er rede am Thema, der Begründung seines Befangenheitsantrags vorbei. Der Verteidiger habe gegen die Anklage keine Einwendungen erhoben und ziehe nun eine große Show ab. Kristin Pietrzyk, ebenfalls Nebenkläger-Vertreterin, nennt den Vortrag „absurd“ und „pathetisch“. Der Vorsitzende möge ihm das Wort entziehen.

 

Wilhelm erwidert etwas pampig, das sei kein Problem, dann wende er sich eben an den Bundesgerichtshof. Oberstaatsanwalt Hauschild springt Wilhelm bei und fordert alle auf, sich die letzten sechs Seiten des Antrags auch noch geduldig anzuhören. Er sei „in Erwartung einer juristischen Argumentation“, sagt Hauschild ironisch. Der Vorsitzende Richter befindet ebenfalls, der Anwalt habe sich von seinem Thema entfernt, lässt ihn aber weiterreden. Jetzt geht es um die Sicherheitsbedingungen. Erwartungsgemäß lehnen die Strafverteidiger es ab, sich vor Betreten des Gerichts durchsuchen zu lassen. Es handele sich um eine Machtdemonstration des Gerichts, die die Anwälte in die Nähe der Angeklagten rücken solle, kritisiert Wilhelm. Dabei ist die Kontrolle der Taschen in großen Prozessen üblich, führt aber regelmäßig zu Diskussionen. Das war schon im NSU-Prozess in München so. Die Polizei fürchtet, dass den Anwälten gefährliche Gegenstände in die Aktenkoffer geschmuggelt werden könnten.

 

Nach diesen Debatten sitzt nicht nur Maria K. etwas lässiger auf ihrem Platz. Timo S. nimmt Blickkontakt zu seiner Freundin auf, die unter den Zuhörern sitzt. In der ersten und zweiten Reihe sitzen Freunde und Bekannte der Angeklagten, einige von ihnen aus dem Umfeld der Anti-Asyl-Szene in Freital. Eine junge Frau ist regelmäßig Ordnerin auf den Demonstrationen der sogenannten Freitaler Bürgerinitiative, ehemals „Freital wehrt sich“. Bei ihr hatten sich auch Philipp W. und Timo S. engagiert. Gekommen sind aber auch die Freitaler Grünen-Stadträtin Ines Kummer und Steffi Brachtel, die für ihr Engagement für Flüchtlinge in Freital ausgezeichnet wurde. Beide wurden selbst mehrmals Opfer von Anfeindungen, ihre Briefkästen in die Luft gesprengt.

 

Anders als zunächst geplant wird der Prozess nicht am heutigen Mittwoch fortgesetzt. Das Gericht will zunächst über die zahlreichen Anträge beraten. Am nächsten Dienstag geht es weiter. Rechtsanwalt Wilhelm rechnet nicht mit einem Erfolg der Verteidigeranträge. Es sei immer so, dass sie am Ende abgelehnt würden. Aber stellen müsse er sie nun mal.